Die Kubanische Revolution schreibt unglaubliche Geschichten. |
Vielleicht erinnern Sie sich noch an Evangelina Cossío y Cisneros*, die Protagonistin der Geschichte, welche der Journalist Wiliam Randolph Hearst sich ausdachte und in eine Tatsache verwandelte, um Spanien zu diskreditieren und so die US-amerikanische Öffentlichkeit zur Intervention in Kuba im Jahr 1898 zu bewegen. Jede Übereinstimmung mit dem, was ein Jahrhundert später geschieht, ist kein Zufall. Es scheint, als lebten wir in einer Zeit, in der Randolph Hearst selbst seinem Illustrator in Havanna den mythischen Satz schickte: „Du machst die Bilder, ich mache den Krieg“, angesichts der fehlenden Konfrontationen, von denen die Menschen berichteten, die in Kuba waren.
Wie kann man sich also im 21. Jahrhundert, in Zeiten sozialer Netzwerke und bewährter Theorien zur Implosion von Systemen, über die Fabrikation eines Vorfalls wundern? Wie kann man ein tausendfach wiederholtes Drehbuch als originell einstufen, wie kann man so naiv mit Blick auf die Proteste sein, welche die Ereignisse des 11. Juli in mehreren Städten des Landes ausgelöst haben? Dabei sind sie Kopie und Abklatsch des Handbuchs von Gene Sharp zur Provokation gewaltloser Revolutionen – wobei sie tatsächlich nur dem Namen nach gewaltlos sind.
Naivität kommt heutzutage teuer zu stehen. Es geht um die Konstruktion der ersehnten sozialen Explosion. In ihrer Konzeption geht sie von objektiven Bedingungen aus, die als Katalysator in die Virtualität übernommen werden – und dann in der Realität Ereignisse wie die im Juli erlebten auslösen. Das ist nichts Neues, erinnern wir uns: Die Ukraine, Ägypten, Libyen, Syrien, Nicaragua, Bolivien und Venezuela sind nur einige Beispiele. Und wenn wir dazu noch die Tatsache hinzufügen, dass die meisten Kubaner erst spät zum Internet gekommen sind, wird das Phänomen noch komplexer.
Sie haben uns ein Szenario eines fortgesetzten kalten Putsches aufgezwungen, in welchem die Medien als verbale Brandstifter auftreten und mit einer Lupe jedes Vorkommnis in unserem Land vergrößern. Ein Detail durchzieht die Destabilisierungsversuche und stellt das Endziel der Kommunikationskampagne dar: Den Hass zu schüren und die Einheit zu brechen – jegliche Einheit, ob innerhalb des Volkes selbst oder zwischen Volk und Staat, Volk und Partei, Volk und Regierung oder sogar Volk und Armee; wir Kubaner sollten aufgrund der Geschichte, die nur allzu aussagekräftig ist, sehr gut wissen, wozu Uneinigkeit führt und wer diejenigen waren, die diese jederzeit ausgenutzt haben.
Das Internet ist und bleibt ein Terrain für militärische Operationen. Das sage nicht ich: Die US-Regierung selbst hat dies erklärt, als sie das Sonderkommando für Cyberkriegsführung einrichtete, und vergessen wir nicht, dass es eine Task Force gibt, die Kuba über digitale Plattformen beeinflussen soll. Erinnern wir uns auch an die gescheiterten Programme Zunzuneo und Piramideo, deren Ziel es war, zur sozialen Explosion im Lande beizutragen.
Wenn Sie sich noch nie bei Twitter angemeldet haben, aber ein Smartphone besitzen, lade ich Sie ein, zu versuchen, fünf SMS in einer Sekunde zu verschicken. Sie werden feststellen, dass es menschenunmöglich ist, selbst wenn Sie sie leer verschicken. Nun, das war die durchschnittliche Anzahl der Tweets, die von den führenden Konten der Hashtags #SOSCuba, #SOSMatanzas und #HumanitarianIntervention gesendet wurden, was deutlich macht, dass es Roboter waren, die zu diesem Zweck programmiert wurden und eine Meinungsmatrix bildeten, die nur ein Vorwand in dieser ganzen Geschichte war.
Wir sehen uns der neuen Phase einer alten Strategie gegenüber. Die Konterrevolution war dazu nicht in der Lage, wie sie selbst in einem von Wikileak veröffentlichten Telegramm der damaligen US-Interessenvertretung einräumte. Jetzt greifen sie zur Gewalt, wie sie es in Venezuela und Nicaragua getan haben. Die Gewalt wird von denen geschürt, die sich 90 Meilen oder weiter entfernt aufhalten, von denen, die Minuten vor der Veröffentlichung einer Nachricht in ihren Netzwerken, in der sie sich über die Situation in Kuba aufregen und zu einer Intervention aufrufen, gepostet haben, dass sie sich gerade am Strand erfrischen oder ein Bier trinken: Das sind diejenigen, die sich Sorgen machen und uns dazu bringen, einander zu hassen – was für eine Boshaftigkeit.
Die Unsicherheit und Ungewissheit, die manche heutzutage empfinden, ist nur ein Vorgeschmack auf das, was passieren könnte, wenn sie es schaffen, eine soziale Explosion herbeizuführen und uns die staatsbürgerliche Ruhe zu rauben. Was würde für uns übrig bleiben? Städte wie jene andere in Lateinamerika, in denen nach sechs Uhr abends das Haus zu verlassen bedeutet, sich der Gefahr auszusetzen, von einer Kugel getroffen zu werden.
Die Interessen, um die es hier geht, sind immer noch dieselben wie jene, die Benjamin Franklin im Jahr 1767 beschwor, als er vorschlug, das Mississipi-Tal einzunehmen, um von dort aus Kuba oder Mexiko zu erobern. Kaum neun Jahre war es her, dass die 13 nordamerikanischen Kolonien ihre Unabhängigkeit erklärt hatten, und schon waren ihre Pläne herangereift, sich Kubas zu bemächtigen.
Das ist die traurige Realität, von der uns die Schaufenster des Kapitalismus, die sie uns als gut und modern verkaufen wollen, nichts erzählen. Dem armen Dritteweltland Kuba käme es zu, die Annehmlichkeiten derjenigen aufrechtzuerhalten, die in den US-amerikanischen Großstädten leben und an der Zahl ihrer Yachten und Restaurants gemessen werden. Unserem Kuba bleibt kein anderer Weg als der, den es vor 60 Jahren gewählt und das Wenige und das Viele unter allen aufgeteilt hat – derselbe, den es erst vor zwei Jahren mit der neuen Verfassung ratifiziert hat. Lassen wir uns nicht täuschen, lassen wir uns nicht entzweien, lassen wir andere die Hassprediger sein. Lasst uns, anders als Hearst, den Frieden auf die Fotos und ins Leben bringen. Nach Art von John Lennon: Lasst uns Liebe machen und nicht Krieg.
* Evangelina Cosio y Cisneros (23. September 1877 bis 29. April 1970) stand im Mittelpunkt der Ereignisse, die sich in den Jahren 1896–1898 während des kubanischen Unabhängigkeitskrieges abspielten. Ihre Inhaftierung als Rebellin und ihre Flucht aus einem spanischen Gefängnis in Kuba mit Hilfe des Reporters Karl Decker vom New York Journal von William Randolph Hearst erregte in der US-amerikanischen Presse großes Interesse und führte zu Anschuldigungen wegen Betrugs und Bestechung.
Übersetzung:
Klaus E. Lehmann/Tobias Kriele
Jorge Enrique Jerez Belisario
CUBA LIBRE 4-2021