Einem Dinosaurier die Stirn bieten


Seit 2014 zeichnet die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba gemeinsam mit der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) für das Proyecto Tamara Bunke verantwortlich.
Das Proyecto ermöglicht es jungen (und jung gebliebenen) Menschen, für ein halbes Jahr die Kubanische Revolution zu erleben, an der Technischen Hochschule CUJAE in Havanna Kurse zu belegen und auf dem Blog berichteaushavanna.de darüber zu berichten.
Die CL-Redaktion freut sich darüber, dass die Bunkisten, wie wir sie nennen, in jeder Ausgabe dieser Zeitschrift einen Artikel veröffentlichen, in dem sie ihre Erfahrungen beschreiben.


Wie die neuen "Bunkistas" die Lebensverhältnisse auf Kuba unter den Bedingungen der verschärften Blockade wahrnehmen.

Eng gedrängt sitzen wir im Bus, um mit dem Schiff weiter auf die Isla de la Juventud zu fahren. Es ist der erste Morgen für uns sechs neu angekommene Bunkistas. Unser Gepäck steht gestapelt in einer Ecke. Es fühlt sich seltsam an, zu sitzen und so viel Platz einzunehmen, während sich KubanerInnen an der offenen Bustür festhalten müssen, um zu ihren Arbeitsplätzen zu kommen. Eine Bunkista bietet einer älteren Señora ihren Sitzplatz an, den diese dankend annimmt, dafür hält sie ihre Tasche auf dem Schoß. Schon bald folgt trotz unseres holprigen Spanisch die Kontaktaufnahme mit den uns umgebenden Fahrgästen, sie lächeln uns an, gestikulieren wild und freuen sich über den Austausch.



Auf dem Weg zum Katamaran ist die Stimmung schon angespannter, ob die Fähre ablegen wird, ist ungewiss. Nach ausgedehnter Wartezeit legt die Fähre schlussendlich doch ab, vollgepackt mit zu transportierenden Warenpaketen und restlos ausgebuchten Sitzplätzen. Wir hatten Glück, denn am vorhergegangenen Abend des 12. Septembers, der Abend, an dem wir in Kuba landeten, gab der Präsident Miguel Diaz-Canel Bermudez ein öffentliches Fernsehinterview, im Zuge dessen bekannt gegeben wurde, dass neue Maßnahmen ergriffen wurden von den USA, um Kuba den Zugang zu anderen Währungen zu verwehren und große Bemühungen unternommen wurden, die der Verhinderung von Treibstofflieferungen dienen, beispielsweise durch unilaterale Maßnahmen die Abkommen mit Schiffsunternehmen behindern, die Kubas Versorgung mit Treibstoff sicherstellten. Aufgrund dieser Sanktionen haben sich einige ausländische Unternehmen zurückgezogen, was zu einem vorhersehbaren Engpass in der zweiten Septemberhälfte führte, dem die kubanische Regierung vorbeugend mit verschiedenen Maßnahmen entgegenzuwirken versuchte.

Die Fahrten öffentlicher Verkehrsmittel wurden stark reduziert. Es gab Aufrufe, Autos nur für das Allernotwendigste zu nutzen und möglichst vielen Personen eine Mitfahrgelegenheit anzubieten. Das Verkehren der Busse beschränkt sich vielerorts darauf, Personen zur Arbeit und zur Schule zu bringen. Der Unterricht an Universitäten wurde reduziert – und zugleich an den Schulen aufrechterhalten. Unsere Lehrkräfte berichten von erschwerten Arbeitsbedingungen und Schwierigkeiten in der Anreise. Auch die anderen Studierenden, die mit uns gemeinsam in der Residencia wohnen, können nur jedes zweite Wochenende in ihre 15 bis 20 km entfernten Heimatorte fahren. Uns ermöglicht dieser Umstand einen regen Austausch mit den jugendlichen KubanerInnen. Die politische Informiertheit und das Bewusstsein, welches diese an den Tag legen, beeindruckt uns immer wieder. Der Wissens-, Erfahrungs- und Solidaritätsaustausch ist für uns eine Bereicherung in vielerlei Hinsicht.

Für uns als Projektgruppe bedeuten die US-Blockade und ihre Verschärfung, dass wir – anders als unsere Vorgängergruppen – nicht die Möglichkeit hatten, die Isla de la Juventud zu erkunden und die legendäre Unberührtheit und Einsamkeit ihrer Strände zu genießen. Derzeit stellt schon das Teilnehmen an den von der Universität geplanten Veranstaltungen außerhalb unseres Dorfes eine große Herausforderung dar. Sowohl für uns als auch für unsere ProfessorInnen, welche teilweise große Umstände in Kauf nehmen, um aus ihren Dörfern in die Stadt zu kommen. Veranstaltungen werden verschoben, abgesagt oder verlegt. So leben wir in der Abgeschiedenheit unseres kleinen Dorfes, werden von unseren ProfessorInnen liebevoll unterstützt und erfahren von der Dorfgemeinschaft viel Solidarität, sei es bei etwaigen Ausfällen bei der Wasserversorgung, der Suche nach Lebensmitteln oder der Umsorgung unseres kleinen zugelaufenen Straßenhündchens.

Die Reduktion der öffentlichen Fahrten führt im Transport zu überquellenden Bussen, langen Wartezeiten, Ungewissheit, aber auch sehr viel Solidarität. Den KubanerInnen ist bewusst, dass sie wortwörtlich näher zusammenrücken müssen, um diese Zeit der Knappheit durchzustehen. Die kubanische Regierung versucht den Menschen so viel Stabilität wie möglich zu geben und vermittelt ihnen zugleich das Gefühl von Selbstermächtigung. Schulen bleiben geöffnet, die Kommunikation bleibt offen und ehrlich. Wenn wir eine Straße entlang laufen, kommen zwar nicht viele Autos vorbei, aber wenn, wird man gern mitgenommen. Bei unseren Fahrten im Kleinlastwagen sitzen wir dicht an SchülerInnen und ArbeiterInnen gedrängt. Diese Transporte müssen wir aufgrund der Treibstoffknappheit Tage im voraus planen. Auch beim Fahrstil fällt auf, dass sparen angesagt ist, so stellt der Fahrer bei bergabgehenden Straßenabschnitten den Motor ab.

Auch der Warentransport konzentriert sich größtenteils auf das überlebenswichtige. Der Transport und die Produktion von Grundnahrungsmitteln werden priorisiert. Grundlegende Nahrungsmittel standen uns bis dato immer zur Verfügung. Kommt es zu Ausfällen von Nahrungsmitteln, welche mehr dem Genuss dienen, gibt es ebenso schnell Bemühungen, eine Alternative zu finden. Bei den Feierlichkeiten zu dem 60. Jubiläum der Nachbarschaftsorganisationen (CDR) erzählte man uns auch, dass es in den vorhergegangenen Jahren eine größere Auswahl an Gerichten gegeben hätte, dennoch können wir verschiedene Süßigkeiten und Leckereien probieren und essen um Mitternacht mit den anderen "Caldoza", eine überaus nahrhafte Suppe aus Wurzelgemüse und Fleisch.

Wie überall auf Kuba wird auch auf der Isla de la Juventud im öffentlichen Sektor in den Stoßzeiten Strom gespart. In unseren Unterrichtsstunden merken wir das daran, dass ab 11 Uhr der Ventilator, das Licht und der PC ausfallen. Ungeachtet dieser Einschränkungen bemühen sich unsere Professorinnen und Professoren um die Aufrechterhaltung der Qualität unseres Unterrichts.

Trotz der Solidarität, welche eine Voraussetzung für das Fortbestehen der sozialistischen Revolution ist, wird die Härte der Blockade immer wieder ersichtlich. Kuba ist, wie die meisten Länder, von Erdölimporten abhängig. Das Leben der KubanerInnen hängt an Brennstoffen, welche sowohl in der industriellen als auch in der landwirtschaftlichen Produktion und für wichtige Medikamenten- und Lebensmitteltransporte unentbehrlich sind. Einem Land den Zugang zu dieser Ressource zu verwehren, ist im Grunde eine aufs neue verschärfte Form wirtschaftlicher Kriegsführung. Das Ziel ist ein Zusammenbruch des Systems durch Hunger und Elend. Trotzdem überwiegen Kampfgeist, Zuversicht und Frohsinn über Verzweiflung und Wut.

Die KubanerInnen wissen, was die Rückkehr zu einem kapitalistischen System für sie bedeuten würde und sind entschlossen und bereit, dem "imperialistischen Dinosaurier" die Stirn zu bieten.

CUBA LIBRE Johanna und Raven

CUBA LIBRE 1-2020