Die Stadtgärten
der grünen Revolution
Durch den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers
in den Jahren 1989/1990 verlor Kuba seine
wichtigsten Handelspartner. Erhebliche Versorgungsengpässe
waren die Folge; in dieser Zeit verschärften
die USA auch ihre Blockadepolitik gegen Kuba
erheblich. Es fehlte an allem: an Kraftstoff für die
Landwirtschaftsmaschinen, an Dünger, an chemischen
Pflanzenschutzmitteln. Die Regierung Fidel
Castros reagierte darauf u.a. mit einem radikalen
Umbau der Landwirtschaft, inklusive dem Aufbau
der eigenen Kräfte, einem Biolandbau und der Einführung
neuer ökologischer Techniken.
Sehr schnell wurde auch die Initiative einiger
Städter unterstützt, auf Brachflächen Nahrungsmittel
anzubauen. Flächen, die sich vormals in Besitz
von Privateigentümern oder des Staates befanden,
wurden an einzelne Bürger und Initiativen verteilt,
was zu einem starken Anstieg kooperativer Formen
urbaner Landwirtschaft führte. Später legte auch
der Staat solche Nachbarschaftsgärten in größerer
Dimension an, die sogenannten Organopónicos, von
denen es heute über 7000 gibt.
Die Anzahl der privaten Gärten ist gewaltig, allein
in Havanna und im Umland der Hauptstadt
zählt man über 30000. Insgesamt werden hier gut
35000 Hektar Land für urbane Landwirtschaft genutzt
und mehrheitlich ökologisch bewirtschaftet.
Über 40 Regierungsabteilungen unterstützen
diesen Prozess. In den Universitäten wurden Agrarökologen
ausgebildet, die in unzähligen Forschungsprojekten
die Produktivität der Stadtgärten vorantrieben.
Sie etablierten Pflanzengesellschaften, die
sich aufgrund ihrer Fähigkeiten gegenseitig begünstigen,
und entwickelten biologische Pestizide auf
der Grundlage von Pflanzenauszügen sowie effek -
tive Verfahren für die Bodenverbesserung. So ist z.B.
das Anbauen zweier verschiedener Pflanzenarten in
einem Beet förderlich, um deren Ertrag zu steigern
und die Schädlingsbekämpfung zu verbessern. Ringelblumen,
Basilikum und Neem-Bäume säumen die
Beete, um Schädlinge fernzuhalten. Sonnenblumen
und Mais wiederum sollen nützliche Insekten anlocken.
Mittlerweile arbeiten neben den Produzenten
10000 Wissenschaftler und 44000 Techniker an
einer verbesserten Landwirtschaft. Kleine staatliche
Geschäfte wurden gegründet, um Samen, Pflanz -
linge, Geräte, Töpfe und Biodünger anzubieten und
auch Workshops zu organisieren. Durch Printmedien,
Vorträge und Weiterbildungen wurde das Wissen
direkt an die Bevölkerung weitergegeben. So
erhöhten sich auch die Produktionsergebnisse in
einem der ältesten Stadtgärten der UBPC Organopónico
Vivero Alamar (Havanna) enorm.
Versorgungsgärten wurden auch in Schulen und
Kindergärten eingerichtet, die gleichzeitig den Umgang
mit den Pflanzen lehren. Landesweit gibt es
rund 4000 Schüler-Arbeitsgruppen, die sich mit
dem urbanen Gartenbau beschäftigen.
Mittlerweile ist der ökologische Anbau von Obst
und Gemüse in den Stadtgärten, die "Viveros" oder
"Huertos" heißen, nicht nur kostengünstiger, sondern
auch produktiver als der konventionelle Anbau
auf großen Feldern.
Nach Angaben des kubanischen Landwirtschaftsministers
Gustavo Rodríguez produziert Kuba mehr
als 50 Prozent des Obstes, des Gemüses und der
Gewürze in diesem Sektor. 2010 wurden Kubas
Anstrengungen mit dem weltweit bedeutendsten
Umweltpreis, dem Goldman Environmental Prize,
belohnt. Er wurde an Humberto Ríos übergeben,
einen kubanischen Wissenschaftler, der für die Rückkehr
zu traditionellen Anbaumethoden eintritt. Im
April 2015 fand der Kongress zur urbanen, sub -
urbanen und familiären Landwirtschaft das zweite
Mal statt und soll auch in den nächsten Jahren den
nationalen wie auch internationalen Austausch
stärken. 2015 nahmen am Kongress Fachleute und
Produzenten aus 25 Ländern und von 37 kubanischen
Einrichtungen teil. Fast 200 relevante Veröffentlichungen
zum Thema wurden diskutiert.
Die urbane Landwirtschaft bringt viele weitere
Vorteile mit sich. Sie leistet nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Sicherung der
Nahrungsmittelsouveränität durch die Verbesserung der lokalen
Selbstversorgung, sondern schafft auch viele feste
Arbeitsplätze (bisher 300000) mit guter Entlohnung
(1000 Peso nacional pro Monat, fast das Doppelte
des kubanischen Durchschnittslohns) und kostenfreier
Versorgung mit Frühstück und Mittagessen.
Die erzielten Gewinne werden unter den Arbeitern
aufgeteilt – eine zusätzliche Motivation.
Die Qualität der produzierten Waren ist unschlagbar:
Die Produkte werden frisch vom Feld,
in voller Reife, ohne Pestizidrückstände, ohne Konservierungsmittel,
ohne klimaschädlichen Transport
und ohne Verpackung direkt an die Verbraucher
abgegeben. Geschlossene Kreislaufsysteme sorgen
dafür, dass die kubanische Gartenmethode – im
Gegensatz zur industriellen Methode – eine sehr
hohe Energie effizienz aufweist. Ganz nebenbei wurde
die Sortenvielfalt stark erhöht, und viele alte
Sorten konnten wieder etabliert werden. So werden
heute bis zu 150 verschiedene Obstsorten angebaut.
Die Samen für eine nachhaltige Landwirtschaft
werden selber produziert, der Überschuss
wird verkauft oder mit anderen Gärten getauscht.
Auch die Luft in Havanna ist besser geworden,
und die Stadt wirkt grüner. Unansehnliche Mülldeponien
und andere ungenutzte, versiegelte Flächen
wurden renaturiert und zu Garten- und Ackerbauflächen umfunktioniert.
Auch für einen grünen Tourismus leisten die kleinen
Gärten ihren Beitrag. Viele Hotels, Restaurants
und Casas Particulares versorgen ihre Gäste mit
Gemüse von nebenan wie z.B. das vegetarische Restaurant
in Las Terrazas. Der vor vielen Jahrzehnten
als Nutzgarten gegründete "Jardín Botánico de Viñales"
ist heute sogar eines der touristischen Highlights
der Region. Viele dieser Nachbarschaftsgärten
sind gleichzeitig ein Treffpunkt für die Menschen
und Sitz verschiedener sozialer Projekte und stärken
damit den Zusammenhalt der Gemeinschaft. So
auch das von Cuba Sí unterstützte Projekt "Patio
Pelegrín" in der Provinz Pinar del Río, das für Jung
und Alt ein grüner Ort der Begegnung geworden ist.
Mit dem begonnenen Prozess der Verbesserung
der Beziehungen zwischen den USA und Kuba wollen
nun auch verstärkt US-Firmen ihre Produkte in
Kuba vertreiben. So reisten im März 2015 ca. 100
Vertreter der US-Landwirtschaftsindustrie (darunter
auch Pestizid- und Düngemittelhersteller) auf die Insel,
um ihre Möglichkeiten auszuloten. Kuba wird
viel Kraft aufbieten müssen, um sein eigenes Landwirtschaftsmodell
weiterzuent wickeln, vor allem
aber, um dem Druck multinationaler Konzerne wie
Monsanto standhalten zu können.
Die Stadtgärten in Kuba – entstanden in der Notsituation
der 1990er Jahre – haben auf der Insel
eine wahrhaft grüne Revolution hervorgebracht.
Aber die Idee hat nicht nur in Kuba Anhänger: Auch
in den Großstädten Europas ist Urban Gardening
kein Fremdwort mehr – in Spanien durch die Wirtschaftskrise
oder in Deutschland durch den Wunsch
nach gesunden, pestizidfreien Nahrungsmitteln.
Überall entwickeln sich private Initiativen, die an -
fangen, ihre Lebensmittel wieder selbst her zustellen.
Jeder, der sich für alternative Versorgungssysteme
interessiert, die nicht nur sozial, sondern auch ökologisch
und wirtschaftlich nachhaltig sind, sollte
den Entwicklungen in Kuba große Aufmerksamkeit
schenken. Denn neue Wege der Nahrungsmittel -
produktion sind längst überfällig. "Regionaler Biolandbau
ist keine alternative Technologie", sagt
Miguel Salcines, Leiter des Organopónico Vivero
Alamar, "sondern der einzige Weg, die Welt davor
zu bewahren, fruchtbare Böden und Wasserressourcen
unwiederbringlich zu zerstören."
Anika Dreilich
Cuba Sí - revista, 1/2016