Die Kubanische Revolution schreibt unglaubliche Geschichten. |
Als ich vom Ergebnis der Volksabstimmung in Chile und die Ablehnung eines neuen Verfassungsentwurfes hörte, welcher die aus der Pinochet-Ära stammende Verfassung ersetzen sollte, musste ich an die Hunderte von Menschen denken, die von chilenischen Polizisten verstümmelt wurden, an die von Tränengas getrübten Augen, an die Menschen, die sich den Wasserwerfern und anderen Geräten aus der Zeit der Diktatur nur mit ihren Körpern entgegenstellten. Sie zahlten den Preis für einen verfassungsgebenden Prozess, der auf der Straße, in den Streiks und in der direkten Konfrontation mit einem neoliberalen Modell, das nicht verschwinden will, gewonnen wurde.
Der Brexit, Trumps Einzug ins Weiße Haus und das Nein der Kolumbianer zum Friedensvertrag, das waren in den letzten Jahren Abstimmungsergebnisse, die nur wenige vorhergesagt hatten. Gemeinsam war ihnen ein hervorragendes Kommunikationsmanagement, die Segmentierung des Publikums und die Nutzung von Big Data, um herauszufinden, was die Menschen hören wollen, und es ihnen zu sagen, auch wenn es eine Lüge ist. Zu diesen Prozessen müssen wir die Abstimmung in Chile hinzudenken, aber nicht ohne einen genauen Blick auf das Geschehen zu werfen.
Die chilenischen Medienmonopole wären im Falle seiner Annahme die großen Verlierer des neuen Verfassungsentwurfes gewesen. Den Medien wurde eine Schreckenskampagne verordnet; sie zogen durch das Land und logen die Menschen an, weil sie wussten, dass die große Mehrheit den Entwurf nicht gelesen hatte; man sagte ihnen, dass sie ihre Häuser und ihre kümmerlichen Ersparnisse verlieren würden, und man schloss sogar den einzigen Sender, der eine abweichende Einschätzung vertrat. Die großen Unternehmen finanzierten den Triumph der Barbarei, denn in der Kommunikationsbranche gibt derjenige den Ton an, der zahlt, und kein Medienunternehmen stellt sich gegen seine Werbekunden. Die Kampagne war eindeutig, und die Strategie bestand darin, die verfassungsgebende Versammlung zu verleumden und zu diskreditieren und anschließend die Diskussion über das Projekt auf Dinge wie die angebliche Abschaffung des Privateigentums und andere Manipulationen zu konzentrieren. Mit der Kampagne "¡Apruebo!" ist es nicht gelungen, die wichtigsten und innovativsten Elemente der neuen Carta Magna an die Basis zu bringen.
Das ist nicht neu; es ist die sich aufbauende Wirkung eines Kultur- und Medienkriegs, der es geschafft hat, selbst die Linke und die Unterdrückten zu durchdringen. Er ist so tief in diese eingedrungen, dass er diejenigen, die sich einbilden, Millionäre zu sein, ohne einen Peso in der Tasche zu haben, davon überzeugt hat, wie Kapitalisten zu denken.
In der Theorie sind sich die Wissenschaftler einig, dass die Medien dem Publikum Werkzeuge und Schemata für die Konstruktion von Bedeutungen anbieten. Diese Erzählungen sind sogar in der Lage, aufkommende Widersprüche und Konflikte in sich zu integrieren. Die Übertragung von Ideologie funktioniert so, dass kulturell bereits vertraute Themen herausgearbeitet werden und so beim Publikum Widerhall finden. Es wäre falsch zu sagen, dass die Medien die Gesellschaft widerspiegeln; der Journalist, die Medien und der Diskurs als Ganzes konstruieren die gesellschaftliche Realität. Genau das ist in Chile geschehen.
Das ist ein Beispiel dafür, was passiert, wenn die Medien nicht in den Händen der Mehrheit der Bevölkerung sind und stattdessen die Interessen von Minderheitengruppen repräsentieren. Letztere stellen sie, auch durch offensichtliche Manipulation, als die Interessen aller dar. Kommunikation ist und bleibt klassenbasiert, und dies darf in einem Prozess der Umgestaltung des öffentlichen Mediensystems, wie ihn Kuba durchläuft, und unter Umständen, in denen Kommunikation zunehmend strategischen Charakters ist, nicht aus den Augen verloren werden. Der Wunsch, wie der Rest der Welt zu funktionieren, darf nicht dazu führen, dass wir Fehler wiederholen, die andere zuvor bereits gemacht haben.
Wir Kubaner sind tagtäglich Opfer dieses Krieges der vierten Generation, mit Lynchjustiz in den Medien, Aufstachelung zur Gewalt, Halbwahrheiten und dreisten Lügen. Selbst von scheinbar "unpolitischen" Positionen aus werden Wechselkurse durchgesetzt, die zeitlich und räumlich nahen Phänomenen wie "Dollar Today" in Venezuela sehr ähnlich sind. Diese Dienstleister beginnen zunächst in der "Mitte" und bewegen sich immer weiter nach rechts und legen auch verzerrte Matrizen von Ereignissen im reinsten Goebbelschen Stil auf.
Schauen wir uns Kuba an, dann stellen wir fest, dass diejenigen, die bei dem bevorstehenden Referendum über das Familiengesetzbuch in Kuba für ein NEIN eintreten und mit falschen Argumenten behaupten, dass durch seine Neufassung z. B. die Rechte der Kinder eingeschränkt würden, obwohl das Gegenteil der Fall ist. Unter solchen Bedingungen dürfen wir nicht naiv sein, wir müssen gut kommunizieren und dabei keine Leerstellen in einem Prozess lassen, welcher die gesamte Gesellschaft erfasst. Der Kommunikationskrieg wird weitergehen, ebenso wie die Kampagnen gegen uns. Es liegt an uns, das Richtige zu tun und dafür zu sorgen, dass die chilenische Realität nicht auch zu unserer Realität wird.
Jorge Enrique Jerez Belisario
Übersetzung: Tobias Kriele
CUBA LIBRE 4-2022