Die Mühen der Ebene

Die ersten zwei Jahre nach dem historischen VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas 2011 waren gekennzeichnet von reger Aktivität zur Einführung der umfassenden Veränderungen in die Gesellschaft Kubas, die mit den Beschlüssen der Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik tiefgreifend angelegt und vorgegeben waren.

In dieser Zeit sind die Grundstrukturen der sozialistischen Gesellschaft unter den spezifischen Bedingungen Kubas verändert worden. Seit Beginn des Jahres 2013 bestimmt die Erprobungsphase der unzähligen Modernisierungsmaßnahmen in der Praxis, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens umfasst, die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Das gesamte Leben der Insel verändert sich.

Auch diese Phase ist voller Dynamik. Es gibt unzählige Korrekturen, Weiterentwicklungen, Rückschläge und es hat den Anschein, dass die Verantwortlichen in der Partei- und Staatsführung durch den Praxistest den bisher umfassendsten Lernprozess absolvieren. Hier bewährt sich der hohe Stand des geistigen Potentials, die Vielzahl gut ausgebildeter Wissenschaftler, Wirtschaftsfunktionäre und natürlich auch der feste Wille der Partei, eine eigenständige sozialistische Gesellschaft kubanischer Prägung zu entwickeln. Vom obersten Repräsentanten des Landes wurde mehrfach betont, dass in der bisherigen Phase der gesellschaftlichen Erneuerung in den kubanischen Familien und auch in verschiedenen Wirtschaftszweigen noch nicht der erwartete Effekt zu spüren sei.

Langfristiger Plan

Die Führung von Staat und Partei arbeitet aber trotzdem schon auf den Grundlagen der bisher gewonnenen Kenntnisse in der Theorie und Praxis an der Projektierung der sozialistischen Gesellschaft bis zunächst zum Jahr 2030 und an den schrittweise zu bewältigen Schwerpunktaufgaben zur Erreichung dieses Ziels.

Im Jahre 2013 wurden wichtige Marksteine auf diesem Wege gesetzt:

Eine der von den Kubanern am meisten begrüßten Entscheidungen war die Neuregelung der Auslandsreisen, wonach die kubanischen Bürger den Bürgern der Mehrzahl der Länder der Welt gleichgestellt wurden.

Mehr Spielraum und Verantwortung für Betriebe

Im Mai wurden durch die Regierung neue Regelungen für die betriebswirtschaftliche Führung der sozialistischen Staatsbetriebe erlassen, die die produktiven, kommerziellen und anderen Tätigkeiten und Ergebnisse betreffen, die über die im Plan vorgegebenen Betriebsergebnisse hinausgehen. Die sozialistischen Staatsbetriebe als Hauptsäule der Wirtschaft erhalten somit mehr Autonomie in ihren Entscheidungen, größere Spielräume für schöpferische, produktive Arbeit zum Erlangen einer höheren Produktivität, für die Bildung von finanziellen Fonds, für die Personal- und Lohnpolitik. Von den Leitungen wird natürlich eine höhere Verantwortung für die Ergebnisse ihrer Betriebe verlangt. Sicherlich wird sich dabei auch die Umsetzung der neuen Verordnungen des Ministerrates zur genauen Definierung der Aufgaben der staatlichen Organe und der Produktionseinheiten positiv auswirken. Es hat sich offenbar die Erkenntnis durchgesetzt, dass in der sozialistischen Wirtschaftspolitik eine zu enge Planung und Kontrolle der produzierenden Bereiche durch die Regierungsorgane die schöpferische Initiative, das Verantwortungsbewusstsein und die vielfältigen Möglichkeiten zur Erhöhung der Produktivität einschränkt.

Genossenschaften auch außerhalb der Landwirtschaft

Einige Wochen nach der Präzisierung der sozialistischen Betriebswirtschaft wurden die Experimente mit der Bildung von Genossenschaften in nicht-agrarischen Bereichen begonnen. Besonders in den sogenannten Experimentierbezirken Havanna, Artemisa und Mayabeque entwickelten sich solche Genossenschaften, die überwiegend Handel mit landwirtschaftlichen Produkten betreiben, aber auch in anderen Bereichen, wie Personentransport, Bauwesen oder Gewinnung von Altstoffen tätig sind. Mittlerweile haben sich bereits über 200 solcher Genossenschaften gebildet.

Neues Arbeitsgesetz

Mit den zahlreichen Veränderungen wurde natürlich auch eine Erneuerung der Arbeitsgesetzgebung erforderlich. Schon im Juli 2013 begannen die Kubaner den Entwurf der neuen Arbeitsgesetze in allen Kollektiven zu diskutieren. Mit Beschluss durch die Nationalversammlung wurde schließlich das seit 1984 geltende Gesetz abgelöst. Bis Oktober diskutierten über 3,5 Millionen Beschäftigte im staatlichen und auch im nichtstaatlichen Sektor die notwendigen Veränderungen in der Beschäftigungs- und Lohnpolitik, im Bereich der sozialen Sicherheit und besonders in den neu entstandenen nichtstaatlichen Bereichen.

Einzelbauern können direkt verkaufen

Im Oktober wurden die lange erwarteten Regelungen erlassen, wonach es auch Einzelbauern gestattet wurde, ihre Produkte direkt an touristische Einrichtungen zu verkaufen, was vorher nur Genossenschaften erlaubt war. Damit wurde auch der bereits begonnene Prozess fortgesetzt, die Vermarktung der Produkte dynamischer und flexibler zu gestalten.

Kurs auf eine Währung

Ebenfalls im Oktober wurde ein lange währender und komplizierter Prozess eingeleitet, der für die Wirtschaft und für die Bevölkerung weitreichende Bedeutung haben wird: die Schaffung von Bedingungen für die Vereinheitlichung der Währungen. In der Endkonsequenz geht es darum, den Wert des kubanischen Peso in seiner Geldfunktion wieder herzustellen. Natürlich wird auch hier, wie bei allen neuen Maßnahmen, mit den ersten Experimenten in den staatlichen Wirtschaftseinheiten begonnen. Das ist ein sehr langwieriger, komplizierter Prozess, der sich schließlich auch auf die jeden Bürger betreffende Vervollkommnung der Lohnpolitik, der Renten und anderer Einkünfte auswirken wird. Ein Beispiel dafür wurde mit der Reform der Einkünfte für das medizinische Personal geschaffen.

Wasserwirtschaft zukunftsfest machen

Es wurden wichtige Maßnahmen begonnen, um die Wasserwirtschaft fest in die Wirtschaftsplanung einzubinden. Nicht nur, weil die Wasserversorgung auch für Kuba in der Zukunft ein immer größeres Problem wird. 2013 wurden in den 242 Staubecken wurden über 6,4 Mrd. Kubikmeter Wasser gesammelt. Das Nationale Institut für Wasserwirtschaft stellte fest, dass von den Wasserressourcen nur 85,8 % genutzt worden sind. Das wurde nicht etwa durch einen bewussten wirtschaftlichen Gebrauch im nationalen Maßstab erreicht, sondern durch systematische Kontrollen durch die staatlichen Organe. Der Wasserverbrauch als ökonomische Kategorie wurde nur im Tourismus, in der Zuckerindustrie und in der Nickelproduktion berechnet. Die Landwirtschaft hingegen ist mit etwa 80% der weitaus größte Verbraucher. Der Ministerrat hat umfassende Beschlüsse gefasst, damit in der nationalen Wirtschaft und in den privaten Bereichen die Wasserwirtschaft eine größere Bedeutung erhält und dass die Versorgungssysteme ausgebaut und modernisiert werden.

Spezial-Entwicklungszone Mariel

Im November 2013 hat der Minister für Außenhandel und ausländische Investitionen, Rodrigo Malmierca, auf der Internationalen Messe von Havanna, an der 1400 Unternehmen aus 65 Ländern beteiligt waren, die Konzeption für die Spezial-Entwicklungszone Mariel erläutert. Damit verbunden, wurde auch gleichzeitig die große ausländische Investition Brasiliens für den neuen Hochseehafen 45 km westlich von Havanna eingeweiht. In einem Regierungsdekret hat die kubanische Führung die wichtigsten Ziele der Sonderzone Mariel dargelegt: »… durch die Entwicklung von Exporten, Schaffung von Arbeitsplätzen, Finanzierungen, technischen Neuerungen und logistischen Systemen zur Entwicklung der Insel beizutragen und außerdem die Errichtung nationaler und ausländischer Unternehmen zu stimulieren.«

Die kubanische Seite erwartet offensichtlich größere ausländische Investitionen, die gezielt dazu beitragen, den chronischen Mangel an Kapital und andere Engpässe für die künftige Wirtschaftspolitik zu beheben.

CUBA LIBRE Heinz Langer

CUBA LIBRE 3-2014