Ein entscheidendes Jahr

Noemí Ramona Rabaza Fernández (ICAP) in Berlin über die neue Verfassung und Erwartungen für die Zukunft.

"2018 wird ein entscheidendes Jahr in der Geschichte Kubas", sagt Noemí Ramona Rabaza Fernández, die seit einem Jahr Vizepräsidentin des Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP) ist. 10 Jahre lang hat sie in der Provinz Granma für das ICAP gearbeitet, jetzt ist sie in Havanna auf einer neu geschaffenen Stelle verantwortlich für Ökonomie und Verwaltung, für die gesamte interne Organisation des Instituts. Sie ist zur Fiesta de Solidaridad von Cuba Sí nach Berlin gekommen und das Netzwerk Cuba e.V. hat seine Mitglieder am 29. 7. 2018 zu einem Informationsgespräch mit ihr ins Karl-Liebknecht-Haus eingeladen. 29 sind gekommen, darunter auch Teilnehmer von Solidaritätsgruppen aus der Schweiz und aus Österreich.

Gerne wäre Fernando González Llort, der Leiter des Instituts, selber gekommen, teilte Noemí mit, aber als Vertreter im Nationalparlament war seine Anwesenheit bei den Feierlichkeiten zum 26. Juli in Santiago de Cuba wichtig. An diesen Feierlichkeiten nahm auch die europäische Brigade José Martí teil, mit 91 Besuchern aus 11 Ländern, davon 21 deutsche. Noemí konnte die Brigadisten zweimal treffen und erzählte von einem deutschen Sänger und einem Solidaritätstreffen mit der Brigade aus Puerto Rico.

Noemí Ramona Rabaza Fernández in Berlin

Noemí Ramona Rabaza Fernández in Berlin
Foto: Marion Leonhardt

Das ICAP hat noch zwei weitere Vizepräsidenten. Bei den für Weltregionen zuständigen Büros werden vier von Frauen geleitet und bei den 13 Provinzen sechs Büros von Frauen. In Kuba sagt man, "die Frauen bestimmen", weil sie viel erreicht haben und Anerkennung und Respekt genießen. 52 % der Führungskräfte sind Frauen und über 60 % der technischen Fachkräfte. Man habe Vilma Espín viel zu verdanken und den wunderbaren Beispielen vieler Frauen, die aktiv ihre Position durchsetzen.

Ein entscheidendes Jahr in der Geschichte Kubas sei 2018, weil Kuba einen mit 58 Jahren noch jungen Präsidenten mit einem neuen Arbeitsstil habe, der aber auch für Kontinuität in der Durchführung der politischen und sozialen Programme stehe. Kuba sei heute sehr interessant, weil sich im Moment die Richtlinien und ihre Ziele in der Umsetzung befänden, und es sei ein Glück, dass dies unter dem Parteivorsitz von Raúl geschehe.

In der 4tägigen Sitzung des Parlaments wurde der Entwurf einer neuen Verfassung verabschiedet, der 80 neue Kapitel enthält. Der Entwurf soll vom 13. August bis zum 24. November in der Bevölkerung beraten und dann im Dezember erneut dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt werden. Die Verfassung soll dann in einer Volksabstimmung Geltungskraft erlangen. Die Sitzungen waren öffentlich und schon jetzt sind die neuen vorgeschlagenen Regelungen heftig diskutiert worden und sind teilweise umstritten.

Ein zentraler Punkt: Die Struktur und Arbeitsweise der Regierung soll sich ändern. Der Präsident, der nicht jünger als 35 Jahre und nicht älter als 60 Jahre sein soll, übernimmt Funktionen vom Staatsrat. Es wird einen Vizepräsidenten und einen Premierminister geben. Alle sollen höchstens zwei Legislaturperioden im Amt bleiben dürfen. Die Gemeindeparlamente werden abgeschafft, um die Gemeindeversammlungen zu stärken. Letztere sollen alle fünf Jahre, also für einen doppelt so langen Zeitraum wie bisher, gewählt werden. Davon erhofft man sich mehr Stabilität. Auf der Provinzebene soll es weiterhin Regierungsämter geben, aber mit kleineren Verwaltungsgremien als bisher.

Intensiv wird die Verfassungsänderung zur Ehe diskutiert. Es soll nicht mehr die Heirat zwischen Mann und Frau als Grundlage einer Ehe in der Verfassung stehen, sondern zukünftig soll es dabei um die Heirat zwischen zwei Personen gehen. Damit wäre die Ehe für alle möglich.

Auch über die grundlegenden Wirtschaftsgesetze wird viel diskutiert. Sie sollen ermöglichen, eine Kontrolle über die Ressourcen auszuüben und illegale Bereicherung zu bekämpfen. Wie kann gewährleistet werden, dass das hauptsächliche Einkommen aus Arbeit entsteht, wenn es doch zukünftig auch legale andere Einkommensarten geben wird? Ab dem 1. Dezember 2018 können Häuser vermietet werden, dafür sollen Steuern gezahlt werden. Deswegen, so Noemí, müssen Vorgaben her, damit niemals eine bestimmte Größe des Privateigentums überschritten werden kann. Der Staat muss Eigentümer der Produktionsmittel bleiben.

Die neue Verfassung wird die Änderung vieler Gesetze nach sich ziehen, als erstes die Änderung des Wahlgesetzes. Während einer Übergangszeit, in der die alten Gesetze gelten, aber umgearbeitet werden, werden dafür Kommissionen eingerichtet.

Die letzte Verfassungsänderung fand 1976 statt mit Reformen 1992 und 2002. Welche Bedeutung haben die Veränderungen heute? Wird es eine Abkehr vom Kommunismus geben, wie es bereits die westlichen Medien verkünden?, wollten Teilnehmer wissen.

Noemí betonte, dass die neue Verfassung auf die Zukunft ausgerichtet sei und viele Jahre Bestand haben soll. Sie soll den sozialistischen Weg stärken und Nachhaltigkeit und Demokratie festigen, auch für mehr Wohlstand sorgen. Und sie verkörpert die 60 Jahre Erfahrung mit dem Sozialismus, der selbstverständlich nach wie vor in der Verfassung festgeschrieben werde. Der Kommunismus werde weiter angestrebt – die Partei heißt nach wie vor Kommunistische Partei Kubas –, liege aber in ferner Zukunft. Die Verfassung wird an einem sozialistischen Arbeiterstaat festhalten, den José Martí schon mit den Worten beschrieben hat: -"Con Todos y para el Bien de Todos“ –" "Mit allen und für das Wohl aller" (Artikel 1 der Verfassung).

In der Diskussionsrunde ist Bürokratie ein großes Thema. Noemí weist darauf hin, dass selbstverständlich keiner eine sinnlose Bürokratie haben möchte, dass Bürokratie aber in Kuba auch eine Art Selbstverteidigung und Kontrolle sinnvoller Verwendung von Ressourcen ist. Man hätte teilweise sehr schlechte Erfahrungen gemacht, sogar bis hin zur Geldwäsche. Sie hoffe, dass sich die Bürokratie reduzieren werde durch Anwendung neuer Infomationstechnologien im alltäglichen Leben.

Lisset González López, Sekretärin der kubanischen Botschaft, fügt hinzu, dass Bürokratie ein Thema ist, das auf der ganzen Welt beheimatet ist. Kuba werde Maßnahmen, die nicht zum Erfolg führen, immer korrigieren. Kuba habe zwar das Ziel der Gleichheit, aber es müsse auch gerecht zugehen. Kuba werde immer an einem kostenlosen Gesundheits- und Bildungssystem festhalten.

In der Diskussion spielt auch eine große Rolle, was die marktwirtschaftlichen Elemente für den Weg Kubas bedeuten und wie die Mittel aus inländischer Besteuerung und ausländischen Investitionen eingesetzt werden. Diese Fragen können nur angerissen werden, aber es wird deutlich, dass Vertreter der deutschen Kuba-Solidarität eine vertiefte Debatte auf europäischer Ebene für notwendig halten, damit die Kuba-Solidarität den Sozialismus in Kuba verteidigen kann.

Noemí empfiehlt, das Konzept der wirtschaftlichen Änderungen zu studieren. Sie weist daraufhin, dass nach diesem Konzept keine schockartigen Maßnahmen ergriffen werden sollen. Deswegen wurde die bereits vor zwei Jahren beschlossene Währungsreform noch nicht durchgeführt, die Einschnitte in der Gesellschaft wären zu groß gewesen. Auch die Diskussionen zur Verfassungsänderung helfen weiter und sind zu verfolgen auf den Webseiten von "Cubadebate" und "Granma internacional".

Die nächsten sechs Monate werden sehr arbeitsintensiv und finden in einer für Lateinamerika sehr schwierigen Situation statt. Raúl Castro habe das am 26. Juli 2018 ausgeführt, betont Noemí, und dass Kuba weiter die fortschrittlichen Kräfte in Lateinamerika unterstützen werde. Der US-amerikanische Präsident habe Abmachungen mit Kuba wieder rückgängig gemacht. Kubaner erhalten z. B. in Havanna kein Visum mehr für die USA, weil die Botschaft nicht arbeitsfähig besetzt ist. Sie müssen nach Kolumbien oder nach Guayana fahren und hohe Kosten auf sich nehmen, ohne zu wissen, ob ihnen dort das Visum erteilt wird. Von den USA wird auch Druck auf Länder ausgeübt, die mit Kuba traditionell gute Handelsbeziehungen haben. Dadurch hat sich die Versorgungssituation in Kuba mit Milch, Hühnerfleisch und Getreide verschlechtert. Es werden Kredite blockiert. Aber Kuba werde eigene Wege zur Bewältigung der Engpässe finden, ist Noemí überzeugt.

CUBA LIBRE Brigitte Schiffler

CUBA LIBRE 4-2018