Esther Bejarano besucht die sozialistische Insel Kuba.
Die 92-jährige Auschwitzüberlebende Esther Bejarano in Havanna zu erleben, war eine unvergessliche Erfahrung. Sie machte vom 6. bis zum 13. Januar gemeinsam mit ihrem Sohn und der Kölner Rap-Gruppe "Microphone Mafia" eine Tournee durch Kuba, die sowohl Konzerte wie kulturelle Austauschveranstaltungen beinhaltete.
Wir, die wir mit dem Kuba-Solidaritätsprojekt "Proyecto Tamara Bunke" derzeit für ein halbes Jahr in Havanna studieren und von unseren Erfahrungen hier auf einem Blog berichten, haben uns dieses Ereignis natürlich nicht entgehen lassen.
Etwa eine Woche bevor Esther Bejarano und ihre Band auf Kuba ankamen, erfuhren wir von der bevorstehenden Tournee. Einigen von uns war die Ehrenvorsitzende des Auschwitzkomitees bereits von ihren vielen Konzerten und Lesungen aus Deutschland bekannt, sowie die Besonderheit ihres Programms auf der Bühne und ihrer Lebenseinstellung. "Ich bin eine glühende Antifaschistin. Wenn es möglich ist, werde ich mein ganzes Leben lang kämpfen, damit der Faschismus nie wieder aufkommt…", erklärt sie. Daher singe sie Lieder gegen den Krieg und für die Liebe und sei dabei stets besonders um den Kontakt zu Jugendlichen bemüht. Esther hat es sich zu ihrer Aufgabe gemacht, ihre Lebenserfahrungen zu teilen. Sie spricht vor allem an Schulen über den Holocaust und wie sie ihn überlebt hat: Durch einen glücklichen Zufall wurde sie im Konzentrationslager Auschwitz ins Mädchenorchester aufgenommen, was sie vor dem sicheren Tod bewahrte. Die Musik, die ihr damals das Leben rettete, ist heute ihr Mittel, um die Menschen zu erreichen und an Courage und Solidarität zu appellieren.
Am Tag ihres Auftaktkonzertes in Havanna rennen wir pitschnass durch die Straßen unseres Viertels, wie bei einem Slalomlauf die Pfützen umgehend, in Richtung Bushaltestelle. Wir wollen, trotz des nicht endenden Regens, eine Stunde vor Beginn des Konzertes beim Palacio de la Rumba im Zentrum Havannas ankommen, um sicher zu gehen, dass wir noch hineinkommen. Karten im Vorfeld zu reservieren, war nicht möglich, da es für die Veranstaltung keinen Eintritt gibt. Sie ist für alle offen. Nachdem uns einige nette Menschen erklärt haben, wo wir am besten aus dem Bus aussteigen und wie wir dann weiter gehen müssen, kommen wir schließlich am Palacio an. Nun hat auch der Regen endlich aufgehört und weil wir so früh dran sind, bekommen wir im Saal sogar noch Platz an den Tischen. Als das Konzert schließlich beginnt, erklärt die Band, wie es dazu kam, dass sie nach Kuba flog. Sie hätten Einladungen bekommen, Konzerte in Miami zu geben und dann die Idee gehabt, dies mit einem Besuch auf Kuba – einem lang gehegten Wunsch – zu verbinden. Schnell sei ihnen aber bewusst geworden, dass sie eigentlich gar kein Interesse an Konzerten in Miami hätten, sondern viel lieber eine Tournee auf Kuba machen würden. Aus der Idee entstand letztlich ein volles Programm des kulturellen Austausches, das sich über mehrere Städte der Insel erstreckt. Schließlich tritt die kleine Esther langsamen Schrittes ans Mikrofon und es wird im Saal ganz ruhig. Als sie dann mit kräftiger Stimme zu sprechen beginnt und das erste Konzert auf ihrer Tour Fidel widmet, erntet sie dafür lauten Applaus und gerührte Blicke.
Esther Bejarano und die Microphone Mafia: |
Foto: Jochen Vogler / r-mediabase.eu |
Obwohl die Band bereits in vier verschiedenen Sprachen singt, brauchen sie für das spanisch sprechende Publikum eine Dolmetscherin, denn die Musiker erklären zwischen ihren Liedern immer wieder den Hintergrund ihrer einzelnen Stücke. Das Publikum hört trotzdem gespannt zu und lässt sich von der Sprachbarriere nicht ablenken. "Es ist beeindruckend, dieser Frau zuzuhören, auch wenn ich ihre Worte selbst nicht verstehe", erklärt mir ein junger Student, "aber ich verstehe auch etwas durch die starken Emotionen, die ihre Stimme transportiert und freue mich danach über die Übersetzung." Zwischendurch finden wir uns selbst in der Übersetzendenrolle wieder, denn einige der kubanischen Freunde, die wir im Vorfeld auf das Konzert hingewiesen und nun hier getroffen haben, wollen immer wieder wissen, wovon genau gerade gesungen wird. Und so ergeben sich im Laufe des Abends aus den Liedern noch einige tiefere Gespräche, beispielsweise darüber, warum es in Deutschland, nach all dem, was dort passiert ist, heute immer noch so viel Rassismus gibt. Am Ende der Veranstaltung wird Esther Bejarano dafür geehrt, dass sie sich in ihrem Alter noch so sehr engagiert und damit ein Vorbild für uns alle ist.
Foto: Jochen Vogler / r-mediabase.eu |
Auftritt mit kubanischen Rappern im Garten des Musikinstituts |
Nach dem gelungenen Auftakt in Havanna bricht die Band auf zu weiteren Konzerten, Interviews und verschiedenen kulturellen Programmpunkten in Santa Clara und Camagüey, die wir teilweise in den kubanischen Medien weiterverfolgen können und auf die ich von einigen Kubaner*innen, die wissen, dass ich aus Deutschland komme, auch direkt angesprochen werde. Die Tageszeitung Granma widmet Esther Bejarano sogar eine ganze Seite und würdigt ihr besonderes antifaschistisches Engagement. Sie hatte bereits vor ihrer Tournee erklärt, dass sie sich von ihrem Besuch auch erhoffe, die Ergebnisse des Überwindungsversuchs von Antisemitismus und Rassismus auf Kuba zu erleben. Daher stand auf dem Programm unter anderem auch ein Austausch mit der jüdischen Gemeinde Kubas.
Foto: Jochen Vogler / r-mediabase.eu |
Zum Abschluss der Tournee gibt es nochmal ein letztes Konzert in Havanna. Dieses Mal allerdings in keinem Saal, sondern in karibischer Atmosphäre unter Sonne und Palmen im grünen Garten des kubanischen Musikinstituts –natürlich wieder ohne Eintritt. Obwohl Esther Bejarano selbst bei diesem Konzert wegen einer Atemwegserkrankung nicht anwesend sein kann, entwickelt sich statt Ernüchterung eine unglaublich schöne Stimmung. Das Publikum ist bunt. Kinder, Senioren und viele junge Erwachsene füllen den Garten. Es sind auch einige andere Rap-Gruppen anwesend, die von der "Microphone Mafia" schließlich auch auf die Bühne eingeladen werden, sodass es ein vielfältiger Nachmittag wird, mit sich ständig abwechselnden Auftritten der Musiker. Immer wieder bleiben auch Passant*innen stehen und schauen zu, bis es auch hinter dem Zaun des Gartens voller wird. Das Übersetzen geht dieses Mal für mich in beide Richtungen, da ich den schnellen spanischen Rap auch nicht immer verstehe und daher die Menschen um mich herum hier und da um eine Erklärung bitte. Einige dieser Lieder haben ebenfalls einen sozialkritischen oder antirassistischen Hintergrund und wollen dafür sensibilisieren. "Reggaeton mag ich gar nicht, aber solche Musik wie diese hier höre ich mir gerne an, das ist etwas mit Sinn", erzählt mir eine ältere Dame lächelnd, die in ihrer Jugend an der Alphabetisierungskampagne Kubas teilgenommen hatte. Ich freue mich über diesen schönen Moment, in dem sich mir ein solches Beispiel von Kubas Kampf für die Menschlichkeit im Rahmen dieses besonderen Konzertes offenbart.
Esther Bejarano mit Microphone Mafia und kubanischen Musikern, Foto: Jochen Vogler / r-mediabase.eu
Die Tournee von Esther Bejarano und der "Microphone Mafia" auf Kuba und Veranstaltungen, wie die im Garten des kubanischen Musikinstituts mit einem so offenen und solidarischen Charakter, sind gelebter Internationalismus und ein Beweis dafür, dass Freundschaft keine Grenzen kennt.
CUBA LIBRE 2-2017