Siempre Leal

Im Alter von 77 Jahren verstarb am 31. Juli 2020 nach schwerer Krankheit Eusebio Leal Spengler, vor allem als Stadthistoriker und Retter der Altstadt von Havanna bekannt.

In unseren Breitengraden weniger präsent ist, dass Leal einer der produktivsten Intellektuellen Kubas war. Allein bis zum Jahr 2010 wurden 3.531 Publikationen des Gelehrten gezählt, darunter Artikel, Broschüren, Reden und nicht zuletzt Buchveröffentlichungen.

Eusebio Leal Spengler

Eusebio Leal Spengler
Foto: Roberto Chile

In Kuba hieß er nur Eusebio, in Havanna allerdings schlicht: "Leal". Und seine druckreife, metaphernreiche und perlengleich aneinandergereihte Ausdrucksweise war seine Visitenkarte. In Kuba quietschten die Menschen vor Vergnügen, wenn der bekannte Komiker Luis Silva, der im Vorabendprogramm den Pánfilo gibt, auf freche, gestelzte Weise den Doctor Leal imitierte. Eusebio Leal konnte an derlei liebevollen Respektlosigkeiten Vergnügen finden und spielte sogar bei einer Gelegenheit den humoresken Gegenpart aus dem Publikum. Unumstritten ist, dass Leal über einen unerreichten Reichtum an Eloquenz und geschliffenem Ausdruck verfügte. Seine Wirkung auf die sprachlichen Umgangsformen in der Wissenschaft und Kultur Kubas sind kaum zu ermessen.

Von Leal lernten die Kubanerinnen und Kubaner, dass gepflegte Umgangsformen, klassische Ästhetik und Traditionsbewusstsein zwar von bürgerlichen und auch kolonialen Herrschaftsformen maßgeblich geprägt wurden, aber nicht mit ihnen abzulehnen seien. In diesem Sinne kämpfte er mit Leidenschaft für die Wiederherstellung der Architektur der Altstadt von Havanna - mit all ihren Denkmälern der kolonialen Macht und der despotischen Herrschaft. Sinnbildlich ist hier die aufwändige Restauration des Capitolio zu nennen, welches als eine Kopie des Capitols in Washington D. C. seinerzeit eine unterwürfige architektonische Geste einer Insel darstellte, welche von ihren korrupten Eliten an den mächtigen Nachbarn im Norden ausgehändigt worden war. Eusebio Leal vermittelte dem kubanischen Volk die Größe, auch die Werke seiner ehemaligen Unterdrücker anzunehmen - sofern sie einen Beitrag zur kubanischen Geschichte darstellten.

Peter Hacks weitergedacht, könnte man Eusebio Leal folglich auf der "klassischen" Seite der kubanischen Revolution verorten. Leal war durchaus ein "Konservativer" im guten Sinne des Wortes. Einer, der die kubanische Geschichte für erhaltenswert hielt und dafür warb, sie zu retten und sich anzueignen. Leal war ein loyaler Anhänger von Fidel Castros durchaus auch werteorientierten Vorstellungen, von der Idee, dass Kuba durch seine Ursprünge hindurch müsse, um zu einer besseren Zukunft zu gelangen. Wie viele Kubanerinnen und Kubaner bezeichnete er sich als "Fidelista", als einen Anhänger Fidel Castros, wenn er um Erklärungen für seine Verbundenheit mit der Kubanischen Revolution gebeten wurde.

Eusebio Leal war ein gläubiger Katholik und als solcher in den ersten drei Jahrzehnten der Kubanischen Revolution von Parteiämtern ausgeschlossen. 1991, zu Beginn der Sonderperiode und der offiziellen Öffnung der KP Kubas für Anhänger religiöser Überzeugungen, wurde er in das Zentralkomitee gewählt und wurde zu einem Wahrzeichen des inklusiven Zugangs der kubanischen Kommunisten auf die Religionen des Landes. Bis in die Nachrufe hinein spekulierten die Massenmedien der kapitalistischen Welt über mögliche insgeheime Widersprüche Leals zum kubanischen Sozialismus. Schon zeitlebens wurde Leal von interessierten Kreisen als ein Vertreter des kubanischen "Reformkurses" mit zunehmenden marktwirtschaftlichen Elementen gefeiert, weil er die Altstadt von Havanna mit den dort generierten Einnahmen aus dem Tourismusgeschäft renovierte. All diese Spekulationen beruhten auf der Vorstellung, dass Eusebio Leal als gelegentlicher Kritiker des Dogmatismus unter den Kommunisten geneigt sein müsste, ein Dogmatiker des Katholizismus oder gar ein Freund der Dogmen der Marktwirtschaft zu werden. Nichts davon ist der Fall. Eusebio Leal war in erster Linie der Geschichte verbunden, genauer der Geschichte Kubas, was in seinem Verständnis bedeutete: dem kubanischen Volk und den Persönlichkeiten, die es hervorgebracht hat.

Plaza Vieja, Altstadt Havanna

Plaza Vieja, Altstadt Havanna, Kuba
Foto: Anagoria / wikimedia / CC BY 3.0


Heute erscheint es schwer zu glauben, dass Eusebio Leal ein Autodidakt war, der sich seine ersten akademischen Schritte hart erarbeiten musste. Schließlich erlangte er den Doktorgrad der Geschichtswissenschaften, aber es war ihm zuwider, "Doctor" gerufen zu werden. "In dem einen oder anderen internationalen Anschreiben kann der Titel von Nutzen sein, aber für die Menschen in Kuba bleibe ich Eusebio", sagte er einmal in einem Interview. Nichtsdestotrotz war er ein weltweit anerkannter Akademiker. Zwanzig Universitäten innerhalb und außerhalb Kubas verliehen ihm die Ehrendoktorwürde. Leal hielt Vorlesungen in insgesamt 74 Universitäten in 45 verschiedenen Ländern. 29 Staaten verliehen ihm Medaillen oder Auszeichnungen.


Diese Zahlen, die der renommierte kubanische Historiker Eduardo Torres Cuevas in einem Nachruf auf Eusebio Leal veröffentlichte, können nur ein Schlaglicht auf die Anerkennung werfen, die Leal auf internationaler Ebene widerfuhr.

Eusebio Leal Spengler war mehr als ein international dekorierter Intellektueller. Er, der in seiner Jugend als Apothekenbote sein Geld verdiente, blieb immer ein Mann des Volkes. Auf seinen Spaziergängen durch Havannas Altstadt unterhielt er sich mit allen, die ihn ansprachen, und das waren nicht wenige. An diese Menschen dachte Leal, als er die Renovierung von Habana Vieja organisierte. Kein einziger der 75.000 Menschen, die dort vor Beginn der Bauarbeiten lebten, verlor sein Obdach. Nirgendwo wurden Mietpreise angehoben, Menschen verdrängt, Straßenzüge gentrifiziert. Diese wundervolle Geschichte wird auf immer mit Eusebio Leal verbunden bleiben.

So sehen es auch die Menschen in Havanna, die Leal auf seinem im Fernsehprogramm ausgestrahlten Rundgang "Andar la Habana" durch die Schönheiten ihrer Hauptstadt mitnahm. Das musikalische Intro zu dieser Serie hatte den Titel "Sábanas blancas" (Weiße Bettlaken). Am 1. August 2020, dem Tag nach Leals Tod, verbreitete sich in Havanna eine spontane Form der Kondolenz: Die Menschen hingen massenhaft weiße Tücher von ihren Balkonen. Auf einem dieser Laken konnte man handgeschrieben lesen: "Siempre Leal", was zugleich "Für immer Leal" oder auch "Jederzeit loyal" bedeutet. Und das war Eusebio Leal ohne Zweifel: Jederzeit loyal mit seinem kubanischen Volk und der Persönlichkeit Fidel Castros, die ihrerseits Geschichte und Zukunft Kubas miteinander verbunden hat.

CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 4-2020