Die Geschichte hat ihn freigesprochen

Fidels Zeit im Presidio Modelo.

Während des Aufenthalts der Gruppe des Proyecto Tamara Bunke auf der Isla de la Juventud (Insel der Jugend) besuchten wir das Presidio Modelo – also das Gefängnis, in dem Fidel und 26 seiner compañeros nach dem gescheiterten Angriff auf die Moncada-Kaserne 1953 für 19 Monate gefangen gehalten worden waren. Das Presidio Modelo stellt einen historischen Ort dar. Vier kreisrunde Gebäude, die nach dem Prinzip des Panoptikums gebaut sind, ein riesiges Gebäude, welches den Speisesaal darstellt (auch "Comedor de 1000 Silencios" genannt, da die Kontaktaufnahme im Speisesaal zwischen den Gefangenen mit schweren Strafen, bis hin zur Todesstrafe, belangt wurde), ein ehemaliges Krankenhaus und einige Residenzhäuser der ehemaligen Gefängnisangestellten machen das Presidio Modelo aus.

Unser Besuch dieses heute menschenleeren und verlassenen Ort fand an einem regnerischen Nachmittag Ende September statt. Mit einem klapprigen Bus, der uns auf der Isla von A nach B fuhr, rollten wir über den holprigen Weg bis vor den Haupteingang des Museums, welches sich im ehemaligen Spitalgebäude befindet. Der Weg, auf dem wir – neugierig aus den offenen Fenstern des Busses blickend – einfuhren, wird auch "Camino de Muerte" genannt. Den Ausführungen der Museumsführerin zufolge wurden aus dem Gefängnis immer wieder Gruppen von Gefangenen selektiert, die auf diesem Weg, vom Gefängnis weg, abgeführt wurden und nie wieder zurückkehrten, geschweige denn wieder gesehen wurden.

Der Besuch im ehemaligen Gefängnis löste bei mir ein unerwartet starkes Gefühl der Bedrückung aus. Hier waren also einmal 27 junge Menschen gefangen, die später zur Bewegung "26 de Julio" wurden. Sie waren damals nicht viel älter als ich heute und ich frage mich, was für Emotionen, Ängste, Ahnungen und Pläne in den Köpfen dieser Männer und Frauen steckten. Sie hatten sich zusammengefunden um einen militärischen Aufstand gegen die Diktatur Batistas zu planen und durchzuführen. Beim Versuch, dies auch nur ansatzweise auf mein Leben zu übertragen, werde ich mir bewusst darüber, wie überzeugt und mutig man sein muss, um wirklich so etwas zu tun. Vor allem etwas, von dem man sich im Klaren sein muss, dass man mitunter mit dem Leben dafür bezahlt. Fidel sagt hierzu über den Tod seiner im Kampf gefallenen Genossen:

"Da ihr Leben unersetzbar ist, könnten ihre Mörder nicht dafür bezahlen – auch mit ihrem eigenen Leben nicht. Mit Blut werden wir das Leben derjenigen, die für ihr Land gestorben sind, nicht aufwiegen können. Das Glück ihres Volkes ist der einzige Tribut, welcher dem Wert ihres Leben entspricht". (Fidel Castro, 1953)

Im Revolutionskampf geht es also um etwas Größeres als das eigene individuelle Glück, bzw. dieses ist durch das Erkämpfen eines für die Allgemeinheit gültigen Glücks bedingt. Für eine wie mich, die im Glauben aufgewachsen ist, dass das individuelle Glück das höchste und einzige Gut sei, sind das oft schwer begreifbare Ideen.

Die Flamme der Wahrheit lässt sich nicht ersticken

Fidel, sein Bruder Raúl und rund 160 Weitere fanden sich aus ganz Kuba zusammen, um 1953 die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba einzunehmen. Nach dem gescheiterten Angriff wurde eine Vielzahl der Überlebenden festgenommen und viele von ihnen ermordet. Fidel, Raúl und 25 weitere Genossen überlebten ihre Festnahme und kamen letztendlich ins Presidio Modelo auf der Isla de la Juventud.

Nach einer fast dreimonatigen Isolationshaft, während der ihm jegliche Rechte als Gefangener entzogen wurden, wurde Fidel dem Tribunal vorgestellt. Gefordert wurde eine 26-jährige Gefängnisstrafe. Das Regime Batistas sah in den Worten Fidels an das kubanische Volk offensichtlich eine so große Gefahr, dass die Öffentlichkeit rechtswidrig vom Verfahren ausgeschlossen wurde.

Von der Museumsführerin lernten wir außerdem, dass durch das Verbot von Aufzeichnungen während der Gerichtsverhandlung das Niederschreiben der mündlich vorgetragenen Verteidigungsrede ein regelrechtes Abenteuer war: Einerseits schrieb eine Reporterin insgeheim in größter Sorgfalt auf die Innenseite von Streicholzschachteln bei der Verhandlung mit, andererseits schrieb Fidel aus der auf die Verhandlung folgenden Gefangenschaft Briefe, die zwischen den Zeilen mit Zitronensaft eine zweite Nachricht beinhalteten. Beim Bügeln der Briefe wurde die zuvor unsichtbare Zitronensaftschrift sichtbar und Fidel hatte die Möglichkeit, neben anderen der geheimen Kommunikation dienenden Nachrichten auch seine Verteidigungsrede zu Papier zu bringen.

Diese Verteidigungsrede ist vor allem eine Anklage des Batista-Regimes und des Blutbades, das bei der Ermordung der Gefangenen nach dem Moncada-Angriff veranstaltet wurde. Es sind Worte der Wahrheit, die ein Mann, der nicht weiß, wie oft er noch zu Wort kommen wird, an die Welt richtet. Es sind weise gewählte Worte. Worte des Kampfes und der Entschlossenheit.

Fidel beschließt seine Rede nicht mit einer Bitte um Freispruch, sondern er fordert die Zusammenführung mit seinen compañeros im Gefängnis, denn es sei verständlich, "dass ehrliche Menschen entweder tot oder im Gefängnis sein sollten in einer Republik, wo der Präsident ein Verbrecher und Dieb ist".

Den Weg der Revolution geöffnet

Im Presidio Modelo wurden die Revolutionskämpfer nicht in den kreisrunden Panoptikumgebäuden untergebracht, sondern gemeinsam in einen Saal des Spitals gepfercht. Die compañeros hatten die Möglichkeit, in ständigem Austausch zu sein, ihnen wurde gestattet, eine Bibliothek und eine Schule im Gefängnis zu eröffnen. Durch die Lektüre und das Studium von Marx, Lenin und anderen Klassikern bereiteten sie sich theoretisch auf die Revolution vor. Es wurden strenge Regeln und Uhrzeiten eingehalten, monatliche Vollversammlungen, asambleas, abgehalten, ein Präsident und Sekretär der Gemeinschaft der Gefangenen wurde gewählt und von Familie und Angehörigen erhaltene Güter wurden gemeinschaftlich geteilt. Die 1953 begonnenen Anstrengungen waren nicht gescheitert, sondern stellten den Weg der Revolution dar. Der Kampfesgeist der Männer war keineswegs gebrochen. Noch während der Haftzeit wurde Fidels "La historia me absolvera" 20.000 Mal gedruckt.

Als ich 63 Jahre später vor besagtem kleinen Fenster im Raum des ehemaligen Spitals stehe, sehe ich, wie das fade Licht einfällt. Für Museumszwecke ist der Raum heute mit den Betten der Gefangenen ausgestattet und unter dem Fenster hängt eine Steintafel mit den Worten der Hymne des 26. Juli, die die Gefangenen hier komponierten: "Das Volk Kubas...hat sich entschieden … eine Lösung zu finden … und entschlossen für dieses Ziel geben wir sogar unser Leben. Es lebe die Revolution!"

Ich bekomme Gänsehaut. Ich laufe hier heute als Museumsbesucherin durch – vor 63 Jahren standen hier Menschen, die mit ihren Taten, ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit Geschichte geschrieben haben, eine Geschichte, die das Leben so vieler verändert hat.

In diesem Sinne – ¡Que viva la Revolución!

CUBA LIBRE Lena, Proyecto Tamara Bunke

CUBA LIBRE 2-2018