Das Proyecto Tamara Bunke im Jahr 2020
Auch dieses Jahr begann an der Uferpromenade Havannas - dem Malecón habanero - mit den bekannten 21 cañonazos. Für uns Bunkistas, die aktuelle Gruppe des Proyecto Tamara Bunke, sollten diese Kanonenschüsse ein bewegtes Jahr einleiten. Unsere Unterrichteinheiten am Departamento de Marxismo arbeiteten wir fleißig durch, mal schwitzend unter einem Ventilator keuchend, mal frierend in Schals gehüllt.
Mit dem sich nähernden Ende unseres Unterrichts begannen auch schon langsam die Vorbereitungen für die Ankunft der neuen Gruppe. Wir nahmen uns vor, das Haus schön säuberlich zu putzen, um den Neuankömmlingen so den Kulturschock etwas zu erleichtern. Ihre Zimmer wurden vorbereitet und das Ankunftsessen geplant. Währenddessen waren wir natürlich zwischen dem Unterricht und den zahlreichen Sitzungen sowie auch in eine ganze Menge Aktivitäten involviert.
Wir begannen ein Kennenlern-Cafe zu veranstalten, bei dem wir den Raum für mehr Begegnung und Austausch mit anderen Studierenden, die am Campus leben, schaffen wollten. Unsere extra dafür erstellten Flyer hatten zugegeben erst mal nicht den gewünschten Erfolg erzielt, deshalb rieten uns einige unserer Gäste, stattdessen doch lieber ein wenig Musik durch die Boxen zu jagen, das wäre ein besseres Lockmittel für KubanerInnen. Damit hatten sie wahrscheinlich recht. Trotzdem tasteten wir uns langsam an die Sache heran und suchten die Begegnung, möglicherweise in einer für KubanerInnen etwas zu ernsten Art und Weise.
Am 27. Januar wird in Kuba der Geburtstag José Martís gefeiert, zu dessen Anlass alljährlich ein riesiger Fackelzug veranstaltet wird – la marcha de las antorchas. An diesem Abend drängen sich tausende Studierende auf die Universitätstreppen nahe der Alma Mater, um auf den Beginn des Fackelzuges zu warten. Auch wir schritten feierlich mit unserem Proyecto-Transparent durch die rauchige Nacht, bis uns Telesur um ein paar Worte bat, die wir natürlich bereitwillig gaben. Ähnliches ist uns in Kuba schon mehrfach passiert, auf irgendeine Weise scheinen die Dinge hier näher und g eifbarer zu sein. Man selbst fühlt sich wahrnehmbarer und als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Mosaiks.
Ein Erlebnis der ganz besonderen Art war die Besteigung des höchsten kubanischen Berges, des Pico Turquino. Teile unserer Gruppe hatten die große Freude mit dem movimiento de excursionismo Teil dieses unglaublichen Natur- und Gruppenerlebnisses zu sein. Nachdem die Blasen und Verletzungen des 30 km Marsches verheilt sind, bleiben uns nur noch diese wunderbaren Bilder im Kopf und der Wunsch, dass dieses Erlebnis wiederholt werden möge.
Auf diese Reise in den Süden Kubas folgte ein sehr bewegter Monat für uns. Der Februar war geprägt von unserer Reise nach Santa Clara und die Rückkehr auf die Isla de la Juventud, wenn auch nur für eine Woche. Die Reise nach Santa Clara fand im Rahmen unserer Zusammenarbeit mit dem Memorial Ernesto Guevara statt. Ziel der Reise war es, die dortige Forschungsgruppe in der Archivarbeit zu Tamara Bunke zu unterstützen. Wir brachten ihnen die von uns verwendete Datenbank näher und hatten tolle Einblicke in das Leben Tamara Bunkes, das Leben in der DDR und die internationalistischen Kämpfe der Familie Bunke. Ein unvergesslicher Moment war der Besuch der Gräber der guerriller@s. Wir hatten die große Ehre, an den Grabnischen der Kämpfer und Kämpferinnen, die an der bolivianischen Befreiungsbewegung teilgenommen hatten, frische Nelken anzubringen. Auch Tania la guerrillera hat zu Ches linker Seite ihren ewigen Ehrenplatz gefunden. Die feierliche Stille dieses Ortes werden wir immer in Erinnerung behalten.
Die Fahrt auf die Insel der Jugend dagegen war mit weniger Inspiration versehen, trotzdem ist die Einmaligkeit dieser Erfahrung kaum bestreitbar. Als wir uns nämlich um 5 Uhr morgens aus den Betten quälten, noch die letzten Sachen in unsere Rucksäcke stopften, die Küche in Höchstgeschwindigkeit einigermaßen von den Teller- und Essensbergen vom Vorabend reinigten, wussten wir noch nichts davon. Als wir zehn Minuten zu spät ächzend zum Bus liefen und einem innerlich schäumenden Julian, unserem Koordinator, gegenübertraten ahnten wir immer noch nichts davon. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass wir auch noch fast zwölf Stunden später am Busterminal in Havanna festsitzen würden. Wie sollten wir es auch erahnen, dass genau an diesem Tag der catamarán -die Fähre- den Geist aufgeben würde. So kam es, dass wir viele Stunden lang am Busterminal rumhingen. Interessant war es den Unterschied zwischen der Gruppe der Neuankömmlinge und der Gruppe der (6 Monate-)"alten Hasen" zu sehen. Während die frisch aus Deutschland Angereisten es kaum glauben konnten, wie so etwas geschehen kann und mit ihrem Schicksal schon etwas zu kämpfen hatten, war die Frustationstoleranz der schon länger in Kuba lebenden EuropäerInnen weitaus größer. Teilweise waren wir sogar selbst erstaunt, wie kubanisch wir die Situation aufnahmen. Ansonsten passierte auf der Insel nicht sehr viel Aufregendes, aber wir sahen FreundInnen und Professorinnen wieder und gingen an den Arseen-See zum Schwimmen.
Wieder zurück in Havanna kam bereits der März ins Land, und damit die juegos del 13 de marzo, die alljährlich um den Todestag des Namenspatrons der Cujae, Joséa Antonio Echeverría, stattfinden. Diese beiden Wochen zählen, den Studierenden nach zu urteilen, zu den besten Wochen des akademischen Jahres. Tatsächlich waren es sehr bewegte Tage, an denen die Cujae vor Elan und Kampfgeist nur so sprühte. Alle heraus war die Devise: es wurde trainiert, an Tournieren teilgenommen, die eigene Fakultät lauthals angefeuert. Leider wütete zu dieser Zeit in Europa bereits seit einigen Wochen das neuartige Covid-19-Virus, welches in diesen Wochen auch Kuba erreichen sollte. So wurde die feierliche Eröffnung der Spiele abgesagt, genauso wie die dazugehörige Party und letzendlich mussten auch die Spiele selbst abgesagt werden.
Corona-Informationsblatt an der CUJAE
Foto: Projecto Tamara Bunke
Mit der Ankunft des Virus in Kuba mussten schrittweise Maßnahmen ergriffen werden, die unseren Alltag grundlegend veränderten. So wurde der Universitätsbetrieb mit dem 24. März eingestellt, woraufhin alle kubanischen Studierenden das Cujae das Gelände verlassen mussten. Die Maßnahmen wurden zunächst für einen Monat festgelegt, also bis zum 20. April. Aufgrund dieser Entwicklungen ist die große Mehrheit der Proyecto-TeilnehmerInnen abgereist. Die September-Gruppe verpasste somit die Zeit des Abschiednehmens und -feierns, die Defensa und allerhand sonstige Höhepunkte der letzten Wochen in unserer zeitweiligen kubanischen Heimatstadt. Die Februar-Gruppe konnte durch die Ankunft des Virus gar nicht richtig ins Proyecto starten, was wir sehr bedauern.
Auch für das Proyecto als solches haben sich durch Covid-19 große, wenn auch vorübergehende, Veränderungen ergeben. Die Casa Tamara Bunke wurde kurzerhand in ein Isolationszentrum für Covid-19- Verdachtsfälle umstrukturiert und so wurden wir mit Sack und Pack in ein anderes Gebäude auf dem Gelände der CUAJE verlegt. Dort sitzen wir nun schon bereits seit Anfang April in Quarantäne – mittlerweile nur noch zu dritt- und lernen ganz neu, was es heißt, über seine Zeit frei zu verfügen.
Johanna Klammer
CUBA LIBRE 3-2020