Erinnerungen an einige Episoden aus den Begegnungen mit Fidel Castro

Heinz Langer

Heinz Langer, Foto: Gabriele Senft


Am 13. August diesen Jahres wird Fidel Castro seinen 90. Geburtstag feiern. Anlass genug für mich, sich an diesem Tag an die Begegnungen mit Fidel aus der Zeit meiner Tätigkeit als Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik in Kuba zu erinnern. Natürlich hatte ich den Auftrag, die Glückwünsche des Staatsratsvorsitzenden der DDR zu überbringen.

Zu den Mitarbeitern des kubanischen Außenministeriums und der Internationalen Abteilung der Partei hatte ich ausgezeichnete, freundschaftliche Beziehungen und auch zu Fidel. Ich war schließlich Mitglied der ersten Partei- und Regierungsdelegation der DDR in Kuba und hatte in meiner Eigenschaft als Sektorleiter Lateinamerika im Zentralkomitee der SED vor allem im Zusammenhang mit den Ereignissen in Chile sehr intensive Arbeitskontakte mit Kuba. Also nutzte ich meine Position, um den Protokollchef Kubas, Roberto Melendes zu konsultieren, wie ich meinen Auftrag an Fidel überbringen könnte. Roberto, der seinen Präsidenten schon aus den Zeiten der Rebellenarmee kannte, sagte mir, dass Fidel keinen großen Wert für solche Glückwunschzeremonien habe. Er gab mir den Rat, ihn einfach zu mir einzuladen denn es zeigte sich, dass es schwer war, einen offiziellen Termin über das Protokoll zu bekommen. Ich versuchte daher, das offizielle Protokoll zu umgehen und wählte die Vermittlung durch die mir gut bekannte enge Vertraute Fidels, seiner Privatsekretärin und Kampfgefährtin aus der Sierra Maestra, Celia Sanchez. Sie schaffte es immer, eine Gelegenheit zur Übergabe der Glückwünsche zu organisieren. Meistens kam dann Fidel zu mir in die Residenz. Ich vermute, dass er solchen Dingen einen privaten Charakter geben wollte. Er bedankte sich für die Grüße und begann, vollkommen entspannt über die Bedeutung des 13. August für die DDR zu sprechen. Auch darüber hatte er einen klaren Standpunkt. Fidel hatte überzeugende Informationen, welcher Schaden der DDR früher die offene Grenze durch die Politik der BRD entstanden war. Er verglich die USA-Blockadepolitik gegen Kuba mit den Methoden der BRD-Regierung gegen die DDR. Die Maßnahmen gegen Kuba verstand er als eine weitere Methode, um die Verbreitung der sozialistischen Idee in Misskredit zu bringen.

Die Unterhaltung verlief in einer lockeren Atmosphäre. Fidel äußerte sich lobend über die Qualität unseres Rotkäppchen-Sekts. Solche Gespräche waren für mich als DDR-Vertreter sehr wertvoll und trugen sichtbar zu Festigung der persönlichen Beziehung bei. Der Geburtstag Fidels war übrigens nicht der einzige Anlass, dass er mich in meiner Wohnung besuchte.

1959, Fidel Castro und Camilo Cienfuegos

1959, Fidel Castro und Camilo Cienfuegos, Foto: Alberto Korda




Einmal besichtigte er die ganze Residenz – wohl wissend, dass das Haus, wie er sagte, für die einst mächtigste Figur im vorrevolutionären Kuba, dem USA Militärattaché, gebaut worden war. Fidel entdeckte in den beiden Arbeitszimmern jeweils einen verschlossenen Safe. Als ich ihm sagte, dass ich bisher diese Tresore noch nicht öffnen konnte, spürte ich sein anwachsendes Interesse und er versprach mir, einen seiner Spezialisten zu schicken.. Aber, wie vermutet, hatte der US-Vertreter noch genügend Zeit gehabt, die Geheimnisse in Sicherheit zu bringen.

Natürlich gab es weitere Gelegenheiten für persönliche Begegnungen außerhalb der offiziellen Veranstaltungen der Kubaner oder des diplomatischen Korps oder auch bei der Einweihung von Industrieobjekten, die von der DDR oder mit ihrer Hilfe auf Kuba errichtet worden waren.







Der Internationalist

Es ist z. B. bekannt, dass Kuba einen großen Verdienst bei der Befreiung von Ländern Afrikas von kolonialer oder halb-kolonialer Abhängig hat. So zum Beispiel im Falle Angolas. Dieses reiche Land wurde ebenfalls mit der Nelken-Revolution in Portugal frei. Auch in diesem Falle war es dringend erforderlich, die Freiheit gegen die Gelüste anderer imperialer Mächte zu verteidigen. Im Oktober 1975 drohten die Streitkräfte Südafrikas und des Kongos unter Mabuto, die Hauptstadt Angolas zu erobern. Der Führer der Befreiungsbewegung MPLA, Augustinho Neto, bat die revolutionäre Regierung Kubas um Hilfe. Die kubanische Regierung reagierte unverzüglich, indem sie umfangreiche militärische Hilfe schickte. Die DDR hatte selbst traditionelle Beziehungen zu den afrikanischen Befreiungsbewegungen. Die Führung der DDR unterstützte, ihren Möglichkeiten entsprechend, auch die kubanischen Hilfsmaßnahmen. Natürlich benötigte das sozialistische Kuba mit seinen begrenzten wirtschaftlichen Möglichkeiten diese Unterstützung. Zur Koordinierung der Sicherstellung für die umfangreichen Militäraktionen besuchte mich Fidel persönlich öfters in meiner Residenz, wodurch natürlich unsere vertrauensvollen freundschaftlichen Beziehungen zwischen unseren Staaten weiterhin gefestigt wurden. Die Besuche erfolgten spontan. Fidel meldete sich aber immer mit seinem Autotelefon kurzfristig. Oft kam er in Begleitung einiger Minister, in Abhängigkeit von den Objekten, die er gerade besuchte. Auch hier herrschte eine komplett informelle Atmosphäre. Ihm machte es auch nichts aus, wenn er mich beim Rasieren oder beim Umkleiden für eine nächste Veranstaltung überraschte. Fidel breitete gewöhnlich die Karte von Angola aus und erläuterte mir im Detail die unmittelbar bevorstehenden Kampfhandlungen. Es war beeindruckend, wie er über die große Entfernung Einfluss auf die taktische Situation ausübte, wie er persönlich und effektiv die Führung der kubanischen Truppen in Angola organisierte. Natürlich setzte er voraus, dass ich jeweils die Partner in der DDR aktuell informierte.

Rum und Bier

Während der feierlichen Eröffnungszeremonien anlässlich der Übergabe von uns erbauter Objekte musste ich stets auf der Hut sein. Denn Fidel hatte sich angewöhnt, während seiner Rede überraschend Fragen an mich zu stellen. So zum Beispiel im Falle der Brauerei "Minima" in Paraguay. Die Fragen betrafen u. a. die Trinkgewohnheiten der DDR-Bürger oder technische Probleme des Bierbrauens Am Abend, beim Empfang, erzählte er mir über die Probleme in der Provinz Holguin, in der sich die Industrie am schnellsten und mit ihr die Anzahl der Arbeiter entwickelt habe. Die Trinkgewohnheiten seien noch immer auf den Konsum von kubanischen Rum gerichtet. Daher plane er, die Brauerei zu erweitern, damit die Arbeiter mehr Bier an Stelle von Rum konsumierten. Wie ganz nebenbei erkundigte er sich, ob von unserem Kredit für die Brauerei in Camaguay "noch etwas übrig sei, um die Brauerei in Holguin zu erweitern". Heute ist diese Brauerei übrigens noch immer die modernste Kubas.

Übergabe der wohl größten und modernsten Druckerei Kubas.

Es war geplant, dass in dieser Druckerei – mit einer projektierten Jahreskapazität von 20 Millionen Büchern – der Schulbuchbedarf des kubanischen Bildungswesens, eine der wichtigsten Errungenschaften der kubanischen Revolution, gedeckt werden sollte. Der Bedeutung entsprechend, konnten wir aus diesem Anlass ein künstlerisch anspruchsvolles Konzert als Eröffnungskonzert erwarten. Die beiden damals bekanntesten Sänger, Silvio Rodriguez und Pablo Milanes, gaben sich die Ehre. Vor dem Konzert besichtigte Fidel die riesige Druckerei. Es war beeindruckend, ihn bei seinem Rundgang zu beobachten. In der klimatisierten Produktionshalle mit modernsten Maschinen und anderen Geräten unserer auf Weltniveau produzierenden polygraphischen Industrie ausgestattet, herrschte eine feierliche Stimmung. Die Arbeiter und das Servicepersonal waren überwiegend junge Leute, die ihre Ausbildung vorwiegend in der DDR, in Leipzig oder Dresden erhalten haben. Auch hier bemerkten wir in den Gesprächen den großen Sachverstand Fidels. Natürlich interessierte er sich auch für die Qualifizierungsmaßnahmen in der DDR. Die längste Zeit verbrachte er jedoch damit, sich mit den kubanischen Jugendlichen über ihr privates und soziales Umfeld in sehr lockerer und völlig ungezwungener Art und Weise zu unterhalten. So etwas habe ich in dieser Form bisher nur in Kuba erlebt, dass der oberste Repräsentant sich mit Arbeitern und Jugendlichen unterhält, als wären sie gemeinsam Mitglieder eines gleichen Arbeitskollektivs.

Fidel Castro, Foto: Roberto Chile

Im Lichte Ches, Foto: Roberto Chile

Gegen Ende des Konzerts fragte mich Fidel plötzlich, ob ich nach dem Konzert noch Zeit hätte, um mit ihm und seiner Begleitung (es waren die Bezirkssekretäre der Ostprovinzen, der Landwirtschaftsminister, weitere Minister, wie für das Bauwesen und für die Staatsreserven) in die Berge zu fahren. Er müsse dort in einem Tal "Valle de Caugery" im östlichen Bergmassiv eine wichtige Entscheidung treffen. In diesem sehr fruchtbaren Tal, das aber zu wenig Wasser hat, müsse ein Fluss gestaut werden, um es für die anliegenden Bauern und die Landwirtschaft besser nutzen zu können. Das Projekt wolle er vor Ort mit den Bauern und Spezialisten diskutieren, um zu einer Entscheidung zu kommen.

Kämpfe gegen das Unmögliche und gewinne

Kämpfe gegen das Unmögliche und gewinne, Foto: jim & me, wikimedia, CC BY 2.5 es


Wir hatten uns schon gewundert, dass eine Kolonne mit zahlreichen Jeeps vorgefahren war. Mich traf die Einladung völlig unvorbereitet und hatte daher keinerlei Vorbereitungen getroffen. Ich nahm die Ehre an und willigte in dieses interessante Abenteuer ein. Ich schickte meinen Fahrer mit Wagen und entsprechenden Instruktionen für meine Frau und die Botschaft nach Havanna zurück und reihte mich mit dem mir zur Verfügung gestellten Jeep in die Kolonne ein. Etwa zwei Stunden fuhren wie in völliger Dunkelheit durch die Berge bis zu einem improvisierten Feldlager der Armee. Dort, es war gegen 2 Uhr in der Nacht, wurden wir von Soldaten mit einer köstlichen, für die Region typischen Gemüsesuppe (Caldosa) bewirtet. Während des Essens plauderte Fidel über Erlebnisse in den Bergen aus der Zeit der Kämpfe. Nach einiger Zeit, die wie im Fluge verging, teilte er mir mit, dass die Bauern zu einer Versammlung eingeladen hätten, um die Probleme zu diskutieren. Auch hierzu lud er mich ein. Es fing schon an zu tagen, als wir das Tal erreichten. Fidel stellte uns den Bauern vor und bat mich, neben sich Platz zu nehmen. Er begann sogleich über die Landwirtschaft der DDR und über den Einfluss der Genossenschaften auf Kuba zu sprechen und brachte mich zur Belustigung der Versammelten wiederholt ins Spiel, indem er mir Fragen stellte über Dinge, die die kubanischen Bauern noch nicht kannten – wie Magermilch, Margarine usw. Über das Stausee-Projekt entwickelte sich eine heftige Diskussion. Erschöpft, aber zufrieden, fuhren wir zu unseren Zelten und freuten uns auf den verdienten Schlaf. Wir nahmen an, dass der Chef sich ebenfalls zur Ruhe begab; aber weit gefehlt, er zog sich mit den Spezialisten für das Bauvorhaben in sein Zelt zurück, um an dem Projekt zu arbeiten. Ich war froh, dass Fidel mir einen Platz in seinem Flugzeug anbot für die Rücktour.

Resümierend kann ich sagen, dass auch diese Begegnung zum wiederholten Male meine Meinung bestätigt hat, dass Fidel Castro ein außergewöhnlicher Mensch ist: menschlich und – was viele nicht glauben wollen – zugleich ein Staatsmann, der sich bei seinen Entscheidungen mit seinen Mitarbeitern und den kompetenten Gremien berät, der trotz seines Temperaments geduldig und ausdauernd zuhören kann.

CUBA LIBRE Heinz Langer

CUBA LIBRE 3-2016