Die Dialektik der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells Kubas

Die Aktualisierung ist ein langwieriger, komplizierter Prozess zusammenhängender, sich gegenseitig bedingender Maßnahmen.

In der gegenwärtigen Etappe der Realisierung der vom VI. Parteitag beschlossenen Leitlinien hat die Regierung sich zunächst auf die Schaffung der Voraussetzungen konzentriert, die planmäßige Entwicklung sozialistischer Produktionsverhältnisse und damit ein effektives Wirtschaften unter den heutigen Bedingungen zu ermöglichen. Offensichtlich sind die Probleme der Integration nichtstaatlicher Produktionsformen in den Gesamtkomplex der Modernisierung des Wirtschaftsmodells. Diesbezüglich hat schon der theoretische Ansatz in den Diskussionen während der Erarbeitung der Beschlüsse leidenschaftliche Debatten ausgelöst. Ich persönlich gehe davon aus, dass sich die PCC über die Kompliziertheit dieser Problematik seit längerer Zeit bewusst ist und auch entsprechend Wege in die Weiterentwicklung der sozialistischen Strukturen findet. Es ist natürlich, dass diese Problematik auch hier in vermeintlich linken, meist intellektuellen Kreisen ebenso heftige Polemiken hervorruft. Kritiken und Ratschläge werden leidenschaftlich in die Debatte geworfen. In der Praxis jedoch – und das konnten wir fast während der gesamten Geschichte der Revolution beobachten – mussten die Kubaner ihre Probleme, die oftmals viel ernster schienen, selbst lösen. Heute können wir sagen, das war gut so und die kubanischen Kommunisten sind gereift, wissender und erfahrener.

Ausbau des nichtstaatlichen Sektors

Baracoa 2012

Baracoa 2012 - Foto: Marcel Kunzmann

Als Raul Castro erstmals öffentlich auf dem IX. Kongress der Union der Jungen Kommunisten ( UJC ) im April 2010 von einer notwendigen Kürzung der staatlichen Stellenpläne um eine halbe Million gesprochen hat und diese Rede auch noch unverzüglich in deutscher Sprache erschien, war die Verwirrung bei vielen unserer Kuba-Freunde recht groß. Am 16./ 17. Juli 2010 erfolgte dann der Beschluss des kubanischen Ministerrates über die Erweiterung der Tätigkeit auf eigene Rechnung, der die Diskussionen und auch Spekulationen wieder anfachte, obwohl damals bereits über 200 000 Personen im nichtstaatlichen Sektor arbeiteten. Die Legalisierung der nichtstaatlichen Tätigkeit wurde offensichtlich von vielen Kubanern positiv aufgenommen. Ende Juni 2012 umfasste dieser Sektor bereits 390 598 Personen. Das Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit schätzt ein, dass die Lizenzanmeldungen für die Arbeit im Transportwesen abnehmen und die für den Verkauf von Lebensmitteln zunehmen werden, gefolgt von Gastronomie, Vermietung von Wohnungen, Verkauf und Herstellung von Gebrauchsgegenständen für die Hauswirtschaft, Handel mit Musikträgern, mit landwirtschaftlichen Produkten, Kunsthandwerk, Tischlerei und Reparaturarbeiten aller Art. Eine Belebung erhält auch das örtliche Handwerk. Diese auf eigene Rechnung arbeitenden Personen haben natürlich im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten auch Arbeitskräfte unter Vertrag genommen.

Es ist bereits jetzt zu spüren, dass sich das Angebot von Dienstleistungen sichtlich verbessert hat. Die staatlichen Organe wurden schlanker und leistungsfähiger. Durch die erfolgte Neuregelung der Kreditvergabe auch an natürliche Personen und das neue Gesetz über Steuern und Abgaben rechnet man mit beträchtlichen Einnahmen des Staatshaushaltes auch aus dem nichtstaatlichen Wirtschaftssektor. Natürlich ist das ein mühseliger Prozess, bis die unzähligen neuen Gesetze und Verordnungen, die neuen organisatorisch-strukturellen Regelungen in der Praxis richtig wirksam werden.

Sich in Genossenschaften organisieren

Die Strategie der Regierung setzt darauf, dass die Genossenschaften die Hauptform nichtstaatlicher Arbeit werden sollen. Mit den dem Ministerrat vorgelegten Thesen: »Politik zur Bildung von Genossenschaften außerhalb der Landwirtschaft«, hat die Regierungskommission einen ersten Schritt getan. Es wurden grundlegende Prinzipien für die jeweils regulierende und kontrollierende Rolle des Staates festgelegt. In solche Genossenschaften können ehemalige Staatsbetriebe und auch Arbeiter gehen, die nur ihre Arbeitskraft einbringen. Auch Privatunternehmen mit einem Stellenplan von bis zu fünf Mitarbeitern können sich integrieren. Die Genossenschaften können von staatlichen Einrichtungen für eine bestimmte Zeit notwendige materielle Güter, Gebäude, Ausrüstungen usw. pachten. Diese bleiben Eigentum des Staates, während die Genossenschaften die laufenden Kosten bestreiten. Die hier gesammelten Erfahrungen dienen der Ausarbeitung eines allgemeinen Gesetzes für Genossenschaften.

Landverpachtung belebt das Landleben wieder

Eine ähnliche Entwicklung vollzieht sich auf dem Lande: Im Jahre 2008 wurde nach dem Gesetzesdekret Nr. 259 brachliegendes staatliches Ackerland an interessierte Personen per Pachtvertrag zur Nutzung übergeben. Der Direktor des Nationalen Zentrums für Bodenkontrolle informierte kürzlich, dass bis April 2012 bereits über 166 247 Kubaner von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht haben. Diese Entscheidung war nicht nur aus dringendsten wirtschaftlichen Interessen notwendig, um das gute Ackerland zu nutzen, sondern auch, um die Strukturen auf dem Lande im gesamtgesellschaftlichen Interesse zu verändern und der Abwanderung besonders von Jugendlichen zu begegnen. Vor diesen Maßnahmen haben etwa noch 250 000 Menschen auf dem Lande gearbeitet, heute sind es bereits 420 000. Die zahlreichen Anfangsprobleme begannen sich trotz aller Schwierigkeiten im Jahre 2011 etwas zu lösen. Es wurden über 1,6 Millionen Hektar Ackerland an Klein- und Neubauern verteilt. Dieser rasante Prozess konnte jedoch bis heute noch nicht zeitgleich von anderen notwendigen Maßnahmen begleitet werden. So zum Beispiel fehlte es an Großhandelseinrichtungen, an der Regelung der Vermarktung der Produkte, an der Versorgung mit Chemikalien, Geräten und Ausrüstungen usw. Natürlich mangelte es auch trotz erheblichen administrativen Aufwandes an staatlicher Kontrolle. Es erblühte wiederum Korruption; Schwarzhandel und andere ungesetzliche Verhaltensweisen machten sich breit.

Enonomia cubana - Karikatiur: Juventud Rebelde

Enonomia cubana - Karikatiur: Juventud Rebelde

Der Ministerrat beschloss 2012 einige Maßnahmen (Gesetzesdekret Nr. 300), die besonders auf eine nachhaltige Konsolidierung der entstandenen Strukturen zielen und den neuen Pächtern mehr Anreiz geben, sich mit Produktionsstätten zu identifizieren. Finanzierungsprobleme wurden geregelt, die Größe der zu pachtenden Ländereien wurde von 13,43 Hektar auf 67,10 Hektar (5 caballerias) und die zeitliche Begrenzung der Verträge von 10 auf 25 Jahre erweitert. Die neuen Pächter konnten nun auch auf ihren Ländereien Häuser und andere Einrichtungen für sich und ihre Familien errichten. Im Todesfall haben die Familienangehörigen das Erbrecht. Sollte ein neuer Pächter als Vertragspartner eintreten, muss er die Erben des Vorgängers für die von ihm errichteten Immobilien entschädigen. Auch in der Verwaltung und Überwachung der Verträge gab es einige Veränderungen. Die Pachtverträge werden nun nicht mehr zwischen dem örtlichen Vertreter des Ministeriums für Landwirtschaft und dem Pächter abgeschlossen, sondern zwischen dem Pächter und dem entsprechendem staatlichen Unternehmen, das nach wie vor Eigentümer bleibt. Der Vertreter des Ministeriums ist nun nicht mehr unmittelbarer Vertragspartner und kann nun gemeinsam mit den anderen geschaffenen gesellschaftlichen Gremien stärker in die Prozesse der Landvergabe und der damit zusammenhängenden Probleme eingreifen. Weiterhin ist festgelegt, dass die Pächter ökonomische Bindungen zu staatlichen oder genossenschaftlichen Unternehmungen entwickeln sollen, wodurch sie legale Möglichkeiten erhalten, notwendige Materialien, Zubehör, chemische Produkte oder Dienstleistungen zu erhalten und ihre Produkte entsprechend den gesetzlichen Vorschriften zu vermarkten. Der Pächter kann auch Mitglied einer Genossenschaft werden, sein Land einbringen und auch dadurch seine Möglichkeiten zu Finanzierungen für Bauvorhaben oder Materialien entscheidend verbessern. So hat sich der Staat auch hier seine Rechte und Möglichkeiten der Regulierung und Kontrolle gesichert. Gleiches wie für die Vergabe von Ackerland gilt auch für Wald, Plantagen und Grundstücke.

Die Plage Marabu

Vorbereitung von Marabu zum Einsatz in der Stromerzeugung

Vorbereitung von Marabu zum Einsatz in der Stromerzeugung - Foto: Televisión Camagüey

Es hat sich gezeigt, dass die weitere Gewinnung nutzbaren Ackerlandes zunehmend von dem tief wurzelnden Unkraut mit dem volkstümlichen Namen Marabu blockiert wird. Diesem Phänomen können die begrenzten technischen Möglichkeit der Einzelbauern nicht Herr werden. Bisher gab es nur vereinzelte Versuche der Nutzung von Marabu für Möbel oder als Brennholz. Deshalb ist die Nachricht von der Internationalen Messe Havanna umso hoffnungsvoller, dass offenbar ein Unternehmen aus Großbritannien in der Lage sei, Marabu gemeinsam mit Resten des Zuckerrohres zu Biomasse für die Produktion von Energieträgern zu verarbeiten. Zwischen der englischen Zerus S.A. und der kubanischen Unternehmensgruppe AZUCUBA wurde ein Vertrag zu Errichtung einer 30 MW Anlage unterzeichnet.

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CUBA LIBRE 1-2013