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Gerade kommt mir ein Filmchen in den Sinn, das ich vor einigen Monaten gesehen habe. Es handelt sich um eines der Videos, die auf den Straßen Kubas von USB-Stick zu USB-Stick kopiert werden. Es ging über die Gespräche zwischen den USA und Kuba, und seinem Inhalt nach vermute ich, dass es von Ultrarechten aus Miami konzipiert worden ist. Im Video wird eine Verhandlungsrunde dargestellt – und zwar in Form einer Parodie auf das Lied »Bailando« von Descemer Bueno. Interessant war dabei, dass sich am Ende beide Verhandlungspartner vom Tisch erheben und rufen: »Diese Verhandlungen führen nirgendwo, nirgendwo hin!«
Viele haben gedacht oder gehofft, dass es so kommen würde. Aber das Leben ist erfüllter, als manch einer es sich vorstellen kann und überrascht zuweilen mit unvorhersehbaren Wendungen. Was vor dem 17. Dezember 2014 als ein Traum erschien, ist heute Wirklichkeit. Für Millionen von Menschen in beiden Ländern, vor allem die etwas älteren unter ihnen, war eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen zwischen Havanna und Washington aufgrund der komplizierten Geschichte unvorstellbar. Wenn der 17. Dezember 2014 als historisches Datum gilt, so war es der 20. Juli 2015 auch – der Tag, an dem nach einem halben Jahr ununterbrochener Verhandlungsgespräche die Fahne vor der diplomatischen Vertretung Kubas in Washington gehisst wurde.
Die Wiedereröffnung der Botschaften hat eine größere Bedeutung, als wir uns das vorstellen können. Sie steht für die Anerkennung unserer Regierung und unseres Staates durch die USA. Sie besagt auch, dass Kuba und die Kubaner nichts gegen die US-Amerikaner haben – trotz der tiefen Wunden aus 56 Jahren der Konfrontation. Einer Supermacht gegenübergestellt, musste unsere Karibikinsel Unvorstellbares leisten, um zu überleben. Aber noch unvorstellbarer ist, dass dies noch zu einem Zeitpunkt geschieht, an dem die historische Generation der Revolution weiterhin an der Spitze unseres Landes steht.
Die Reaktionen haben nicht lange auf sich warten lassen. Die konservativsten Sektoren der US-Politik lehnen die Vorkommnisse des 20. Juli entschieden ab. Sie wollen die Fahne mit dem einzelnen Stern nicht würdevoll über der Hauptstadt des Imperiums wehen sehen. Die Stars and Stripes in Havanna würde ihnen schon gefallen, allerdings nicht nur über dem heutigen Botschaftsgebäude, sondern vor allem auf der Festung El Morro, an der Seite der kubanischen Flagge. So hing sie dort auch am 20. Mai 1902, dem Tag der Amtsaufnahme der ersten kubanischen Pseudo-Regierung.
Jeb Bush, der derzeit favorisierte Gegenspieler der demokratischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen 2016, erklärte, er widersetze sich der Entscheidung, dem »Castro-Regime« durch die Öffnung einer Botschaft in Havanna noch weiter entgegen zu kommen. Bush meinte, es entbehre nicht einer gewissen Ironie, dass Präsident Obama sich zu einem Zeitpunkt an die Eröffnung einer Botschaft in Havanna mache, an dem sich die US-Amerikaner auf die Feiern zu ihrem Unabhängigkeitstag, dem »Jahrestag der Befreiung von der Tyrannei und ihrer Verpflichtung gegenüber den demokratischen Werten« vorbereiten würden.
Die fortgesetzten Verhaftungen von Dissidenten und die unaufhörlichen Verletzungen der Menschenrechte seien Indizien dafür, dass die Politik der Regierung gescheitert sei, so Bush. Der dritte Vertreter der Bush-Familie, der sich anschickt, US-Präsident zu werden, erwartet nach eigenen Worten, dass der US-Kongress vor der Eröffnung der Botschaft die an Havanna gemachten Zugeständnisse einer kritischen Überprüfung unterziehe.
Der kubanisch-stämmige Vorwahlkandidat Marcos Rubio kritisierte, dass die Regierung Obama während der Zeit der Verhandlungen fortgesetzt weggeschaut und Zugeständnis um Zugeständnis gemacht habe, während zeitgleich das »Castro-Regime« die Repression gegen das kubanische Volk erhöht habe. Es sei Zeit, so Rubio, die einseitigen Zugeständnisse an das »hassenswerte Regime« zu beenden.
Der Präsident des US-Repräsentantenhauses, John Boehner, erklärte in einer Pressemitteilung, die Obama-Administration böte den Castros den »Traum ihrer Legitimierung« an, ohne dafür im Gegenzug auch nur die kleinste Kleinigkeit für das kubanische Volk zu erhalten, welches weiterhin von dieser »brutalen kommunistischen Diktatur« unterdrückt werde.
Auf diese Weise drückt eine Gruppe von Organisationen, die mit der Konfrontation beider Länder ihren Lebensunterhalt verdient, ihre Besorgnis darüber aus, dass ihre Geschäfte offensichtlich zu Ende gehen oder doch zumindest an Wert verlieren könnten.
Werfen wir nun einen Blick auf die Worte Obamas, mit denen dieser die Botschaftseröffnung angekündigt hatte.
Als die USA im Jahr 1961 ihre Botschaft schloss, so Obama, habe niemand daran gedacht, dass mehr als ein halbes Jahrhundert vergehen müsse, ehe sie wieder eröffnet würde. Immerhin seien beide Nationen nur 90 Seemeilen von einander entfernt, und es bestünden enge Familien- und Freundschaftsbande zwischen beiden Völkern. Allerdings habe es tiefgehende Differenzen von schwerer Bedeutung zwischen beiden Regierungen gegeben. Manchmal, so Obama, falle es zudem schwer, eingefahrene Wege zu verlassen.
Für die USA habe das bedeutet, so der US-Präsident, sich an eine Politik zu klammern, die nicht funktionierte. Anstatt die Demokratie und den Handlungsspielraum des kubanischen Volkes zu fördern, haben die Bemühungen, Kuba zu isolieren, mit der Zeit – allen «guten Intentionen« zum Trotz – einen gegenteiligen Effekt gehabt. Der Status Quo sei zementiert und die USA zunehmend von ihren Nachbarn in der Region isoliert worden.
Foto: Minrex |
Obama äußerte hiermit, wenn auch mit seinen Worten, einen wichtigen Gedanken: Niemand hätte erwartet, dass Kuba so lange durchhalten würde.
Aber so einfach lassen wir Kubaner uns nicht blenden. Der Präsident sagte nämlich auch, dass sein Botschafter die Nähe zur kubanischen Zivilgesellschaft und Bevölkerung suchen würde. Ich glaube, der 7. Amerikagipfel hat gezeigt, wen die USA unter dieser »Zivilgesellschaft« verstehen. (Siehe hierzu Jorgitos Log in CUBA LIBRE vom Juli 2015; d. Red.) Auf der ganzen Welt sind die Botschaften der USA zugleich Kasernen der CIA und ihre Botschafter Agenten desselben Dienstes.
Augen auf, Kuba, wir geraten immer mehr auf ein uns unbekanntes Terrain, auf ein zweites Gleis der Torricelli-Gesetzes, dessen Zielstellung die gleiche ist. Sie wollen in Kuba eine ihrer bunten Revolutionen durchführen, und deshalb müssen sie zunächst auf eine Gesellschaft zugehen, von der sie sich zuvor weit entfernt hatten. Oder, wie ich zu meinem Teampartner im Domino zu sagen pflege, wenn er mir mit einem Spielzug in den Rücken fällt: »Wer Freunde wie Dich hat, braucht keine Feinde mehr.«