Medienpropaganda gegen Kuba
Am 25. September 2022 wurde in Kuba per Volksabstimmung über ein neues Familiengesetz entschieden. Bei einer Beteiligung von 74,12 Prozent aller Wahlberechtigten (6,3 von 8,4 Millionen) votierten mehr als zwei Drittel für die Vorlage. 3,95 Millionen Ja-Stimmen (66,85 Prozent) standen 1,96 Millionen Ablehnungen (33,15 Prozent) gegenüber. Das meldete zwei Tage später die Tageszeitung "Granma" auf ihrer Titelseite unter Berufung auf das offizielle Endergebnis der Wahlkommission.
Diesem Resultat vorausgegangen war eine monatelange intensive Diskussion in der Öffentlichkeit. In zehntausenden Betriebs- und Nachbarschaftsversammlungen wurde über den Entwurf informiert und diskutiert. Dabei wurden hunderttausende Vorschläge entwickelt, dem Parlament zur Diskussion vorgelegt und in die Debatte der Abgeordneten aufgenommen. Das auf diese Weise entwickelte Gesetz gehört sicherlich zu den modernsten seiner Art weltweit. In europäischen Medien wurde dabei vor allem darauf abgehoben, dass Kuba nun ebenfalls die "Ehe für alle", also gleichgeschlechtliche Partnerschaften, eingeführt habe. Doch eine solche Sichtweise greift zu kurz. Das neue Gesetz enthält darüber hinaus umfangreiche Regelungen für einen gleichberechtigten Umgang in der Partnerschaft und zum Schutz vor Gewalt in der Familie. Spannend ist darüber hinaus auch, dass in dem neuen Kodex alle Formen der Familie gleichermaßen geschützt werden, unabhängig von ihrer jeweiligen Gestalt. Bedingung für die Existenz einer Familie ist demnach nicht mehr eine von Standesamt oder Kirche abgesegnete Ehe zwischen Mann und Frau. Akzeptiert wird vielmehr jede Form des dauerhaftem Zusammenlebens von Menschen.
Es ist wenig überraschend, dass das Gesetz in der kubanischen Gesellschaft nicht unumstritten war. Vor allem von Seiten der Katholischen Kirche, protestantischer Gemeinden und evangelikaler Gruppen gab es Kritik. So hatten die katholischen Bischöfe ausdrücklich dazu aufgerufen, das Familiengesetz im Referendum abzulehnen. Lautstark waren auch die Versuche der Einflussnahme aus dem Ausland. Vor allem die aus den USA nach Kuba sendenden Radio- und Fernsehstationen haben massiv versucht, die Kubanerinnen und Kubaner entweder zum Boykott der Abstimmung oder zur Abgabe von "Nein"-Stimmen zu bewegen. Dabei ging es inhaltlich nicht um das Gesetz, sondern nur darum, der kubanischen Regierung eine Niederlage beizubringen. Ihr Traum war eine mehrheitliche Ablehnung des Gesetzes. Gelungen ist das nicht.
Trotz des klaren Ergebnisses versuchten ausländische Medien, das Resultat entsprechend ihrer Interessen umzudeuten. So veröffentlichte die "Deutsche Welle", der aus Steuergeldern finanzierte offizielle Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland, am 30. September 2022 auf der deutschsprachigen Homepage einen Kommentar, in dem das Ergebnis als "herbe Niederlage für Kubas Kommunisten" bezeichnet wurde. Die "deutsche Sicht" auf das Referendum in Kuba stammte in diesem Fall allerdings nicht von einem Redakteur in der Kölner Sendezentrale, sondern von Yoani Sánchez. Das fällt nur auf, wenn man auf den oben rechts auf der Internetseite in einem Kasten angegebenen Namen der Autorin achtet, ansonsten ist dieser Artikel von seiner ganzen Aufmachung her ein regulärer Teil der Homepage. Wenn man über die Suchfunktion der Seite nach dem kubanischen Familiengesetz sucht, ist dieser Kommentar das wichtigste Ergebnis – auch wenn es andere nachrichtliche Beiträge gab.
Yoani Sánchez wurde vor 47 Jahren in Havanna geboren, studierte an der Universität Literaturwissenschaft, arbeitete später aber als Spanischlehrerin für Touristen. 2002 verließ sie Kuba und lebte zwei Jahre in Zürich. 2004 kehrte sie dann aber nach Kuba zurück. Bei Wikipedia heißt es dazu, der Grund sei "Sehnsucht nach ihrer Heimat und Familie" gewesen.
Kaum war Sánchez zurück in Kuba, gründete sie ein Onlinemagazin, etwas später dann die Internetseite "Generación Y". Seither wird sie in großen Medien als "Bloggerin" hofiert. Sie hatte eigene Kolumnen in der spanischen Tageszeitung "El País" und in der deutschen "taz", durfte im spanischen Programm der "Deutschen Welle" eine eigene Sendung moderieren und so weiter. Sie betreibt ihr eigenes Online-Portal "14 y medio" und ist regelmäßig auf Twitter präsent.
Interessant ist auch, mit wem sich Frau Sánchez bevorzugt ablichten lässt. Es gibt gemeinsame Fotos unter anderem mit dem jetzigen US-Präsidenten Joe Biden, die während dessen Zeit als Vizepräsident unter Barack Obama entstanden. Eine andere Aufnahme zeigt Sánchez mit Brasiliens ultrarechtem, inzwischen zum Glück abgewähltem Präsidenten Jair Bolsonaro. Auch Spaniens früherer Regierungschef José Maria Aznar, der das Land an der Seite der USA in den Irak-Krieg geführt hatte, gehörte bereits zu ihren dokumentierten Gesprächspartnern.
Kommen wir zurück auf die Deutsche Welle. Direkt nach dem Referendum und zwei Tage vor dem Kommentar von Yoani Sánchez erschien am 28. September 2022 auf der Homepage ein anderer Artikel zum Familiengesetz. Die Überschrift "Ehe für alle – Kuba kann doch noch Revolution" versprach zunächst einen positiven, wenn auch vermutlich verkürzten Blick auf die politische Entwicklung der Karibikinsel. Tatsächlich jedoch konzentrierte sich der Autor, Oliver Pieper, in seinem Beitrag darauf, Fidel Castro und Che Guevara zu attackieren. Pieper fragt nämlich: "Was hätten wohl Fidel Castro und Che Guevara zu diesem historischen Tag in Kuba gesagt? Der Máximo líder und der weltweit berühmteste Revolutionär, die Homosexuelle hassten."
Zur Einordnung dieser rhetorischen Frage ein Gedankenspiel: Der Deutsche Bundestag führte 2017 die "Ehe für alle" in Deutschland ein – das ist auch erst rund fünf Jahre her. Gab es damals bei der Deutschen Welle einen Beitrag, der im selben Tenor fragte: "Was hätten wohl Konrad Adenauer und Ludwig Erhard zu diesem historischen Tag in Deutschland gesagt? Die Kanzler, unter denen etwa 50.000 Männer wegen Verstoß gegen den ‚Schwulenparagraphen‘ 175 StGB verurteilt wurden." Man mag einwenden, dass Adenauer und Erhard schon lange tot sind und die Verfolgung von Homosexuellen in Westdeutschland Jahrzehnte her ist. Stimmt, aber gilt das nicht genauso für diese Che und Fidel in den Mund gelegten Aussagen?
Ches Tochter Aleida Guevara bestreitet vehement, dass ihr Vater gegenüber Schwulen und Lesben feindlich eingestellt gewesen sei. Die Repression, die es nach dem Sieg der Revolution gab, habe sich nicht gegen die sexuelle Orientierung der Betroffenen gerichtet, sondern sei in deren gegenüber den gesellschaftlichen Veränderungen feindseligen Haltung begründet gewesen.
Che Guevara wurde 1967 auf Befehl des US-Geheimdienstes CIA in Bolivien ermordet – jüngere Aussagen von ihm kann es also nicht geben. In den Vereinigten Staaten wurden in dieser Zeit Homosexuelle von Polizei und Geheimdiensten brutal verfolgt und schikaniert. Zwei Jahre nach Ches Tod 1969 gingen die Sicherheitskräfte in New York gewaltsam gegen schwule und lesbische Besucherinnen und Besucher der Bar "Stonewall Inn" vor. Erstmals wehrten sich die Betroffenen damals aktiv gegen die Übergriffe. Die Razzia und der Widerstand gelten deshalb heute als Ursprung der Christopher-Street-Day-Proteste. In der Bundesrepublik Deutschland galt zu dieser Zeit der Homosexualität unter Strafe stellende Paragraph 175 StGB in der 1935 von den Nazis verschärften Fassung. Erst 1994 wurde der "Schwulenparagraph" im wiedervereinigten Deutschland endgültig abgeschafft – nachdem die DDR das bereits 1988 getan hatte. Kein Grund also für die Deutsche Welle, vom hohen Ross aus über Kuba zu urteilen.
Und wie sieht es mit der Haltung Fidel Castros aus? In einem großen Interview, das der spanische Journalist Ignacio Ramonet mit dem langjährigen kubanischen Präsidenten führte und das 2006 in Buchform erschien, gibt es eine lesenswerte Passage zum Umgang mit Homosexuellen in Kuba. Darin erklärt Castro unter anderem: "In Bezug auf die Homosexuellen gab es sehr starke Vorurteile. Ich werde das jetzt nicht abstreiten, den Teil der Verantwortung, der mir zufällt, trage ich. Ja, die Homosexuellen waren Opfer von Diskriminierung. Anderswo noch sehr viel mehr als hier, aber ja, sie waren in Kuba Opfer von Diskriminierung. Zum Glück hat eine sehr viel gebildetere Gesellschaft dieser Vorurteile überwunden. (…) In den gebildeten Schichten gab es weniger Vorurteile gegenüber den Homosexuellen. Aber in den Schichten mit fehlender Kultur – in einem Land, das zu dieser Zeit noch 30 Prozent Analphabetismus hatte – waren die Vorurteile gegen die Homosexuellen sehr stark..."
Was also "hätten wohl Fidel Castro und Che Guevara zu diesem historischen Tag in Kuba gesagt"? Vermutlich genau das, was Fidel in dem Interview geäußert hat! Es scheint, als gelte hier mal wieder de Redensart: Recherche kann das schönste Vorurteil zerstören.
Geschichte der Propaganda gegen Kuba
Seit Beginn ihres Kampfes gegen die von den USA unterstützte Diktatur von Fulgencia Batista sahen sich Kubas Revolutionäre in vielfältiger Form der gegen sie gerichteten Propaganda gegenüber. Während des Guerillakrieges in der Sierra Maestra zwischen 1956 und 1959 verbreitete das Regime wiederholt Meldungen, wonach Fidel Castro oder andere bekannte Widerstandskämpfer getötet worden seien, um die Reihen der Aufständischen zu schwächen und zu spalten. Diese Versuche scheiterten unter anderem an der Existenz von "Radio Rebelde", dem von Che Guevara begründeten Rundfunksender der Guerilla. Dessen Sendungen wurden damals von zahlreichen Radiostationen in Mittel- und Südamerika übernommen, so dass die Stimme der "Bewegung 26. Juli" auf dem ganzen Kontinent zu hören war.
Nur gut ein Jahr nach dem Sieg der Revolution richtete der US-Geheimdienst CIA dann einen gezielt gegen Kuba gerichteten Sender ein. Der Name der Station, "Radio Swan", bezog sich auf die Insel vor der Küste von Honduras, von wo aus die Programme ausgestrahlt wurden. Da Washington eine direkte Beteiligung an dem Sender abstritt, wurden die technischen Geräte von "Radio Free Europe" geliefert. Dieser von München (und heute von Prag) aus nach Osteuropa sendende US-Propagandakanal stellte sich damals als regierungsunabhängiger Privatsender dar, dessen Arbeit von einer Vielzahl Spenderinnen und Spendern finanziert werde. Tatsächlich stand aber von Anfang an der US-Geheimdienst hinter den Sendungen von "Radio Free Europe" und dessen gegen die Sowjetunion gerichtete Schwesterstation "Radio Liberty", genauso wie hinter "Radio Swan".
Hauptaufgabe von "Radio Swan", das sich zeitweilig auch "Radio Américas" oder "Radio Cuba Libre" nannte, war die Vorbereitung der Invasion in der Schweinebucht. Als die konterrevolutionären Truppen im April 1961 in Playa Girón auf Kuba landeten, verbreitete der Sender unermüdlich Falschmeldungen, um die Verteidiger zu verwirren. Das gelang nicht, die Invasion in der Schweinebucht scheiterte innerhalb von 72 Stunden. Dies sei die erste Niederlage des US-Imperialismus auf dem amerikanischen Kontinent gewesen, heißt es seither stolz in der kubanischen Geschichtsschreibung. Damit erinnert man indirekt auch daran, dass die Invasion in der Schweinebucht und auch der Einsatz von "Radio Swan" einem sieben Jahre alten Beispiel gefolgt waren.
1954 hatte eine von den USA ausgerüstete und ausgebildete Söldnertruppe den Präsidenten Guatemalas, Jacobo Arbenz, durch einen Putsch gestürzt, weil dessen Politik die wirtschaftlichen Interessen mächtiger US-Konzerne in der Region bedrohte. Auch damals war der Staatsstreich durch einen illegalen Sender, "La Voz de la Liberación" (Die Stimme der Befreiung), vorbereitet und begleitet worden. Allerdings analysierten die Kubaner die Erfahrungen in Guatemala genau. Che Guevara selbst hatte sich zum Zeitpunkt der Ereignisse in dem mittelamerikanischen Land aufgehalten und seine Erfahrungen später ausführlich ausgewertet, unter anderem in einem bereits 1954 veröffentlichten Artikel unter dem Titel "Das Dilemma Guatemalas".
Die Operation Peter Pan (in Kuba operación pedro pan) war eine Maßnahme,
um den Kubanern Angst und Schrecken vor der jungen revolutionären
Regierung einzujagen. Indem man kubanische Eltern glauben
ließ, die kommunistische Regierung entziehe ihnen das Sorgerecht für
ihre Kinder und verschiffe sie anschließend in die Sowjetunion, wurden
über 14 000 Minderjährige in die USA geflogen. Das Propaganda Projekt
begann im Dezember 1960 und lief bis Oktober 1962.
Radio Americas sendete von einer Insel vor der Küste von Honduras |
Parallel zur Invasion in der Schweinebucht führte die US-Administration zwischen 1960 und 1962 gemeinsam mit dem katholischen Klerus unter dem Codenamen "Operation Peter Pan" eine weitere Propaganda- und Destabilisierungskampagne gegen Kuba durch. Washington verbreitete damals die Behauptung, dass die kubanische Regierung alle Kinder ab sechs Jahren ihren Eltern wegnehmen wolle, um sie "unter kommunistischer Kontrolle" zu erziehen. Erst wenn sie 18 Jahre alt seien, dürften sie nach Hause kommen. Als Beleg dafür wurde sogar ein gefälschtes Gesetz in Umlauf gebracht, das die Behauptungen belegen sollte. In der Folge der so geschürten Panik wurden durch die US-Botschaft und die katholische Kirche rund 14.000 Kinder und Jugendliche aus Kuba in die USA gebracht. Den Eltern, die meist der Mittelschicht angehörten, wurde versichert, dass sie ihre Kinder wiedersehen würden, sobald das "Castro-Regime" gestürzt sein würde. Als der Sturz aber ausblieb, verweigerten die USA vielen Kindern und ihren Eltern die Familienzusammenführung.
Diese Episode ist in Kuba bis heute im kollektiven Gedächtnis lebendig geblieben. 2010 schrieb Manuel E. Yepe im Internetportal "Cubadebate" von einer verbrecherischen Entführung tausender Kinder, Fidel Castro nannte die "Operation Peter Pan" 2009 in einer seiner "Reflexionen" ein "zynisches Werbemanöver, die den Nazi-Propagandaminister Goebbels vor Neid hätte erblassen lassen". Es ist vor diesem Hintergrund vermutlich kein Zufall, dass es im neuen Familiengesetz auch einen Abschnitt gibt, in dem Kindern und Eltern das Recht garantiert wird, zusammen zu sein.
"Radio Swan" wurde 1968 eingestellt, aber in den folgenden Jahrzehnten folgten zahlreiche weitere offene oder geheime Sender, die von antikommunistischen Gruppen aus den USA oder Lateinamerika betrieben wurden, entweder von eigenen Anlagen aus oder über gemietete Zeiten bei kommerziellen Rundfunksendern vor allem in Florida. Einer von ihnen, "La Voz del CID" (Die Stimme des unabhängigen und demokratischen Kuba), sendete bis in die 90er Jahre hinein von Venezuela aus und präsentierte sich als Sender einer Gegenregierung, die bald die Macht in Kuba übernehmen werde. Ein anderer Sender nannte sich "La Voz de Alpha 66" und gehörte der gleichnamigen paramilitärischen Gruppierung an, die für Terroranschläge und bewaffnete Überfälle auf Kuba verantwortlich ist. Die US-Administration tolerierte das auch nach den eigenen Gesetzen illegale Treiben der Schwarzsender, solange sich Hetze und Anschläge nur gegen Havanna richteten. Eine eigene Verantwortung stritt Washington ab, bis 1985 die Reagan-Administration dann ihren eigenen staatlichen Propagandakanal unter dem Namen "Radio Martí" lancierte. Damit bezog sich die US-Propaganda ausgerechnet auf José Martí, den kubanischen Nationalhelden, der zu Lebzeiten kein Freund der USA war. Seit 1990 betriebt man dazu noch einen eigenen Fernsehkanal und inzwischen auch eine massive Präsenz der Marke "Martí" im Internet und in den "sozialen Netzwerken". Finanziert wird dieser Aufwand großzügig aus dem Staatshaushalt der USA, die jährlichen Finanzmittel für "Radio und TV Martí" belaufen sich auf rund 800 Millionen Dollar.
Ein Problem für die Glaubwürdigkeit dieser Programme beim Zielpublikum in Kuba ist, dass klar ist, woher der Wind weht, denn man verheimlicht nicht, die Stimmen Washingtons zu sein. Der Erfolg der Propaganda ist dementsprechend nach allen vorliegenden Informationen mager. Erhebungen zufolge ist die Zahl derjenigen, die zumindest gelegentlich "Radio Martí" eingeschaltet haben, in den vergangenen Jahrzehnten nie über zehn Prozent der kubanischen Bevölkerung gestiegen, die Einschaltquote für "TV Martí" lag und liegt sogar bei unter einem Prozent.
Deshalb werden die offiziellen Medien aus den USA vor allem in den "sozialen Netzwerken" durch "schwarze Propaganda" ergänzt, deren Herkunft möglichst verschleiert werden soll. Im Jahr 2018 berichtete die Zeitung "Miami News Times" darüber, dass die US-Administration Mittel bereitgestellt habe, um Kubanerinnen und Kubaner anzuwerben, die von Washington produzierte Inhalte auf privaten Seiten verbreiten sollen. Es geht dabei nicht um die Unterstützung eines angeblichen "unabhängigen Journalismus", wie Washington die Finanzierung von den USA nahestehenden Publizisten in Kuba umschreibt. Vielmehr geht in diesem Fall darum, dass die Inhalte direkt vom U. S. Office of Cuba Broadcasting produziert werden, damit die Kubaner sie auf ihre Profile kopieren.
Zugleich wird die Präsenz kubanischer Medien, Persönlichkeiten und staatlicher Stellen auf Twitter, Facebook usw. regelmäßig behindert oder eingeschränkt. So wurden 2019 während einer wichtigen Rede des kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel, in der dieser über die in Kuba als Folge der US-Aggression gegen Venezuela auftretenden Versorgungsprobleme informierte, die Twitter-Kanäle des Staatschefs, der Zeitungen "Granma" und "Juventud Rebelde", des kubanischen Fernsehens und andere gesperrt. Eine Begründung dafür blieb Twitter schuldig.
Für antikommunistische Medienkampagnen steht das Netzwerk dagegen problemlos zur Verfügung. Im Juli 2021 verbreitete sich auf Twitter der Hashtag "#SOS Cuba" innerhalb kürzester Zeit mehr als zwei Millionen Mal. Verstanden werden sollte dieses Schlagwort als Kritik am Umgang der kubanischen Behörden mit der Coronavirus-Pandemie.
Natürlich haben die Kubanerinnen und Kubaner das Recht, sich über ihre Regierung zu beschweren und das auch über Twitter, Facebook usw. zu verbreiten. Allerdings wurde der besagte Hashtag "#SOSCuba" nicht von Kuba aus initiiert, sondern stammte aus Spanien. Allein am 10. und 11. Juli 2021 wurden von einem einzigen Account mehr als 1000 Tweets unter dem Hashtag verbreitet, alle fünf Sekunden einer. Kurz darauf stiegen dann zahlreiche weitere Accounts in die Kampagne ein. Allerdings waren mehr als 1500 dieser Channels auf Twitter erst am selben Tag, also am 10. Juli 2021, gegründet worden. Die wenigsten von ihnen stammten aus Kuba, sondern vor allem aus Südamerika.
Das Ziel solcher Kampagnen ist letztlich, die im virtuellen Raum verbreitete Empörung in einen Wutausbruch ins echte Leben zu überführen. Das gelang der Kampagne "SOS Cuba" nicht. Die Betreiber konnten allerdings einige Prominente dazu bewegen, dass diese auf ihren Internetkanälen Postings mit "#SOSCuba" verbreiteten. Die meisten von ihnen, zum Beispiel der Sänger Daddy Yankee, taten aber nicht mehr, als nur diese kurze Botschaft abzusetzen, auf weitere Kommentare oder Einordnungen verzichteten sie. In Berichten großer Medien wurde das allerdings in einer Weise dargestellt, als hätten diese Künstler, Musiker und Schauspieler die Politik in Kuba wortreich verurteilt.
Die Künstler aus den USA hätten allerdings Grund genug gehabt, zunächst einmal vor der eigenen Haustür zu kehren. Die Johns Hopkins University hat für die Vereinigten Staaten 1,1 Millionen an oder mit Corona verstorbene Menschen gezählt, für Kuba 8530. Das ist auch, wenn man die unterschiedliche Bevölkerungszahl berücksichtigt, ein deutlich erkennbarer Unterschied. Während Havanna von Anfang an energische Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ergriff und zugleich den am meisten betroffenen Ländern – wie Italien – mit der Entsendung von Ärztinnen und Ärzten zu Hilfe kam, wurde die Krankheit in den USA u. a. von Präsident Donald Trump verharmlost. Wie in den 1950er Jahren, als die Batista-Diktatur in Falschmeldungen vom Tod Fidel Castros phantasierte, kursieren auch heute Fake News, die sich durch die Strukturen der "sozialen Netzwerke" in Windeseile verbreiten. So erschien am 11. Juli 2021 – also in der Hochphase der "SOS Cuba"-Kampagne - auf Twitter eine Meldung, nach der Raúl Castro aus Kuba nach Venezuela geflohen sei. Belegt werden sollte das mit einem Foto, das Castro beim Verlassen eines Flugzeugs zeigt. Dieses sei um 23.37 Uhr Ortszeit in Caracas aufgenommen, hieß es in einem Tweet, der fast 2000 Mal geteilt wurde. Wie jedoch eine umgekehrte Bildersuche z. B. bei Google schnell zeigen konnte, stammte das Bild schon aus dem Jahr 2015 und zeigt die Ankunft Castros in Costa Rica zu einem Gipfeltreffen der Lateinamerikanischen und Karibischen Staatengemeinschaft CELAC.
Ein gutes Jahr später, am 5. Oktober 2022, wurde ein Tweet verbreitet, auf dem angebliche Massenproteste auf dem Malecón, der Küstenstraße von Havanna, zu sehen sein sollten. Der Text dazu lautete: "Historischer Tag für Kuba - So sieht der Malecón von Havanna aus. Niemand kann die Freiheit aufhalten". Allerdings zeigte die Aufnahme nicht den Malecón, sondern die ägyptische Stadt Alexandria. Das Foto entstand während einer großen Protestdemonstration am 11. Februar 2011 und wurde damals unter anderem auf der Homepage der US-Propagandasender Radio Free Europe und Radio Liberty verbreitet.
Nicht alle Lügen und Halbwahrheiten über Kuba und andere Länder sind immer so leicht zu durchschauen und zu widerlegen. Doch als Warnung sind sie wertvoll: Kuba war, ist und bleibt das Ziel massiver Propaganda gegen seine Regierung und sein Gesellschaftssystem, solange es sich nicht der von den USA dominierten "neuen Weltordnung" unterwirft.
André Scheer
CUBA LIBRE 2-2023