Freundliche Töne

Online-Konzert für Kuba.

Am 18./19. Juli im Jahre Eins der Coronavirus-Zeitrechnung gab es inmitten all des mitleiderregenden Kulturkrampfes, der vorwiegend der Verpflichtung zur sozialen Isolation geschuldet ist, ein kulturelles Intermezzo, das aufhorchen ließ, zumal es so etwas in dieser Form noch nicht gegeben hatte: ein digitales "Konzert für Kuba" – online, gratis, sowohl Live-Gigs als auch bereits existierendes Material verwendend, promotet von der Zeitung "Chicago Sun Times", auf eine Initiative der Chicagoer soziokulturellen Organisation "Hot House" hin, in Verbindung mit dem ICM (Instituto Cubano de Música) und dem Kulturministerium der Insel.

Es galt hierbei, eine Art Gegengewicht zu der beispiellosen Anti-Kuba-Kampagne zu schaffen, die namentlich in jüngerer Zeit grassiert, in der verstärkte medizinische Solidarität der Insel mit anderen von der Pandemie gebeutelten Ländern (darunter bemerkenswerterweise zwei westeuropäische) der US-Administration sauer aufstößt. Kooperation der Brigade "Henry Reeve" wird als "moderne Sklaverei" diffamiert. All die kubanischen Ärzte täten das ja nur unter Zwang, werden Trump, Pompeo und andere Intelligenzbestien an der Spitze der Vereinigten Staaten nicht müde zu behaupten. Hinzu kommt natürlich noch der tägliche Shitstorm über Facebook und Twitter, der auch viele Menschen in Kuba erreicht, verfügen doch sieben von elf Millionen Einwohnern hier inzwischen über Internet.

Was ursprünglich auf zwei Stunden pro Abend anberaumt war, wuchs sich aus auf jeweils drei bis dreieinhalb, die außerdem noch vom kubanischen TV-Sender Clave an beiden Abenden direkt übertragen wurden. Rund 60 Interpreten und Bands traten am Samstag und Sonntag auf: Kubaner, US-Amerikaner, Kanadier, Puerto-Ricaner, jeweils von ihrem Habitat aus. Und – dürfen wir raten? – die Deckungsgleichheit dieser Ziffer mit den Jahren der Blockade ist augenfällig. Zahlen sind in Kuba nie beliebig, sondern immer symbolisch wie nur irgendetwas. Eine große Bandbreite musikalischer Gattungen wurde zu Gehör gebracht: Rumba, Son, Jazz, Pop, Trova (Fusions und Crossovers zwischen dem einen und anderen gar nicht zu erwähnen) bis hin zu Kammermusik. Pablo Menéndez brachte den wesentlichen Aspekt der Veranstaltung auf den Punkt, als er sagte: "Mehr als je zuvor müssen die Künstler ihre Kunst in den Dienst der groίen Dinge stellen."

Condert for Cuba
Das Programm begann sehr stimmungsvoll mit der Nationalhymne Kubas, gespielt vom "Chicago Jazz Philharmonic Orchestra" unter der Leitung von Orbet Davis. Das hatte in besseren Zeiten schon einen regen Austausch mit Studenten der Konservatorien Havannas. Die blinde Wut des US-Präsidenten hat auf diesen Wohlklang von Völkerverständigung allerdings die verheerende Wirkung eines COVID-19-Ausbruchs auf zwei Beinen gehabt. Mitglieder besagten Orchesters beklagten, wieviel Schaden da mittlerweile durch ihre Regierung angerichtet wurde.

Hier eine halbwegs repräsentative Auswahl der außerdem am zweitägigen Musikevent Beteiligten in genremäßig heillosem Durcheinander:

Moncada, Arturo O’Farrill, Sintesis, die Hardrock-Gruppe Bush (mit George W. weder verwandt noch verschwägert), Omara Portuondo, Septeto Santiaguero, Los Van Van, die kanadische Flötistin Jane Bunnet im Duo mit der kubanischen Pianistin Danae Olano, die in die Jahre gekommene US-Folksängerin Barbara Dane, ihr kubanischer Sohn Pablo Menéndez und seine Band Mezcla, der Tastenvirtuose Nachito Herrera und der Gitarrist Ben Lapidus ("cubanoamericanos" beide), der Son-Interpret Eliades Ochoa, die peruanische Sängerin Susana Baca, Pop-Legende Dionne Warwick, Buena Fe, die selbstverständlich ihr in Kuba jedem Kind bekanntes, Kubas Ärzten gewidmetes "Valientes" sangen, Orquesta Aragón, Dayramir González, der puerto-ricanische Saxophonist Miguel Zenón sowie last not least Alexander Abreu y Habana D’ Primera, die mit "Me dicen Cuba" die wohl beste Salsa-Nummer der letzten zehn Jahre herausbrachten. Geradezu niedlich war neben so viel Professionalität die Darbietung von El Patio de Adela: Changuiseros, keiner von ihnen unter 75, die mit abenteuerlichen Instrumenten Marke Eigenbau und unter eingestreuten Lustschreien den akustischen Hintergrund für ein ebenfalls sehr betagtes Tanzpaar bildeten. Jorge Gomez, der Direktor der erstgenannten, äußerst beliebten Gruppe Moncada, ergriff übrigens die Gelegenheit zu sagen, dass dieses Projekt "den inneren Zusammenhalt kubanischer Musiker stärken wird", da die notorische Blockade durch die USA neben einer Unzahl anderer negativer Auswirkungen auch die habe, dass Kubas nicht eben kleine Musikszene an Nachschubproblemen leide, was Instrumente angehe.

Kubanische Musikprominenz überwog allein schon quantitativ die der Musiker des großen Nachbarn im Norden bei weitem, aber das kam nicht wirklich überraschend. Im "Land der unbegrenzten Möglichkeiten" sind die Freiheiten sehr begrenzt, wenn sie vom Mainstream des politisch Erwünschten abweichen. Insubordination, was weltanschauliche Paradigmen angeht, kann beruflichem Selbstmord gleichkommen und erfordert ein höheres Maß an Zivilcourage als in anderen Ländern.

Zunächst hatte man sich das Ganze eine Nummer kleiner gedacht. Da war lediglich ein Tag vorgesehen gewesen statt deren zwei. Am Ende sagten die Organisatoren: "Ein kleiner Traum verwandelte sich schließlich in einen großen."

Marguerite Horberg von Chicagos Gruppierung "Hot House", die auf eine langjährige Zeit als Aktivistin der Soli-Brigade "Venceremos" zurückblickt, bringt die Rede auf die weltweite COVID-19-Katastrophe, als sie sagt: "Wenn wir irgendetwas in den letzten Monaten gelernt haben, dann ja wohl, wie sehr wir miteinander verknüpft sind." Damit sprach sie einen weiteren Aspekt der kubanischen Gegenöffentlichkeit, die man mit diesem Event schaffen wollte, an – nämlich die Initiative, den Friedensnobelpreis 2020 an die Brigade "Henry Reeve" zu vergeben.

Einer der in diese Initiative Involvierten, der US-Anwalt und Producer Bill Martínez, teilte Prensa Latina mit: "Die mutige Arbeit der Brigadisten und die humanitäre Natur von Kubas medizinischen Diensten werden in den US-Medien nicht erwähnt." Dafür werden durch FOX News und andere – auch vermeintlich seriöse – Medien, die sich nicht zu schade sind, einem zwanghaft verlogenen Präsidenten als Sprachrohr zu dienen, der Welt eine Menge Münchhausiaden über die Internationalisten aus Kuba aufgetischt.

"Que viva Cuba!" Zu diesem einmütigen Schrei vereinten sich Künstler, Autoren, soziale Aktivisten und andere Persönlichkeiten, die sich in dieser "ungewöhnlichen Feier zu Ehren der kubanischen Kultur und der tapferen Bemühungen kubanischer Ärzte" Luft machten.

Im Hinblick auf den Wunsch, die Medizinbrigade "Henry Reeve", die allein in Sachen Coronavirus mittlerweile in 38 Ländern – und dies keineswegs nur der Region – tätig ist, mit dem Friedensnobelpreis zu ehren (was immer mehr Unterstützer findet), ist wohl die Vorstellung realistischer, dass die Hölle überfriert. Wenn die Kriterien, die Kubas angebliche "Sklaven" motivieren, am Rande der Erschöpfung Risiken einzugehen, wie sie es ohne zwingende Not immer wieder tun, Altruismus und das Stellen des Menschen in den Mittelpunkt ihres Handelns sind, so haben sie schon darum keine Aussicht auf Belohnung (weder auf materielle, noch auf ideelle), weil solche Werte keinen Anteil an der mit Recht nur sogenannten zivilisierten Welt mehr haben. Aber die Sache selbst ist gerecht und gut, und allein der Gedanke, dass den einen oder anderen in der Mumienfamilie von Miami vor lauter Wut über das schiere Ansinnen der Schlag treffen könnte, hat einen unleugbaren Reiz.

Bei den zahlreichen solidarischen Wortbeiträgen befand sich auf US-amerikanischer Seite neben den "üblichen Verdächtigen" wie Michael Moore, Danny Glover, Medea Benjamin, Gail Walker und Alicia Jrapko auch ein wirklich Prominenter, von dem ich bislang gar nicht gewusst hatte, dass er mit Kuba sympathisiert: Ron Perlman – der alle Sprachen und keine Sprache sprechende Mönch aus "Der Name der Rose", der am Ende als Häretiker auf dem Scheiterhaufen verbrannt wird (Bleibt zu hoffen, dass ihn Großinquisitor Donald Trump da nicht ein zweites Mal raufschickt).

Der Sänger und Schauspieler David Soul sagte: "Es sind immer Kubas Ärzte und Gesundheitskräfte, die als erste reagieren, wenn es in der Welt zu einer Krankheit oder Katastrophe kommt (…) Jetzt, in diesen schwierigen Tagen, in denen COVID-19 auch sie bedroht, bin ich mit meinen Gebeten, meinen Gedanken und meinem Herzen bei den Arbeitern aus Kuba, die so viel für so viele andere getan haben. Nun ist die Zeit, ihnen unsere Unterstützung zu geben." Anekdotisch erinnerte er sich an das erste Mal, als er mit Kuba in Berührung kam – über die Lektüre von Ernest Hemingways Novelle "Der alte Mann und das Meer". Von da an lebte in ihm der Wunschtraum, die Insel einmal zu besuchen, aber Soul musste erst zum britischen Staatsbürger werden, um ihn sich erfüllen zu können – mit der der Vereinigten Staaten wäre das nicht möglich gewesen. Ob er freilich nur deshalb Brite wurde, um Kuba besuchen zu dürfen, blieb offen …

"Wir haben viel zu lernen von den Kubanern und viel, um Danke zu sagen", meinte der unbelehrbare Querdenker Michael Moore. Der sehr bekannte Dokumentarfilmer richtete seine Dankbarkeit an jene, die "inmitten der Pandemie ihr eigenes Leben auf den Prüfstand stellen, um das anderer zu retten, an die Fachkräfte Kubas, die über den Erdball verteilt sind, um denen beizustehen, die ihrer Hilfe bedürfen. (…) Ich habe das kubanische Gesundheitssystem vor Ort kennengelernt und einen Film darüber gedreht, um meine Landsleute aufzuklären, wie es ist, wenn medizinische Behandlung als ein Menschenrecht aufgefasst wird." Es sei - gerade für ihn als Bürger der Vereinigten Staaten – schwer, von all den Dingen zu wissen, mit denen sein Land Leben und Wohlergehen des kubanischen Volkes verhindern wolle. Umso erstaunlicher, was dieses Land trotz allem leiste!

Zur Blockade sagte Michael Moore: "Ich wünschte, ich könnte sagen, dass diese Willkür bald ein Ende hat. Es bleibt noch viel zu tun." Und damit sprach er sicher für alle Freunde Kubas, die ihren guten Willen in diesem denkwürdigen Konzert zum Ausdruck gebracht haben.

CUBA LIBRE Ulli Fausten, Havanna

CUBA LIBRE 4-2020