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Über eine Sache zu mutmaßen, ist eine Sache; sie selbst zu erfahren, eine andere. Im April dieses Jahres hatte ich die einmalige Gelegenheit, mit dem US-amerikanischen Publikum über meine Lebensgeschichte zu diskutieren - so wie sie im Dokumentarfilm »Die Kraft der Schwachen« wiedergegeben ist - und auch darüber, was sie mit dem Verhältnis zwischen dem US-amerikanischen und dem kubanischen Volk zu tun hat.
Aber der Reihe nach: Zu unserer Filmrundreise durch Deutschland im Dezember 2014 interviewte mich eine Journalistin, Natalie Benelli, in ihrer Funktion als Europakorrespondentin des alternativen New Yorker Medienprojektes »Collective Endeavour«. Dieses Interview, für das sie den langen Weg aus der Schweiz gemacht hatte, was an sich schon beeindruckend ist, war der Ausgangspunkt unserer Einladung in die USA, die wir jetzt annehmen konnten.
Bevor es allerdings soweit war, machte ich zunächst eine unsanfte Bekanntschaft mit der »neuen Politik« der USA gegenüber Kuba. Obwohl ich rechtzeitig einen Antrag auf ein Einreisevisum gestellt und das entsprechende Bewerbungsgespräch geführt hatte, ließ die Entscheidung auf sich warten. Meine Familie hatte mich am Vorabend des vermeintlichen Abreisetages die 565 Kilometer von Camagüey nach Havanna begleitet - und nun saßen wir in der Hauptstadt und warteten darauf, dass man sich in der US-Botschaft geneigt zeigen würde, mir die Einreisegenehmigung zu erteilen. Um die Geschichte nicht in die Länge zu ziehen: Wir warteten über eine Woche, bis das Visum dann doch plötzlich kam. Die Hälfte der geplanten Veranstaltungen hatte zu diesem Zeitpunkt gezwungenermaßen ohne mich stattgefunden. Den vier Kubanern, die mit mir auf den Veranstaltungen des National Network on Cuba in Washington sprechen sollten, ging es noch schlechter, denn ihnen wurde das Visum komplett verweigert.
In Washington angekommen, eilten wir direkt vom Flughafen zur ersten Filmveranstaltung in einer Universität. Das Interesse der Studenten war groß und der Empfang freundlich, wie im Übrigen auf allen Veranstaltungen.
In Washington besuchte ich auch das Bürogebäude der Kongressabgeordneten. Als ich das Büro von Mario Díaz-Ballart (einem Vertreter der extremen exilkubanischen Rechten) erblickte, verspürte ich Ekelgefühle. Er hält sich einen geifernden Hund in seinen Räumlichkeiten, und ich vermute, dass er sich mit diesem Tier identifiziert. Später ging es dann auf eine weitere Veranstaltung, auf der wir uns über die Eindrücke austauschen konnten, die in den USA von Kuba herrschen und über die Geschichte, die beide Völker miteinander teilen. Wir konnten sogar ein bisschen durch Washington spazieren, auch am Weißen Haus vorbei. Stolz war ich, als ich die alte Villa aus dem Jahr 1917 besuchen konnte, in der heute die kubanische Botschaft untergebracht ist, ein Symbol des Widerstandes. In ihr konnte ich den Botschafter treffen, mit dem ich am nächsten Abend auf demselben Podium sitzen durfte.
Am nächsten Morgen ging es mit dem Zug nach New York, und ohne mir den Staub abzuschütteln, machte ich José Martí die Aufwartung, dort, wo ehemals die Büros der Kubanischen Revolutionären Partei untergebracht waren. Das Gebäude ist heute verschwunden, direkt daneben steht die Börse, an der das Gleichgewicht der Weltwirtschaft auf dem Spiel steht, die Wall Street. Von dort ging es direkt zu einer Veranstaltung, die aufgrund der Visumsverzögerung aufgeschoben worden war. Auf ihr konnte ich selbst erleben, wie groß das Interesse der New Yorker an Kuba ist, wie unermesslich die Zuneigung und zugleich wie rudimentär der Kenntnisstand.
Im Anschluss besuchten wir den Sitz des Women´s Press Collective, einer Organisation, deren Eintreten für eine bessere Gesellschaft zu würdigen mir die Worte fehlen. Dort folgte ein intensiver Austausch über Reiseerlebnisse aus Kuba, die Realität der USA, die Zukunft unseres Planeten und sogar ein Interview, in dem ich die Verweigerung des Visums für die Kubaner, die mit mir zu der Washingtoner Veranstaltung hätten reisen sollen, anprangerte.
Wie es der Zufall wollte, fand zur Zeit unseres Aufenthaltes in New York der Vorwahlzirkus der Demokratischen Partei statt. Mich erinnerte das an eine Anekdote, die unser Präsident Raúl Castro auf dem Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC), der vom 16.-19. April 2016, also zeitgleich zu unserer Reise, stattfand, zum Besten gegeben hatte. Raúl berichtete dort amüsiert, dass US-Präsident Obama während seines Kuba-Besuches seine Besorgnis über das Einparteiensystem zum Ausdruck gebracht hätte. Was er dem denn vorziehe, habe er, Raúl daraufhin gefragt – etwa ein Zweiparteiensystem á la Demokraten und Republikaner. Obama bejahte. Das ließe sich einrichten, so Raúl: Fidel könne dann der einen Partei vorstehen, und er selbst der anderen.
Den VII. Parteitag hat man in enger Verbindung zu seinem Vorgänger zu sehen. Auf jenem begann ein tiefgehender Aktualisierungsprozess der sozial- und wirtschaftspolitischen Leitlinien der Revolution. Diese Prozess wird von uns Kubanern selbst bestimmt, ohne jede Einmischung von außen seitens eines anderen Staates. Ein Prozess, in dessen Verlauf unser Wirtschaftsmodell verändert wird, ohne jene Spar- und Privatisierungspakete, die man aus kapitalistischen Staaten gewohnt ist. Auf diesem Parteitag wurde kritisch untersucht, was bis heute unternommen wurde. Zudem wurden vier neue Dokumente verabschiedet, darunter eine neue, an die gegenwärtigen Herausforderungen angepasste Version der Leitlinien, außerdem eine vom Parteivorsitzenden vorgetragene Einschätzung der gegenwärtigen Arbeit der Partei. Zwei Dokumente möchte ich wegen ihres grundsätzlich neuen Charakters hier hervorheben. Eins davon ist die grundsätzliche Bestimmung des Wirtschaftsmodells, das zweite der auf 2030 projektierte langfristige Entwicklungsplan. Nie zuvor in der kubanischen Geschichte wurde ein Dokument vorgelegt, dass auf einen dermaßen langen Zeitraum unserer wirtschaftlichen Entwicklung abgezielt hätte.
Insbesondere angesichts des seit dem 17. Dezember 2014, dem Tag der offiziellen Aufnahme der Gespräche mit den USA in Richtung einer Normalisierung der Beziehungen, grundsätzlich veränderten internationalen Kontextes richtete dieser Parteitag sein besonderes Augenmerk auf ideologische Fragen. In den kommenden Wochen und Monaten geht der Parteitag raus auf die Straße. Der Bevölkerung soll damit die Möglichkeit gegeben werden, die Beschlüsse zu diskutieren und in einem kollektiven Prozess die endgültige Version der Dokumente erstellen.
Auch die dem Parteitag vorgelegten Beschlussvorlagen sind das Ergebnis einer kollektiven Erarbeitung, unter Beteiligung von Universitätsprofessoren, Akademikern, Wirtschafts- und Sozialforschern und Funktionären der Regierung und der Partei. Seit Anfang März hatten die Parteitagsdelegierten in allen Provinzen Kubas sich mit den Meinungen und Einwänden von über 3.500 eingeladenen Diskussionspartnern auseinandergesetzt, die die verschiedenen Sektoren unserer Gesellschaft abbilden sollten, unter ihnen die Abgeordneten zur Nationalversammlung. Auf der Grundlage der dabei vorgetragenen insgesamt 8.800 Diskussionsbeiträge und Änderungsvorschläge wurde die Endfassung erarbeitet.
Auf dem Parteitag wurde, allen Zweifeln einiger internationaler Beobachter zum Trotz, ebenfalls ein zentraler Beitrag vorgestellt, in dem ein für alle Mal festlegte wurde, dass Kuba in seiner Politik den grundlegenden Prinzipien treu bleibt und damit an seiner Geschichte festhält. Demagogie, Opportunismus, Doppelzüngigkeit und der Verrat an seinen Freunden haben in der kubanischen Politik weiterhin keinen Platz.
Der Bericht ist auch aussagekräftig, was die innenpolitische Orientierung des Landes und ihre außenpolitischen Konsequenzen angeht. Zuallererst verteidigen wir unsere Prinzipien, jenseits jeden ökonomischen Interesses. Raúl verurteilte die Blockade wegen ihrer offensichtlichen Mission, einzuschüchtern und auch wegen ihrer extraterritorialen Anwendung. Zugleich erkannte er die Bemühungen Obamas und anderer hoher Funktionäre an, den Kongress dazu zu bewegen, selbige aufzuheben. Der Cuban-Adjustment-Act, die Politik der trockenen Füße und das Parole-Programm, mit dem uns Fachkräfte abgeworben werden sollen, sind weiterhin aktuell, genauso wie die Millionenförderung für Destabilisierungsprojekte.
Ohne jeden Zweifel muss die Arbeit weitergehen. Das Werk der Revolution kann nicht allein Gegenstand des Parteitags sein. Ich persönlich hoffe, dass die Dokumente durch die Weisheit des Volkes noch besser werden. So ist es auch schon bei vorausgegangenen Parteitagen gewesen. Jeder einzelne sollte sich als Teil des gesamtgesellschaftlichen Aktualisierungsprozesses sehen, möglicherweise gemachte Fehler korrigieren und das Land voranbringen.
Dies ist unsere Partei, die Partei von José Martí, die Partei der Revolution, welche niemanden im Stich lässt. Jetzt wird es darauf ankommen, den Worten Taten folgen zu lassen.
(Übersetzung: Tobias Kriele)
CUBA LIBRE 3-2016