Miguel Díaz-Canel folgt Raúl Castro als neuer kubanischer Präsident
Der neue Präsident des Staats- und des Ministerrates, Miguel Díaz-Canel Bermúdez, besucht einen Stadtteil Havannas.
Foto: Estudio Revolución
Am 19. April 2018 hat die kubanische Nationalversammlung mit Miguel Díaz Canel einen neuen Präsidenten gewählt. Raúl Castro, heute 86 Jahre alt, hatte bereits im Jahr 2016 angekündigt, nicht wieder für das Amt des Präsidenten und des Vorsitzenden des Staats- und des Ministerrats zur Verfügung zu stehen.
Raúl Castro war seit der Erkrankung von Fidel Castro im Jahr 2006 zunächst kommissarischer und seit 2008 gewählter Präsident der Republik Kuba. "Ich bin nicht Fidel, und ich werde auch nie Reden halten wie Fidel", hatte er sich in seiner ersten Ansprache vor der Nationalversammlung den Erwartungen erwehrt. Dennoch verstand er es, die historische Autorität des Comandante en Jefe für die Revolution zu mobilisieren. Kaum eine Rede, in der Raúl nicht die Genialität der Ideen Fidels darlegte und zugleich die Unzulänglichkeiten bei ihrer Umsetzung, auch durch seine eigene Person, kritisierte.
Tatsächlich war das revolutionäre Kuba unter Raúl Castro in eine neue Phase eingetreten. Zwar ging nicht die wirtschaftliche, wohl aber die politische Sonderperiode zu Ende, welche durch Fidels oftmals geniale Improvisation und wiederkehrende Mobilisierung des Massenbewusstseins gekennzeichnet war. Unter der Führung von Raúl Castro wurde ein Plan zur Stärkung des kubanischen Sozialismus erarbeitet, der nach einem gesamtgesellschaftlichen Diskussionsprozess im Jahr 2011 in 313 "Leitlinien zur Sozialen und Wirtschaftlichen Aktualisierung" mündete, die seitdem parallel abgearbeitet werden. Das gesamte Erneuerungsvorhaben ist bis zum Jahr 2030 projektiert.
Außenpolitisch gelang es Raúl Castro, die Beziehungen zu den lateinamerikanischen Regierungen zu verbessern, die regionale Integration voranzutreiben und die USA mit ihrer Blockadepolitik international fortgehend zu isolieren. Als Ergebnis dessen kam es während seiner Präsidentschaft zu einer vorübergehenden Veränderung der Beziehungen zwischen Kuba und den USA, die mit der Befreiung der drei verbliebenen "Cuban Five" aus US-Gefängnissen verbunden war.
Es ist vielfach spekuliert worden, ob Raúl im Vergleich zu Fidel der "radikalere" der beiden Brüder sei. Fidel hat dies stets verneint. In jedem Fall hatte Raúl schon vor der Revolution ausgeprägte Kontakte zur kommunistischen Bewegung, nahm an einem Vorbereitungstreffen zu den Weltfestspielen 1953 in Bukarest teil, wurde nach seiner Rückkehr festgenommen und beantragte noch im Gefängnis die Mitgliedschaft im Kommunistischen Jugendverband. Mit seiner Entscheidung, mit der damaligen legalistischen Strategie der kommunistischen Partei PSP zu brechen und sich der Führung von Fidel anzuvertrauen, hatte Raúl Castro schon früh die spätere historische Kurskorrektur der PSP vorweggenommen – weg von der Moskauer Orientierung, hin zum "Sinn für den historischen Augenblick" (Fidel). Obwohl Raúl also einen entscheidenden Einfluss auf die frühe Phase der Kubanischen Revolution ausübte, unterstützte er während seiner gesamten politischen Wirkungszeit die welthistorische Figur, als die er seinen Bruder erkannte.
Raúl Castro kann für sich beanspruchen, einen entscheidenden Beitrag dazu geleistet zu haben, dass Kuba in Zeiten der tiefsten Konterrevolution immer noch ein Orientierungspunkt geblieben ist. Vermutlich würde er jedoch auch diese Ehrerweisung in der ihm eigenen Selbstlosigkeit von sich weisen.
Die Biografie von Miguel Díaz-Canel verlief in anderen Bahnen. Díaz-Canel war noch ein Baby, als Kuba sich für sozialistisch erklärte und ein Teenager, als es sich seine sozialistische Verfassung gab. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls war Díaz-Canel 29 Jahre und Jugendfunktionär. Seine politische Grundausbildung erhielt er noch zur Zeit der Existenz des sozialistischen Weltsystems. Sein gesamtes Leben verbrachte er unter der US-Blockade gegen sein Heimatland, die Hälfte davon unter den Bedingungen der Sonderperiode, in der Kuba ohne die Unterstützung der sozialistischen Staaten auskommen musste. Seine politischen Funktionen als Erster Parteisekretär in Villa Clara und Holguin übernahm er, als die Revolution noch ganz von der Figur Fidel personifiziert wurde. Erst nach der schweren Erkrankung des Comandante en Jefe im Jahr 2006 wurde Díaz-Canel Hochschulminister und gestaltete den langfristig angelegten Umstrukturierungsprozess der Revolution unter Raúl mit.
Díaz-Canel hat also trotz seiner relativ jungen Jahre verschiedenste geschichtliche Momente erlebt und dürfte so gesehen für die kommenden komplizierten Aufgaben gut gerüstet sein. Nur wenige Tage nach seinem Amtsantritt hatte der neue Präsident einen ersten schweren Weg zu gehen und den Angehörigen der 111 Opfer der abgestürzten, von Cubana de Aviación geleasten Boing 737 zu kondolieren. Dies dürfte ein Vorgeschmack auf die Mühen der Ebenen gewesen sein, die da kommen. Denn anders als geplant vollzieht sich der Generationenwechsel an der Staatsspitze nicht erst nach, sondern inmitten der Umstrukturierung der kubanischen Gesellschaft. Eine der ersten weitreichenden Entscheidungen wird die Abschaffung der Doppelwährung sein, eine komplexe Herausforderung, die im kubanischen Volk mit großen Erwartungen verknüpft ist.
Immerhin wird Miguel Díaz-Canel den Multifunktionär Raúl nicht eins zu eins ersetzen müssen. Er kann sich ganz auf das Regierungsamt konzentrieren, in welches er nur einmal wiedergewählt werden kann. Raúl Castro bleibt bis zu nächsten Parteitag, voraussichtlich im Jahr 2021, Erster Sekretär der PCC. Seinem in den letzten Jahren geprägten Motto "Mit Bedacht, aber ohne Pause" wird er dabei treu bleiben und in dieser Funktion immer wieder korrigierend eingreifen.
Kuba kann sich in den nächsten Jahren auf zwei erfahrene Politiker an seiner Spitze verlassen und seine Revolution weiterentwickeln.
Tobias Kriele
CUBA LIBRE 3-2018