Bis in bundesdeutsche bürgerliche Zeitungen macht der Entwurf eines neuen Familiengesetzes in Kuba Schlagzeilen
Dies wohl vor allem, weil dort – wie schon seit 2019 in der kubanischen Verfassung – die Ehe nicht mehr als Bund zwischen Mann und Frau, sondern als "freiwillige Verbindung zweier Menschen" definiert wird. Dies ist auch im internationalen Kontext sehr fortschrittlich und umso mehr in einem Entwicklungsland katholischer Prägung. Vor allem die katholische Kirche hatte gegen die Ehe-Öffnung gewettert und eine Gleichstellung homosexueller Paare als "ideologischen Kolonialismus" diffamiert Auch bei der Volksbefragung und dem folgenden Referendum wird kirchlicher Widerstand, auch durch Evangelikale, erwartet.
Leider wird – außer in der Tageszeitung junge Welt oder der Wochenzeitung Unsere Zeit – auf das Gesetz als solches in der bürgerlichen Presse hier kaum eingegangen, obwohl sowohl die Vorgeschichte und wie das Gesetz nun endgültig zustande kommen wird als auch sein weiterer Inhalt eine Betrachtung wert sind.
Wie wird die Bevölkerung beteiligt?
Eine Expertenkommission mit 31 Personen aus Parlamentsabgeordneten, Vertretern von Basisorganisationen und Wissenschaftlern, davon 15 weiblich, hatte den Gesetzentwurf vorbereitet, der dann vom Parlament beschlossen und am 12. Januar 2022 veröffentlicht worden war. Seit dem 1. Februar bis zum 30. April läuft eine Befragung der Bevölkerung zum Gesetz, das unter anderem die gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare vorsieht.
Das neue Gesetz soll das Gesetz von 1975 ablösen. Es besteht aus 11 Titeln und 483 Artikeln. Zur der Befragung gibt es im kubanischen Fernsehen immer wieder Sendungen, in denen das Gesetz vorgestellt wird und in denen Zuschauer Fragen stellen können. Zudem sind für diesen Prozess in den Gemeinden 78.110 öffentliche Versammlungen vorgesehen, an denen auch Juristen teilnehmen, um zuzuhören und eventuelle Zweifel zu klären.
Jeder Wähler hat das Recht, entweder Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen vorzuschlagen oder Zweifel zu äußern und mündlich äußern oder schriftlich einzureichen.
Präsident Miguel Mario Díaz-Canel Bermúdez hat betont, dass die Volksanhörung und das anschließende Referendum wichtige politische Prozesse seien, da es sich dabei um ein emanzipatorisches Gesetz handele, das die in der Gesellschaft existierende Probleme löse.
Mariela Castro Espin (Direktorin des Nationalen Zentrum für Sexualforschung Cenesex und eine Protagonistin des neuen Gesetzes) meinte zum Gesetzesvorschlag: "Wir sehen uns einem Kodex gegenüber, der die Garantien der Rechte auf alle Menschen ohne Unterschiede ausweitet, keine Modelle verurteilt oder auferlegt und zur Erosion des Patriarchats als Mittel der Unterdrückung und Diskriminierung beiträgt." Die Abgeordnete forderte die Bevölkerung auf, das Projekt mit soliden Argumenten und mit bewusster Beteiligung zu verteidigen und wies darauf hin, dass das Gesetz Kuba in Sachen Familienrechte an die internationale Spitze stelle. Zusätzlich wurde noch der komplette Gesetzesentwurf in einer größeren Auflage in gedruckter Form zur Verfügung gestellt.
Was regelt das Gesetz außer der Definition als Ehe zwischen zwei Personen noch?
Das Gesetz stärkt die Rechte von Kindern und Jugendlichen, bei der Erziehung wird auf geteilte Erziehungsverantwortung gesetzt. Es wird ein Schutzmechanismus gegen häusliche Gewalt ausgebaut. Zudem soll das Selbstbestimmungsrecht von älteren Familienmitgliedern und Menschen mit Handycaps festgeschrieben werden.
Roland Armbruster
CUBA LIBRE 2-2022