Havanna: Zwei Motive für die Touristen |
Es ist Kubas erklärtes Ziel, den Ausbau der Tourismusbranche als eine der wichtigsten Einnahmequellen des Landes weiter voranzutreiben. Dies erklärt sich nicht nur vor dem Hintergrund der seit 1961 andauernden Blockade Kubas durch die USA, welche durch die seit dem 2. Mai 2019 mögliche Anwendung des dritten Teils des Helms-Burton-Gesetzes verschärft wurde. Doch die Masse an Touristen bringt nicht nur Devisen, sondern auch jede Menge Probleme mit sich. Der extrem erhöhte Bedarf an Energie, Wasser und anderen Versorgungsmitteln in den Hotels und die aufkommenden Abfallmengen sind Herausforderungen, die Kuba im Einklang mit dem Staatsziel einer umweltschonenden und nachhaltigen Politik zu bewältigen hat.
Neben diesen technisch zu lösenden Anforderungen ist zudem zu bedenken, dass ein Zustrom von Touristen in der Regel auch zu einer Verdrängung, Veränderung oder Überlagerung der örtlichen Kultur führt. Einmal durch die Anwesenheit der Reisenden an sich, aber auch durch Arbeitsmigration und die räumliche Verdrängung von Einheimischen aus bestimmten, für touristische Zwecke besonders attraktiven Gebieten. Auf Kuba gibt es keine Gentrifizierung wie in anderen Ländern, denn die meisten Kubaner wohnen in Eigentumswohnungen bzw. -häusern. Deren Kaufpreise steigen jedoch in den bei Touristen beliebten Zonen stetig an. Zugleich fehlen in Kuba derzeit ohnehin 929.000 Wohnungen, was mit der Situation der kubanischen Wirtschaft, welche stark von der US-amerikanischen, völkerrechtswidrigen Blockade beeinträchtigt wird , und mit der massiven Zerstörung durch Naturkatastrophen, wie z. B. den Wirbelstürmen Matthew und Irma 2016 und 2017 oder dem Tornado 2019, zu tun hat. Wohnungseigentümer, die es vorziehen, ihren selbstgenutzten Wohnraum als sogenannte Casa Particular an Ausländer zu vermieten und selbst andernorts zu leben, dürften in den bevorzugten Ausweichorten mit der durch sie gestiegenen Nachfrage ebenfalls für eine Erhöhung der Mieten und Immobilienpreise sorgen. Das gleiche gewinnorientierte Streben wie bei den selbstständigen Gastronomen, die z. B. Paladares (kleine Restaurants) in ihren Privatwohnungen betreiben, und den Vermietern, ist verständlicherweise auch bei privaten Taxifahrern zu beobachten. Sie verlangen für Standardfahrten Preise, die zwar für Touristen erschwinglich sind, aber rein gar nichts mit der Kaufkraft eines kubanischen Arztes oder Lehrers zu tun haben. Sich den Alltag im eigenen Stadtteil, der eigenen Stadt, der eigenen Provinz oder gar im eigenen Land nicht mehr leisten zu können, ist in Kuba wie überall auf der Welt ein Beweggrund seine Heimat hinter sich zu lassen.
Kubas Staatshaushalt baut auf die Einnahmen der Reisewirtschaft, doch die aktuell stattfindenden großen Investitionen in Hotels sind mit dem Risiko eines Einbruchs der Touristenzahlen verbunden.
Kuba sucht deshalb nach Wegen, das Tourismusgeschäft breiter aufzustellen. Eine Alternative ist z. B. der Gesundheitstourismus. Kuba hat Verträge mit dem kanadischen Vermarktungsunternehmen Travelucion geschlossen, um möglichst vielen Behandlungssuchenden das Land mit der besten medizinischen Gesundheitsversorgung des gesamten lateinamerikanischen Kontinents als Ziel anbieten zu können. Weitere Alternativen sind unter anderem der Öko- , der Kultur-, der Bildungs-, der Sport- und Luxustourismus. Kuba ist derzeit auf die Einnahmen aus der Tourismusindustrie angewiesen. Abgesehen von der Einnahme von Devisen bietet der Tourismus Kuba aber auch noch weitere Vorteile. Menschen aus aller Welt können sich ihr eigenes Bild von Kuba machen und sich persönlich von Kubas progressiven Errungenschaften und den realen Bedingungen überzeugen. Allerdings bleiben die Möglichkeiten, das wahre Kuba als Tourist kennenzulernen, natürlich begrenzt.
Das Proyecto Tamara Bunke bietet uns nicht nur mehr, sondern auch deutlich bessere Chancen, Kuba aus einer nicht touristischen Perspektive kennenzulernen, was auch eine distanziertere Betrachtung des Tourismus´ selbst ermöglicht.
Richard Grimm
Proyecto Tamara Bunke
CUBA LIBRE 3-2019