Teil 2 des Interviews - (Teil 1: Solidarität – die Zärtlichkeit der Völker I.)
Wer sind denn auf kubanischer Seite die AnsprechpartnerInnen des NETZWERK CUBA?
Frank
Für das NETZWERK CUBA ist es das ICAP (El Instituto Cubano de Amistad con los Pueblos), das kubanische Institut für Völkerfreundschaft. Das ICAP ist eine NGO, vor über 50 Jahren schon gegründet, also gleich nach der Revolution, und verantwortlich für den Kontakt und die Zusammenarbeit mit ausländischen Organisationen.
Mitgliedsgruppen des Netzwerkes, die spezielle Projekte in Kuba unterstützen, haben noch andere spezifische AnsprechpartnerInnen, entsprechend der Projekte.
Heinz
Ja, von Anfang an das ICAP, das traditionsreiche kubanische Institut für Völkerfreundschaft. Darüber hinaus hatten und haben einzelne Mitgliedsgruppen als Ansprechpartner na türlich ihre direkten Projektpartner, also bspw. Krankenhäuser, Institute, Ministerien usw.
Wie seht ihr das Verhältnis von materieller und politischer Solidarität im Rahmen des NETZWERK CUBA?
Harri
Politische und materielle Solidarität mit Kuba schließen sich nicht aus. Materielle Solidarität schafft das Klima für ein besseres politisches Verständnis der kubanischen Realität und des kubanischen Sozialismus. Ziel der Solidarität ist letztendlich, bei aller Diskussion die möglich und notwendig ist, diesen zu verteidigen.
Heinz
In den ersten 10 Jahren lag die Priorität eindeutig auf der materiellen Solidarität, was, wie bereits angesprochen, durch die objektive Situation bedingt war. Seit der zunächst relativen und zunehmend objektiven ökonomischen Stabilisierung Kubas war es schlicht nicht mehr notwendig, möglichst »alles«, vom Bettlaken bis zum Bleistift, nach Kuba zu senden. Zunehmend verlagerten die Feinde Kubas (bei Beibehaltung der umfassenden Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade gegen Kuba) ihr Störfeuer auch auf den politisch-ideologischen subversiven Kampf. Dies machte zunehmend auch die Verstärkung der politischen Solidarität erforderlich. Diese war zwar auch in den ersten 10 Jahren immer Bestandteil unserer Arbeit, doch nun erfolgte eine eindeutige Schwerpunktverlagerung. Dazu zählen, um es mal konkret zu machen, regelmäßige Leserbriefe an Medien gegen antikubanische Lügenkampagnen, Forderungen an nationale und internationale Parlamente sowie nicht zuletzt (möglichst öffentlich wirksamer) Widerstand gegen Aktionen und Kampagnen von nationalen und internationalen Contra-Banden sowie seit der Jahrtausendwende der ununterbrochene Kampf um die Befreiung unserer fünf Brüder, den Cuban 5.
Hierzu zählt natürlich auch die Nutzung der elektronischen Medien. Mit den eigenen Websites der Mitgliedsgruppen wie des NETZWERK CUBA kann nicht nur reagiert, sondern auch agiert werden. Zudem konnten mit diesen Medien – incl. der E-Mail-Kommunikation – natürlich auch die Geschwindigkeit und der Umfang der Kommunikation untereinander sowie mit den kubanischen und internationalen Partnerorganisationen um ein vielfaches erhöht werden – in einem Maße, wie wir uns dies Anfang der 90er Jahre kaum vorstellen konnten.
Frank
Also erstmal sehe ich in beiden Facetten der Solidaritätsarbeit keinen Widerspruch. Wie ich schon oben erwähnt hatte, war die materielle Solidarität ein Schwerpunkt der Arbeit des Netzwerkes in den ersten fünf Jahren, während der schlimmsten Zeiten der ökonomischen Krise in Kuba. Das war aber natürlich auch eine politische Solidarität, denn mit der materiellen Hilfe unterstützten wir das politische System in Kuba und leisteten einen bescheidenen Beitrag. Danach konzentrierte sich die Arbeit des Netzwerkes auf die rein politische Solidarität, ausgenommen das Sammeln von Spenden nach Naturkatastrophen. Viele Mitgliedsgruppen unterstützen Projekte in Kuba, für die sie Gelder sammeln, Materialien verschicken etc. Auch das ist eine materielle Solidarität, die genauso politische Aspekte hat.
Womit können, eurer Meinung nach, solidarische Menschen heute Kuba am besten unterstützen?
Harri
Die Unterstützung, die für Kuba geleistet werden kann, ist vielfältig. Sie kann darin bestehen, Schulmaterialien für Kubas Kinder zu sammeln. Sie kann in der Entwicklung von Projekten bestehen, die auf der Grundlage des Einsatzes nachhaltiger Technologien in der Wasseraufbereitung oder in der Stromerzeugung entwickelt werden werden oder in der Zusammenarbeit im medizinischen Bereich, dafür steht die Arbeit von mediCuba und die von Cuba Sí entfaltet sich im agrarischen Bereich. So gibt es zahlreiche hervorzuhebende Beispiele und letztendlich wirken alle diese Initiativen auch politisch. Sie beziehen Stellung gegen die Blockade, gegen die US Aggression gegenüber Kuba und fordern die Freilassung der Cuban 5.
Frank
Indem sie über Kuba informieren, aufklären. Durch die einseitige, verleumderische Berichterstattung in den Kommunikationsmedien unseres Landes über Kuba haben viele Menschen ein verzerrtes Bild von Kuba, welches überhaupt nicht den Realitäten entspricht. Dem etwas entgegenzusetzen ist meiner Meinung nach eine der wichtigsten Aufgaben von Menschen, die Kuba unterstützen möchten. Und das können sie natürlich am effektivsten, oder zumindest sehr effektiv in den Kuba-Solidaritätsgruppen.
Heinz
Zunächst sei daran erinnert, dass das beste Argument für das sozialistische Kuba die Realität des Landes selbst ist. Interessenten sollten also – falls möglich – mal selbst hin fliegen und sich von dieser Realität die hiesige antikubanische Propaganda aus dem Hirn blasen lassen. Wer es weder touristisch noch als Individualreisender mag: Die FG und andere Solidaritätsorganisationen bieten regelmäßig die Teilnahme an Arbeitsbrigaden an.
All dies ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Unterstützung Kubas. Wer ein bisschen im Internet stöbert, bspw. auf der Homepage des NETZWERK CUBA, findet sehr schnell Kontaktadressen von regional aktiven Solidaritätsgruppen (ein bisschen Eigenwerbung muss sein: Für den Raum Essen ist dies z. B. die Seite der FG-Regionalgruppe, www.cubafreundschaft.de). Sich dort nach den eigenen Möglichkeiten und mit den eigenen Ideen einzubringen, aktiv mitzuarbeiten, ist sicherlich die beste Voraussetzung dafür, konkrete Solidarität mit der kubanischen Revolution zu üben. Denn allein im eigenen Kämmerlein am 1. Januar, dem Jahrestag des Sieges der Revolution, oder am 1. Mai eine kubanische Zigarre anzustecken und sich einen »Havana Club« zu genehmigen, reicht nicht aus. Im Übrigen macht auch dies viel mehr Spaß in angemessener Gesellschaft.
Könnt ihr euer persönliches Verhältnis zu Kuba kurz schildern? Was hat euch bewegt, für Kuba so aktiv einzutreten?
Heinz
Am 9. Oktober 1967 wurde der argentinische Arzt, Revolutionär und Mitkämpfer von Fidel, Comandante Ernesto »Che« Guevara de la Serna im bolivianischen La Higuera unter CIA-Aufsicht ermordet. Die Nachricht ging um die Welt und bewegte Millionen. Als damals 13-jähriges Mitglied der örtlichen Messdienerschaft erlaubte mir der progressive niederländische Jugendkaplan, eine Lesung für einen Jugendgottesdienst über diesen Mord zu schreiben. Den Irrtum mit der katholischen Kirche habe ich kurz darauf bereinigt, das große Interesse nicht nur am Leben und Tod des Che, sondern auch an der kubanischen Revolution ist geblieben. Die Umstände brachten es mit sich, dass ich ab 1969 andere politische Themenfelder »beackert« habe. Als es ab 1990 für Kuba ums Ganze ging und nach einer gemeinsamen Kubareise mit einer heute ebenfalls noch aktiven Compañera war für uns klar, dass wohlwollendes Interesse nicht mehr reicht, sondern nun unbedingt aktives Handeln gefragt war.
Frank
Ich bin mit der 68-er Bewegung politisiert worden, da hatte Kuba eine große Rolle gespielt und mich hatte schon damals fasziniert, wie »anders« Kuba war im Vergleich zu den anderen lateinamerikanischen Ländern. Also die Ziele der kubanischen Revolution, Bildung und Gesundheit für alle, die Bodenreformen etc. dies alles begeisterte mich und entsprach meinem Verständnis von Gerechtigkeit, Gleichheit und lebenswertem Leben.
Dies musste verteidigt werden und mit den USA hatte Kuba das Imperium schlechthin gegen sich, also galt es was zu tun.
Harri
Als jemand der in Lateinamerika aufgewachsen ist und die Realität von Armut und Ausgrenzung der armen Bevölkerung miterlebt hat, war ich schon als Jugendlicher für die kubanische Revolution. Ich habe dies im Alter von 10 Jahren wahrgenommen und sie war immer die Alternative gegen Hunger und Ausgrenzung. Kuba hat – bei allen Problemen – den Menschen eine Daseinsfürsorge in Bildung und Gesundheit gewährleistet, die für Länder der sogenannten Dritten Welt beispiellos ist und Kuba muss man in erster Linie mit diesen Ländern vergleichen und nicht nur mit den USA und Europa.
Was wünscht ihr Kuba für die Zukunft?
Frank
Dass es seine ehrgeizigen Ziele zur Aktualisierung des Sozialismus erfolgreich umsetzen kann und im Verbund mit der lateinamerikanischen Integration und Unabhängigkeit den Traum einer besseren, anderen Welt als der neoliberalen, kapitalistischen verwirklichen wird.
Heinz
Weitere Stabilisierung und Fortentwicklung des eigenständigen sozialistischen Systems, weitere Erfolge auf dem internationalen und diplomatischen Parkett, Erfolge im Kampf gegen die auch von der BRD und EU mitgetragenen barbarischen und völkerrechtswidrige US-Blockade bis zu deren endgültigen Abschaffung, im Kampf für den US-Abzug vom widerrechtlich besetzten kubanischen Staatsgebiet von Guantánamo, Beibehaltung und Ausbau der grandiosen und weltweit einmaligen internationalistischen Projekte im Medizin- und Bildungsbereich, sowie nicht zuletzt die baldige Rückkehr der noch in den US-Knastgruften verbliebenen Brüder der Cuban 5 und das alles »with a little help from the friends« …
Harri
Ich wünsche Kuba Erfolg bei den eingeleiteten Veränderungen. Dies stärkt den Sozialismus nicht nur in Kuba, denn Kuba steht als Alternative für zahlreiche Regionen der Welt – aber auch für uns, denn es zeigt, dass eine Alternative zum globalen Neoliberalismus möglich ist. Wichtig ist dabei, dass der Linkskurs in Lateinamerika sich fortsetzt. Dieser ist durch die interventionistische US-Politik gefährdet. Deshalb bedeutet heute die Verteidigung Kubas auch die Linksentwicklung in Lateinamerika zu verteidigen. Das ist eine der Aufgaben der Kuba-Solidarität in Deutschland.
Welche Aufgaben seht ihr heute für das NETZWERK CUBA? Mit welchen Projekten und Plänen ist das NETZWERK CUBA zur Zeit beschäftigt?
Frank
Im Grunde genommen immer noch die alten, muss ich leider sagen: Kampf gegen die Blockade; gegen den »Gemeinsamen Standpunkt , d. h. für eine Kubapolitik der EU, die unabhängig von den USA ist, die die Souveränität Kubas anerkennt und sich nicht einmischt in die inneren Angelegenheiten des Landes; für die Befreiung der »Cuban 5« aus der widerrechtlichen US-Haft; für eine Informationspolitik, die sich an den Realitäten Kubas orientiert und für die Rückgabe Guantánamos an Kuba um nur die wichtigsten zu nennen. Damit dies alles besser gelingt, ist es notwendig, dass das Netzwerk seine Arbeit unter der Jugend verstärkt und diese einerseits wieder mehr für die Kuba-Solidaritätsarbeit gewinnt und andererseits auch von der Jugend lernt.
Heinz
Das NETZWERK CUBA muss seinen basisdemokratischen Charakter (»Eine Mitgliedsgruppe – Eine Stimme«, Konsensprinzip bei allen wichtigen inhaltlichen und organisatorischen Fragen usw.) beibehalten. Dies ist m. E. das wichtigste »Geheimnis« der relativen Langlebigkeit unseres Vereins.
Als zwar hoch motivierte, aber dennoch quantitativ übersichtliche Organisation sollte aufgepasst werden, sich nicht in zu vielen Themenfeldern zu verzetteln, sondern den entscheidenden Schwerpunkt, nämlich die Entwicklung und qualifizierte Vertiefung von Solidarität mit dem sozialistischen Kuba, im Zentrum zu halten.
Seit der letzten Jahreshauptversammlung am 2. Februar 2013 gibt es im Vorstand »offiziell« ein Jugendressort. Das ist gut und war überfällig. Letztlich lässt sich aber die vorhandene Überalterung, die es so in allen politischen Organisationen und Parteien gibt, nur dann überwinden, wenn junge Leute aus den Mitgliedsgruppen »nachwachsen« und Verantwortung übernehmen.
Das NETZWERK CUBA hat sich von Beginn an (und nach ausführlicher Debatte) dafür entschieden, sich ausdrücklich nicht als sog. »NGO«, also Lobby-Gruppe zu verstehen, sondern als selbstbewusster Solidaritätsverein, der aktiv Forderungen an die politischen Entscheidungsträger in den Parlamenten stellt und diese öffentlich mit Aktionen, Demonstrationen usw. unterstreicht, nicht jedoch in »Hinterzimmergesprächen oder als vermeintlicher »diplomatischer Kofferträger«. Dieses Prinzip darf m. E. unter keinen Umständen aufgeweicht werden, denn dabei können wir nur verlieren. Wenn der Begriff »Lobbying« nun als vermeintliches Selbstverständnis in offiziellen Dokumenten unseres Vereins erscheint, so ist dies zumindest irreführend.
Beibehalten werden sollte m. E. auch das Prinzip der bedingungslosen Solidarität mit der kubanischen Revolution, also einer Solidarität, ohne Bedingungen zu stellen. Dies sollte und muss m. E. auch und gerade für die neu zu belebende, aktive Unterstützung und Öffentlichkeitsarbeit für die deutschsprachige »Granma Internacional« gelten.
So, nun mache ich aber an dieser Stelle Schluss, sonst wird's noch ein neuer »Arbeitsplan« …
Frank
Ich möchte noch eine Sache erwähnen: Diese Konstruktion eines Netzwerkes ist ziemlich einmalig in der Solidaritätsbewegung mit Kuba und wir werden deswegen auch von vielen compañer@s aus anderen Ländern beneidet, wie ich auch wieder auf dem Europatreffen der Kuba-Solidarität letztes Jahr erfahren konnte. Während es leider Länder gibt, wo die verschiedenen Gruppen nebeneinander arbeiten, keinen Kontakt miteinander haben, mitunter nicht mal miteinander sprechen, existiert und lebt und arbeitet das NETZWERK CUBA, ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher – auch in politisch-ideologischer Hinsicht – Menschen, nun schon seit 20 Jahren. Das ist ein Erfolg, der gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Das klappt nur, weil alle Beteiligten die Solidarität mit Kuba über alles stellen und sie wissen, dass nur gemeinsam viel erreicht werden kann.
Das Interview führte Marianne Schweinesbein
CUBA LIBRE 2-2014