Kubabuch in China

In einer kubanischen Zeitschrift über einen China-Besuch zu schreiben, könnte wie ein Versehen betrachtet werden. Bei näherer Betrachtung ist es wohl umgekehrt.

Volker Hermsdorf hat ein Buch über Kuba mit drei Gesprächspartnern veröffentlicht. Seine Partner waren Klaus Eichner, Fritz Streletz und Hans Modrow.

Das Buch mit dem Titel "Kuba - Aufbruch oder Abbruch" fand in China schnell Aufmerksamkeit, wurde ins chinesische übersetzt und war im Sommer 2015 im Buchhandel.

Fritz Streletz und ich wurden von einem "Institut für strategische Forschung" nach China eingeladen, um dieses Buch über Kuba in Peking und anderen Städten Chinas vorzustellen. So kann es in der Politik auch gehen – über Kuba nach China und daher nun etwas über unseren Besuch.

Erste Eindrücke

Mein erster Eindruck war wieder, dass China ein großes Land mit sehr vielen Menschen ist. Man fragt sich aber, warum eine "mittelgroße" Stadt, die in den wenigen Jahren ihrer Existenz zwischen zwei bis fünf Millionen Einwohner hat, im Wettbewerb um das höchste Haus des Landes steht und findet keine Antwort. Dann überlegte ich weiter, was ist eigentlich in den so genannten westlichen Ländern los? In Dubai habe ich noch das höchste Haus der Welt gesehen, was heute schon überholt worden ist. Dann dachte ich weiter: China strebt nach einem mittleren Wohlstand seiner Bürger, da gehören auch gute Wohnungen dazu und so folgt China dem Welttrend: Die Menschen ziehen in die Städte und die Dörfer werden mehr und mehr entvölkert. Außerdem spielen natürlich die Bodenpreise eine entscheidende Rolle und so ist es billiger, in die Höhe zu bauen. Über Gefahren einer Immobilienkrise wurde dann auch gesprochen. Eine andere Seite der Sache hat uns dann schon beeindruckt. Wir wurden nicht eingeladen, um Stadtgänge zu machen – die Einladungen führten uns zu Erholungsparks und Einrichtungen am Stadtrand mit guten Verkehrsanbindungen, wo wir viele Menschen im besten Sinne des Wortes bei Spaß und Erholung trafen.

Erfahrungen und Zusammenarbeit

Nun aber doch zur Politik und Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung. Schnell erkannten wir, warum ein Kuba-Buch Interesse findet und warum die Sicht von Verantwortungsträgern der alten DDR auf den Sozialismus und seinen Untergang in Europa zu einem Thema in China werden konnte. Der Zeitpunkt unseres Besuches war doch nicht zufällig in die Nähe des VII. Parteitages der KP Kubas gewählt worden. In Kuba ist eine Zusammenarbeit mit China nicht zu übersehen. Allein schon die von China gelieferte Busflotte für den Tourismus fällt ins Auge. Bei Gesprächen in China war das Gefühl solidarischer Verbundenheit mit Kuba und seinem sozialistischen Weg nicht zu überhören.

Natürlich wurden wir nicht als Kuba-Sprecher betrachtet. Mehr Aufmerksamkeit hatten Fragen über das Ende des Realsozialismus in Europa und den Zerfall der Sowjetunion.

In Shanghai an der Universität lautete das Thema "Geschichte – Gegenwart und Verantwortung". In Nanjing waren es vor allem über 200 Unternehmerinnen und Unternehmer von privaten Betrieben, die mit uns über das Thema "Partner China – BRD und die Seidenstraße von Asien nach Europa" sprechen wollten.

Chinesischer Weg

Um beim Thema mittlerer Wohlstand zu bleiben, ein paar Auszüge aus dem Bericht des Bürgermeisters von Suqian, der wie eine Werbung klang. 5,8 Millionen Einwohner leben auf einer Fläche von 8,5 Quadratkilometern. Suqian Stadt hat reichliche Naturschätze und fruchtbare Produkte. Sie ist bekannt als "Heimat des Schnapses", "Heimat des Pflaumenbaumes", "Heimat des Fisches und Reises" und "Heimat der Blumen und Bäume". Yanghe und Shuanggou sind bekannte chinesische Marken und gewinnen den nationalen Titel von gutem Schnaps. Suqian ist die wichtige staatliche Produktions- und Bearbeitungsbasis von Lebensmitteln und Agrarprodukten. Die Planung und Entwicklung dieser Regionen soll Schwerpunkt sein.

Verschwiegen wurde in öffentlichen Berichten über den Besuch nicht, dass Fritz Streletz ein Generaloberst a. D. der Streitkräfte der DDR ist, die einmal gute Beziehungen zu den Streitkräften der VR China hatten. Wir erlebten auch, wie seine völkerrechtlich nicht gedeckte juristische Verurteilung durch ein bundesdeutsches Gericht zurückgewiesen und Solidarität bekundet wurde. Dass ich einst ein Ministerpräsident der DDR war, wurde geachtet und viele Fragen wurden mir über das Ende des deutschen sozialistischen Staates und der verräterischen Haltung Gorbatschows gestellt. Da wir ja auch ein Buch über Kuba vorstellten, machte ich kein Geheimnis aus meiner Begegnung mit Fidel Castro im Jahr 1993. Da spielten die Perestroika und Gorbatschow auch eine Rolle. Fidel machte deutlich, dass er die konzeptionslose Politik von Gorbatschow schon immer für falsch gehalten habe und Gorbatschow seine Distanz zu Kuba nicht verdecken konnte.

Bei meiner zehnten China-Reise begleitete uns das Motto, das bei der ersten im November/Dezember 1959 über alle Berichte in der Zeitung "junge Welt", die oft täglich erschienen, gestanden hat: "Bericht über China – ein fernes Land, das uns so nah ist".

Beim Besuch der Universität in Shanghai hatten wir viel Glück. Wir waren nicht nur Vortragende, sondern auch Zuhörer. Eine Professorin der Akademie für Gesellschaftswissenschaft sprach über das Vertrauen, welches die Partei mit dem Parteitag stärken oder zum Teil auch wiedergewinnen will. Von vier Vertrauen war die Rede, die mit dem Parteitag verbunden seien.

Erstens: Vertrauen zur sozialistischen Theorie und Überzeugung. Marx-Engels-Lenin bilden weiterhin die Grundelemente. Mao wird kritisch gesehen, aber nicht absolut ausgeblendet. Deng Xiao Ping hält seinen Platz und ein Generalsekretär wie Jiang Zemin hat auch einen Platz darin. Dieses Vertrauen zur Überzeugung ist nur zu stärken. wenn Wissen und Erfahrungen verbreitet werden. So sollen sich die modernen Gesellschaftswissenschaften mit den philosophischen Elementen des großen Gelehrten der chinesischen Geschichte, Konfuzius, nicht gegenüberstehen.

Zweitens: Vertrauen in den Sozialismus chinesischer Prägung. Die Wirtschaft soll weiter wachsen, aber der wissenschaftlich-technische Fortschritt einen höheren Rang einnehmen. Die Qualität der Produkte und die Effizienz der ganzen Wirtschaft muss vor einem quantitativen Wachstum stehen. Das Ziel aller Anstrengungen in Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft muss sein, die VR China zu einem Land des mittleren Wohlstandes ständig weiter zu entwickeln.

Drittens: Vertrauen zum Kampf gegen die Korruption. Ein Element des Kampfes wird auch weiterhin die juristische Verfolgung korrupter Personen sein. Dies gilt für die eigenen Reihen der Partei, aber auch für Staat und Wirtschaft. Keine Ebene ist hier ausgeschlossen. Dieser Kampf soll aber noch viel mehr in der ganzen Breite des gesellschaftlichen Lebens erfolgen. Es soll eine moralische Haltung wachsen, die Korruption bremst und überwindet. Die Administration soll mehr unter Kontrolle der ganzen Gesellschaft sein, wozu vielseitige Elemente demokratischer Mitbestimmung noch wirksamer werden sollen.

Viertens: Vertrauen zur und in die Partei. Die KP Chinas ist nun wohl schon bei 87 Millionen Mitgliedern. Gewiss darf hier die Zahl der Einwohner von nahe 1,4 Milliarden Menschen nicht unbeachtet bleiben. Vertrauen in der Partei soll auch heißen, das eigene demokratische Leben in der Partei zu stärken, offen für berechtigte kritisch-konstruktive Debatten zu sein, aber auch Tendenzen, die sichtbar Verleumdungen verbreiten, entgegenzutreten. Was außerhalb der Partei nicht toleriert werden soll, darf in der Partei nicht geschehen und geduldet werden – ist hier der Grundsatz.

Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung

Obwohl unsere Reise mehr mit Fragen der Geschichte, des Friedens und der Sicherheit verbunden war, ergaben sich immer wieder auch Fragen zur Wirtschaft und der Strategie der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Grundprinzipien der Wirtschaft gehen von einer führenden Rolle des Marktes und der Begleitung durch die Politik aus. Die Regierung soll ihre Tätigkeit auf strategisches Forschen, längerfristiges Orientieren und Planen ausrichten. Die Unternehmen, besonders die kleinen und mittleren, sollen gefördert und das Geschäftsklima verbessert werden. Die Fertigungsindustrie soll den Vorrang haben und tragend für die Entwicklung Chinas zu einer wirtschaftlichen, den wissenschaftlichen Fortschritt mitbestimmenden Großmacht sein. Den Binnenmarkt gilt es zu stärken sowie den Platz im Welthandel zu halten und auszubauen, waren Überlegungen, die uns vermittelt wurden. Konkret wurde dies im Zusammenhang mit der Debatte mit Unternehmern bezüglich der Seidenstraße. Die Seidenstraße der Gegenwart geht über Straße, Schiene und Meer. Egal wo sie verläuft, sind Handel und Politik nicht zu trennen. In China spricht man von einer harmonischen Welt, die zur Voraussetzung der Funktion der Seidenstraße gehört. Einig waren wir uns darum, dass Harmonie "Frieden und Vertrauen" heißen soll und die Politik sich diesen Herausforderungen zu stellen hat.

CUBA LIBRE Hans Modrow

CUBA LIBRE 2-2017