Kubas neues Familiengesetz.
Deutschland und Kuba zeigen sich derzeit ganz unterschiedlich. Hier hat die Corona-Krise den vollständigen Bankrott neoliberalen Geldgötzenwahnsinns aufgezeigt. Es mangelt nicht an Menschen, doch an qualifiziertem Personal nicht nur im weitgehend privatisierten Gesundheitswesen. Die Qualifizierung und Ausbildung menschlichen Potentials wurde als unnützer Kostenfaktor abgetan und hätte rechtzeitig erfolgen müssen. Der zum Hungergerippe "verschlankte" Nachtwächterstaat erschöpft sich in lauen Empfehlungen und vernachlässigt überall seine Aufgaben. Er ist nicht willens, das durchzusetzen, was getan werden muss, und verliert zunehmend den Respekt unterschiedlichster gesellschaftlicher Sektoren – ein Vakuum deutet sich an. Während die Liberalen eigentlich im Boden versinken müssten, wenn sie so etwas wie Schamgefühl überhaupt besäßen, sind die anderen Parteien in weiten Teilen bereits vom gleichen Geiste benebelt.
Der wirtschaftliche Liberalismus hat einmal mehr gezeigt, dass er abgewirtschaftet hat. Wer jedoch nur die Mehrung des ohnehin schon obszönen Reichtums einer Minderheit im Blick hat und die Mehrheit der Menschen zu immer unhaltbareren Lebensbedingungen herabwürdigt, wird weiter Gas geben, bis er an irgendeinem Punkt die bestehenden Strukturen total an die Wand gefahren hat.
Dagegen existiert das sozialistische Kuba, das hier beständig als gescheitertes Gesellschaftsmodell schlecht geredet wird, tatsächlich auf soliden Fundamenten. Die Corona-Krise wurde durch einen innovativen staatlichen Wissenschafts- und Pharmasektor, durch motivierte Menschen sowie eine umfassende und niemand ausgrenzende Sozialpolitik mit erstaunlicher Souveränität bewältigt. Jetzt wurde in Kuba der Entwurf eines neuen Familiengesetzes vorgelegt. Es steht zur öffentlichen Diskussion und dann zur Abstimmung durch die Bevölkerung.
Das derzeit noch gültige Familienrecht aus dem Jahre 1975 war damals bereits sehr fortschrittlich. So forderte es beispielsweise die Aufteilung der Hausarbeit zu gleichen Teilen zwischen Mann und Frau. Doch es war insgesamt noch sehr stark auf diese Geschlechterdualität zugeschnitten. Die speziellen Lebenslagen von Minderheiten wurden noch zum Teil – historisch und kulturell bedingt – nicht in dem Maße und in der Weise berücksichtigt, wie es heute angemessen erscheint. Doch erfolgten in der Zeit danach bereits weitergehende Reformen: So ist seit Ende der 1970er Jahre Homosexualität kein Straftatbestand mehr und der Militärdienst steht für diese Personengruppen seit 1993 offen. Geschlechtsumwandlungen bei transsexuellen Menschen sind seit 2008 möglich und die Kosten übernimmt das staatliche Gesundheitswesen.
Die "Ehe für alle" war bereits 2019 bei der Verabschiedung der neuen Verfassung ein Thema. Doch angesichts von Protesten religiöser, besonders evangelikaler Grüppchen, wurde sie erstmal herausgenommen, um bei der Abstimmung um die Verfassung dieser eine klare Mehrheit zu ermöglichen. Jetzt ist sie Bestandteil des neuen Familiengesetzes, ohne im Vordergrund zu stehen. "Wir wollen, dass unsere Bevölkerung die Vorteile, die dieses Gesetz bietet, versteht, dass es keine Lebensmodelle aufzwingt, dass es keinen Personen Rechte nimmt, um sie anderen zu geben, sondern dass es eine generelle Fähigkeit besitzt, Alternativen für die Lösung familiärer Konflikte aufzuzeigen" so Yamila González Ferrer, Vizepräsidentin der nationalen Union der Juristen Kubas (UNJC). Der Text thematisiert die Inklusion nicht nur von Personengruppen in Bezug auf sexuelle Orientierung, sondern auch von Älteren, von Menschen mit Behinderung und von Kindern und Heranwachsenden. Deren Selbstbestimmung soll befördert werden und ihre Interessen müssen von jedweder Autorität berücksichtigt werden. Die UNESCO äußerte sich bereits positiv und bestätigte dem Land, mit diesem Gesetzentwurf in Bezug auf die Rechte des Kindes einen bedeutenden Schritt nach vorne getan zu haben.
Gewalt in der Familie soll stärker ins Blickfeld gerückt und härter geahndet werden. Dagegen werden eine solidarische und liebevolle Form des Umgangs miteinander und entsprechende Kommunikationsmuster postuliert, welche die affektiven Bindungen zwischen allen Familienmitgliedern befördern sollen, ob sie durch Blutsbande bestehen oder durch Freundschaft. Die wesentliche Ergänzung zum Gesetz von 1975 ist, dass das neue Gesetz andere Familienmodelle sichtbar macht und ihnen auf der Basis des allgemeinen Menschenrechts und unter Beseitigung jeglicher Diskriminierung Raum gibt und den Respekt für Unterschiedlichkeit einfordert.
Der Familienkodex erkennt die kubanische Familie in ihrer Vielfalt und Komplexität an.
Foto: Razones de Cuba
Es wird interessant sein, wie sich die katholische Kirche dazu positioniert. Das gilt besonders auch für die evangelikalen Sekten, deren in weiten Teilen krude Weltsicht wie aus der Epoche der Dinosaurier anmutet und die, von den USA ausgehend, auf die lateinamerikanischen Länder herübergeschwappt sind. Man wird versuchen, sie einzubinden. Doch es kann auch zur Konfrontation kommen. Vielleicht machen sich diese eher marginalen Kräfte zu Handlangern erneuter Systemveränderungsversuche des US-Imperialismus, der bei jedem sich abzeichnenden gesellschaftlichen Dissenz versuchen wird, Öl ins Feuer zu gießen.
Doch dessen Wunschphantasien werden sich nicht erfüllen. Die große Mehrheit der Menschen Kubas ist gebildet und wird den humanistischen Ansatz dieser geplanten Reform verstehen und würdigen. Im tiefsten Sinne revolutionär ist an dem Text, dass er die Dichotomie männlich/weiblich weitgehend ignoriert und in einem umfassenden Sinne die Vision einer für alle gerechteren Gesellschaft aufzeigt. Das Ordnungselement der Unterscheidung zwischen Mann und Frau, welches tief im Bewusstsein der Menschheit verwurzelt ist, bildete seit Jahrtausenden bis heute die Rechtfertigung für unermessliches Leid, Unrecht und Unterdrückung. Hier wird ganz einfach seine scheinbare Bedeutung in Abrede gestellt, indem es nicht benötigt und beiseite gelassen wird. Aus der Welt geschafft ist es damit natürlich noch lange nicht. Dies wird erst geschehen, wenn die Menschheit die prähistorische Epoche ihrer Existenz hinter sich gelassen hat.
Wolfgang Mix
CUBA LIBRE 2-2022