La Medicina General Integral de Cuba
Kubas ganzheitliche Allgemeinmedizin

Viele arme Länder in Afrika, Lateinamerika, Asien schauen interessiert auf das Beispiel Kubas, dessen Bewohner dieselbe durchschnittliche Lebenserwartung von 78 Jahren haben wie die der USA. Allerdings gibt Kuba für Gesundheit pro Person und Jahr nur 4 Prozent dessen aus, was die USA aufwenden. (1)

Die revolutionärste Idee des kubanischen Systems ist, dass Ärzte dort leben, wo sie arbeiten. Ein Team aus Arzt/Ärztin und Krankenschwester ist Teil der Gemeinde und kennt seine Patienten gut, weil sie entweder in dem consultorio (Arztpraxis), in dem sie arbeiten, oder in dessen Nähe wohnen. Hinter den consultorios stehen policlinicos, die die Dienstbereitschaft außerhalb der Sprechstundenzeiten übernehmen und eine große Vielfalt von Spezialisten anbieten. Policlinicos koordinieren die Gesundheitsleistungen in der Gemeinde und sorgen für die örtliche Durchführung nationaler Gesundheitsinitiativen.

Die Kubaner nennen ihr System medicina general integral (MGI, ganzheitliche allgemeine Medizin). Es zielt auf Krankheitsprävention und schnellstmögliche Behandlung. (2)

Dieses System hat Kuba bei der Bekämpfung der alltäglichen Gesundheitsprobleme extrem effizient gemacht. Durch das Vorhandensein von Arztpraxen in allen Wohnvierteln wurde die Kindersterblichkeitsrate unter die der USA gedrückt. Sie ist weniger als halb so hoch wie die der Farbigen in den USA. (3) Kuba hält einen unerreichten Rekord in der Bekämpfung chronischer und ansteckender Krankheiten bei deutlich begrenzten Ressourcen. Die Kinderlähmung wurde 1962 ausgerottet, die Malaria 1967, Tetanus im Säuglingsalter 1972, Diphterie 1979, das angeborene Röteln-Syndrom 1989, Meningitis (Hirnhautentzündung) nach Mumps 1989, Masern 1993, Röteln 1995 und tuberkulöse Meningitis 1997. (4)

Kinderklinik Borrás-Marfán in Havanna

Ein Kind wird in der Kinderklinik Borrás-Marfán in Havanna medizinisch betreut
Foto: Irene Pérez/ Cubadebate



Die von der MGI gesteuerte Vernetzung von Familienarztpraxen, regionalen Kliniken und einem nationalen Hospital-System bedeutet auch, dass das Land gut auf Notsituationen reagieren kann. Bei einem Hurrikan kann es ganze Städte evakuieren, weil die Belegschaft des consultorio jeden in der Nachbarschaft kennt und weiß, wen sie zu Hilfe rufen kann, um behinderte Mitbewohner aus der Gefahrenzone zu bringen. Zu der Zeit, als New York City (ungefähr dieselbe Einwohnerzahl wie Kuba) 43.000 Fälle von AIDS verzeichnete, hatte Kuba ganze 200 AIDS-Patienten. (5) Auf Ausbrüche von Dengue-Fieber und neuerdings auf Zika- und Chikungunyainfektionen folgen rasch landesweite Gegenmaßnahmen und Mobilisierungen. (6)



Don Fitz hat aus den umfassenden Erfahrungen, die Kuba mit der Entwicklung seiner medizinischen Wissenschaft gemacht hat und mit der Weitergabe dieses Ansatzes an arme Länder in aller Welt, 10 allgemeine Schlussfolgerungen gezogen, von denen hier einige zitiert werden sollen. Diese bilden auch die Basis der Neuen Globalen Medizin:

1. Es ist nicht nötig, für eine medizinische Versorgung als erstes auf teure Technologien zu setzen. Kubanische Ärzte benutzen die Geräte, die zur Verfügung stehen, verfügen aber über die erstaunliche Fähigkeit, Katastrophenopfer im Freien chirurgisch zu behandeln. Sie sind sich sehr bewusst, dass die meisten Leben durch Präventivmedizin wie Ernährung und Hygiene gerettet werden, und dass traditionelle Kulturen ihre eigene Weisheit des Heilens haben. Dieses steht in direktem Gegensatz zur westlichen Medizin, wie sie insbesondere in den USA vorherrscht, die kostspielige Diagnose- und Behandlungstechniken als Mittel der ersten Wahl benutzt und auf Natur- und Alternativansätze verächtlich herabschaut.

2. Die Ärzte müssen Teil der Gemeinden sein, in der sie arbeiten. Das kann heißen, in derselben Nachbarschaft zu leben, z. B. in einem peruanischen Consultorio. Es kann heißen, in einer venezolanischen Gemeinde zu wohnen, die sehr viel gewalttätiger ist als eine kubanische. Oder es kann heißen, in Notfallzelten nahe den Unterkünften von Katastrophenopfern zu leben, wie es kubanische medizinische Brigaden nach dem Erdbeben 2010 in Haiti taten. Kubanisch ausgebildete Ärzte kennen ihre Patienten, indem sie die Gemeinden kennen, in denen die Patienten leben. So unterscheiden sie sich deutlich von US-amerikanischen Ärzten, die keinerlei Ausbildung darin haben, die häuslichen Bedingungen ihrer Patienten mit einzubeziehen.

3. Das Modell der MGI beschreibt Beziehungen zwischen Menschen, die über eine Faktensammlung weit hinausgehen. Statt Berge von Informationen auswendig zu lernen, die für die angewandte Medizin in den Gemeinden kaum gebraucht werden, wie US-Studenten es tun müssen, um medizinische Examina zu bestehen, lernen kubanische Studenten, was für den Bezug zu den Patienten in consultorios, polyclinicos, Feldhospitälern und entlegenen Dorfschaften notwendig ist. Weit entfernt davon, lästige Zusatzkurse zu sein, sind Studien darüber, Menschen als körperliche, seelische und gesellschaftliche Wesen zu sehen, entscheidend für die alltägliche kubanische Medizin.

Medizinisches Personal aus Kuba in Swasiland

Medizinisches Personal aus Kuba in Swasiland:
gute Praxis, bessere Ergebnisse
Foto: minrex

4. Die Neue Globale Medizin kann nur dann Wirklichkeit werden, wenn das medizinische Personal das Heilen über den persönlichen Reichtum stellt. In Kuba ist es eine der erfüllendsten Tätigkeiten, als Arzt, Krankenschwester oder unterstützendes Teammitglied auf eine Mission in ein anderes Land zu gehen. Das Programm hat auch weiterhin keine Mühe, eine wachsende Zahl von Freiwilligen zu finden - trotz der geringen Gehälter, die man in kubanischen Gesundheitsberufen verdienen kann. In den USA gibt es eindeutig eine Minderheit von Ärzten, die ihre Praxis auf die armen Nachbarschaften konzentrieren, die den größten Bedarf haben; aber es gibt in den USA keine politische Führung, die eine konzertierte Anstrengung unternehmen würde, Mediziner zu irgendetwas anderem zu bewegen als dem Ruf des Geldes zu folgen.

5. Die Neue Globale Medizin stellt im Kleinen dar, wie ein paar tausend Revolutionäre die Welt verändern können. Sie benötigen keine großen Reichtümer, keine teuren Technologien oder massiven Zuwachs an persönlichem Besitz, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Wenn sie ihre Arbeit den Menschen widmen, von denen sie zugleich lernen, können sie eine neue Welt vorbereiten, indem sie die vorhandenen Ressourcen sorgsam verwenden.

Und Don Fitz fährt fort: "Die globalen Gesundheitsdiskussionen im Westen beklagen typischerweise die unbestreitbare Tatsache, dass arme Länder immer noch unter chronischen und ansteckenden Krankheiten leiden, die reiche Länder schon seit Jahrzehnten unter Kontrolle haben. Internationale Gesundheitsorganisationen ringen die Hände über hohe Kindersterblichkeit und über die in großen Teilen der Welt fehlenden Ressourcen, um mit Naturkatastrophen umzugehen. Aber sie nehmen das eine Gesundheitssystem nicht zur Kenntnis, das in einem armen Land wirklich funktioniert, für die Gesundheit aller seiner Bewohner sorgt und darüber hinaus für die Gesundheit von Millionen anderer rund um die Erde. Die Verschwörung zum Schweigen, das den lauten Widerhall der Erfolge des kubanischen Gesundheitssystems umgibt, beweist die Gleichgültigkeit derer, die mit frommer Geste die größte Besorgnis heucheln.

Wie sollen fortschrittliche Leute auf diese vorgetäuschte Unkenntnis einer sinnvollen Lösung weltweiter Gesundheitsprobleme antworten? Der Anfang einer vernünftigen Antwort muss sein, die Kunde von Kubas Neuer Globaler Medizin durch jede verfügbare Quelle alternativer Informationsmedien zu verbreiten.

Die Nachricht ist: Gute Gesundheitsversorgung ist nicht teurer – die revolutionäre Medizin ist bei weitem kostengünstiger als die von Konzernen kontrollierte Medizin."

Anmerkungen
1) Lee T. Dresang, Laurie Brebrick, Danielle Murray, Ann Shallue, and Lisa Sullivan-Vedder, "Family Medicine in Cuba: Community-Oriented Primary care and Complemetary and Alternative Medicine", Journal of the American Board of Medicine 18.4 (July-August 2005).
2) Don Fitz´sZSpace Page/Z Space: „Why Is Cuba's Health Care System the Best Model for Poor Countries?
3) Richard S. Cooper, Joan F. Kenelly, and Pedro Ordunez-Garcia, "Health in Cuba", International Journal of Epidemiology 35 (2006) : 817–824.
4) J. Pérez, „Gender and HIV Prevention“, Slide Presentation at the Pedro Kouri Institute of Tropical Medicine, Havanna, Cuba, May 15, 2012.
5) Linda M. Whiteford and Laurence G. Branch, "Primary Health Care in Cuba: The Other Revolution", Lanham: Rowman & Littlefi eld Publishers, Inc., 2008.
6) Don Fitz, "Med School Classes Cancelled in Havanna", Black Agenda Report, February 14, 2012.
7) John M. Kirk and H. Micheal Erisman, "Cuban Medical Internationalism : Origins, Evolution and Goals", New York, Palgrave Macmillan, 2009.

CUBA LIBRE Dr. Klaus Piehl

CUBA LIBRE 1-2019