Erfolge und Probleme auf dem Wege der Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsverhältnisse

Eine Bilanz des 1. Halbjahres 2012

Die Verwirklichung der Beschlüsse des VI. Parteitages der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) stellt höchste Ansprüche an alle: an die Werktätigen, alle Leitungsebenen des Staates, der Regierung und natürlich besonders an die Partei selbst.

Wenn auch die Bevölkerung an der Ausarbeitung der Direktiven für die künftige Entwicklung des Landes, den Leitlinien für die Wirtschafts- und Sozialpolitik, intensiv mitgewirkt hat – was ein überzeugender Ausdruck tatsächlicher Demokratie ist – so zeigt sich doch auch: Die Verwirklichung der 313 lineamientos ist ein langer, steiniger und mit unzähligen Problemen gespickter Weg.

Es geht darum, eine nachhaltige, dynamische Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft unter strikter Beachtung der spezifischen äußeren und inneren Bedingungen und Möglichkeiten zu sichern, die unvermeidlichen Auswirkungen der globalen Krise des kapitalistischen Systems auf die kubanische Gesellschaft zu minimieren, dem Druck der Blockadepolitik durch die US-Regierung und ihrer konterrevolutionären Elemente dauerhaft widerstehen zu können und schließlich die Bedürfnisse des Volkes stabil zu befriedigen. Darauf ist die Hauptrichtung der Politik fokussiert.

Halbjährlich schätzen das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei, der Ministerrat und das Parlament den Entwicklungsstand, die Realisierung der Wirtschaftspläne und der Leitlinien ein und legen die neuen Aufgaben fest. Die Dynamik der Politik durch die ständige Präzisierung der Konzeption zeigt den Vorteil des dialektischen aber auch konsequenten Führungsstiles von Partei und Staat.

Revolutionär ist zu ändern, was geändert gehört

Raúl Castro selbst wird nicht müde, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Veränderung der Mentalität der Kubaner, die angestrengte, disziplinierte Arbeit eines Jeden, Grundvoraussetzung für eine leistungsfähige sozialistische Gesellschaft ist. Im Gegensatz zu früheren Gewohnheiten müssen die beschlossenen Dokumente dauerhaft aktuelle Richtlinie für die praktische Arbeit sein. Die Jahrespläne für die Wirtschaftsentwicklung sind nach der Umstrukturierung des Ministeriums für Planung und Wirtschaft präziser. Gemeinsam mit den Wirtschaftszweigen und Arbeitskollektiven sind sie ausgearbeitet, koordiniert und bilanziert worden. Sie sind vom Perspektivplan bis 2015, der ein jährliches Wachstum von 4,4 % des IBP vorsieht, heruntergebrochen.

Ambitionierte Ziele

Trotz der sehr angespannten Verfügbarkeit von materiellen und finanziellen Ressourcen sind die Ziele sehr hochgesteckt und anspruchsvoll. Dies ist einer der Gründe, warum in der Bilanz des ersten Halbjahres 2012 viele der jeweiligen Vorgaben des Planes noch nicht erfüllt worden sind. Dies verleitet manchen Betrachter zu der Einschätzung, dass die Bilanz durchwachsen sei bzw. sogar eine krisenhafte Entwicklung zeige. Der Jahresplan 2012 sieht ein Wachstum des IBP von 3,4 % vor. Im 1. Halbjahr wurde ein Zuwachs von 2,1 % errechnet, 0,2 % mehr als im Vorjahreshalbjahr. Zu diesem Wachstum trug besonders das Bauwesen (Zementproduktion und wachsender Anteil von Fertigteilen für den Bevölkerungsbedarf) bei. Zuwächse gab es auch im Bereich der Elektroenergie (plus 1,6 %) und in der neuen petro-chemischen Industrie, in der Warenproduktion und bei den Beschäftigungszahlen – sowohl im staatlichen als auch im nichtstaatlichen Sektor.

Probleme in der Landwirtschaft

Planrückstände gab es trotz eines leichten Wachstums in der Gesamtbilanz besonders in der Landwirtschaft. Leichte Zuwächse wurden bei der Produktion des wichtigen Grundnahrungsmittels Reis, bei Milch und Bohnen registriert. Die größte Minusabweichung zum Plan gab es bei Schweinefleisch und Zitrusfrüchten. Sehr kritisch wurde die Zuckerproduktion nach der Umstrukturierung (1) dieses traditionellen Wirtschaftszweiges eingeschätzt. Offensichtlich gab es hier besonders bei den verantwortlichen Leitern eine über viele Jahre eingeschliffene Routine. Diese behinderte eine rasche Umstellung der gesamten Struktur dieses Sektors. Von den produzierenden Zuckerfabriken waren 21 mangelhaft vorbereitet und begannen verspätet mit der Umstellung. Die vorhandenen Kapazitäten wurden nur zu etwa 60 % genutzt. So musste gegen Ende der Kampagne die Produktion um einen Monat verlängert werden. Damit wurde erreicht, dass sich trotz aller noch bestehenden Mängel die Zuckerproduktion um 17,1 % im Vergleich zum Vorjahr erhöhte. Der Weltmarktpreis war auf 485 US-Dollar gestiegen (2), was natürlich ein zusätzlicher Anreiz war. Mit der neuen Struktur gibt es zukünftig auch auf diesem Gebiet eine höhere Effizienz: Die Kosten für die Produktion einer Tonne Rohzucker sanken um 45 Pesos. Die Energieeffizienz durch die Nutzung von Abfällen des Zuckerrohres erhöhte sich. Die Selbstversorgung der Zuckerwirtschaft mit Elektroenergie lag bei 107,2 % und es konnten 81,5 Gigawatt an das Landesnetz abgegeben werden. (3)

Staatshaushalt stabil

Die Einnahmen aus dem Tourismus erhöhten sich ebenfalls im 1. Halbjahr leicht um 5,8 %. Verglichen mit dem Vorjahreshalbjahr lagen die Einnahmen aber dennoch unter Plan. Die Devisenbilanz zeigte Ende Juni weiterhin eine angespannte, aber positive Entwicklung. Es wurden alle Verpflichtungen der Banken – einschließlich die aus den Zahlungen für die in diesem Zeitraum auslaufenden Kredite – getilgt. Die Außenhandelsbilanz ist weiterhin positiv. Offensichtlich haben sich die ersten Maßnahmen zur Aktualisierung des Wirtschaftsmodels auch auf die Stabilität des Staatshaushaltes ausgewirkt. Die Verschuldung betrug Ende Juni nur 1,7 % des IBP. Das ist ein Wert, von dem europäische kapitalistische Länder nur träumen können. Man kann davon ausgehen, dass die umfassenden Diskussionen die notwendigen Maßnahmen ausgelöst haben, damit der Jahresplan 2012 wie vorgesehen erfüllt wird.

Stabilisierung der äußeren Bedingungen

Hu Jintao, Staatspräsident der VR China, begrüßt Raúl Castro in Peking

Hu Jintao, Staatspräsident der VR China, begrüßt Raúl Castro in Peking
Foto: Cubadebate / Xinhua


Natürlich haben die Anfang Juli durchgeführten Staatsbesuche Raúl Castros in China, Vietnam und Russland nicht nur die freundschaftlichen Verbindungen erneuert bzw. vertieft, sie haben sicherlich auch zur Stabilisierung der äußeren Bedingungen für die Realisierung der wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben Kubas beigetragen. Die Volksrepublik China ist der zweitgrößte Handelspartner Kubas. Der Umsatz stieg von 590 Millionen US Dollar in Jahre 2005 auf 1,9 Milliarden im vergangenem Jahr. (4) Während des Castro-Besuches wurden weitere Verträge zur Zusammenarbeit unterschrieben: Abkommen über die wirtschaftlich-technische Zusammenarbeit, ein Regierungsgeschenk Chinas und einen zinslosen Kredit, sowie ein Notenaustausch über die Verlängerung zinsloser staatlicher Kredite und über die Lieferung von Ausrüstungen für die Installation des digitalen Fernsehens nach chinesischen Norm. (5) Zudem wurden Regierungsabkommen über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens und ein Programm der Zusammenarbeit in der Landwirtschaft, der Biotechnologie und in der Volksbildung unterzeichnet.

Erste Schlussfolgerungen

Für das Erreichen der strategischen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung gab es in den Diskussionen der Führung Kubas zur Halbjahresbilanz entscheidende neue Erkenntnisse. José Ramón Machado Ventura, der zweite Mann im Staat und in der Partei, resümierte das in seiner Rede am 26. Juli in Guantanamo wie folgt: »Wir hatten an keiner Front spektakuläre Sprünge, aber wir konnten feststellen, dass mehr Organisation, Disziplin und Anforderungen, gepaart mit mehr Bereitschaft zur Verantwortung besteht und mehr Enthusiasmus der Arbeitskollektive. Mit diesen Erkenntnissen, dass sich niemand auf seinen Lorbeeren ausruht, ist es möglich, das Erreichte zu festigen und nicht zurückzugehen. Das ist das Wichtigste.«

Viele Aufgaben der Aktualisierung des Wirtschaftsmodells in der ersten Phase der Umsetzung der lineamientos sind im Prinzip abgeschlossen, insbesondere die Schaffung der Voraussetzungen für die Entwicklung nichtstaatlicher Tätigkeitsformen oder die Reformen in der Landwirtschaft.

Es sind aber damit verbundene vielfältige neue Probleme entstanden und einer Lösung zugeführt worden. So die Einführung der Möglichkeit von Krediten, Vervollkommnung der Steuer- und Abgabesysteme inklusive der Vorbereitung eines neuen Steuergesetzes, die Neuregelung der Prinzipien zur Gestaltung der Großhandels- und der Einzelhandelspreise, die Regelung des An- und Verkaufs von PKW und Wohnungen sowie vieles Andere mehr.

Weitere Planungen bis 2015 – setzen von Schwerpunkten

Am 20. Juni hat der Leiter der Kommission des Ministerrates für die Einführung, Realisierung und Weiterentwicklung der Leitlinien für die Wirtschafts- und Sozialpolitik, Marino Murillo Jorge, dem Ministerrat eine langfristige Konzeption bis zum Jahre 2015 vorgelegt. Darin sind 55 Arbeitsschwerpunkte enthalten, die mit der Erfüllung der beschlossenen 313 Richtlinien verbunden sind. Es schließt das Konzept für das künftige Modell der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft und alle notwendigen Instrumente zur Erreichung der Effizienz in der Wirtschaft ein, wobei immer das Prinzip des sozialistischen Eigentums Vorrang hat. Man will sich auf die Faktoren konzentrieren, die das Wachstum der Produktivkräfte besonders beeinflussen, wobei die hemmenden Faktoren und Probleme herausgearbeitet werden sollen. Priorität soll zunächst die Landwirtschaft haben und da besonders jene Bereiche, die zur Substitution von Lebensmittelimporten beitragen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Konzeption zur vorrangigen Entwicklung jener Sektoren, die die höchsten Gewinne garantieren, wie der Tourismus, die Nickelproduktion, die Biotechnologie und die Herstellung von Medikamenten und andere Exportprodukte mit hohem Devisenerlös.

Entwicklung von Eigentumsformen – Vorrang des sozialistischen Eigentums

Zuckerrohrernte

Zuckerrohrernte
Foto: ain

Es wird auch über die Entwicklung neuer Eigentumsformen nachgedacht, die zur Effizienz der Volkswirtschaft beitragen können. Der sozialistische, staatliche Betrieb hat bei allen Modellen Vorrang und soll Beispiel effektiven Wirtschaftens sein. Daher wurde ein erstes Projekt erarbeitet, um während einer Experimentierphase entsprechende Erkenntnisse zu erlangen. Es wurde eine Gruppe von Unternehmensvereinigungen ausgewählt, die ausreichende Autonomie und weitgehende Freiheiten für die ökonomische und finanzielle Tätigkeit erhalten. Es soll ein neues System der Beziehungen zwischen Unternehmen und Staat, zwischen den verschiedenen Ebenen der Unternehmensgruppen und zwischen den Unternehmen selbst entwickelt und getestet werden. Dieses umfassende und komplizierte Experimentierfeld soll – beginnend mit dem Jahr 2013 – die negativen Beschränkungen für die Entwicklung der Produktivkräfte im staatlichen Sektor erkennbar machen und beseitigen. Gleichzeitig sollen Grundlagen für die Schaffung eines neuen Gesetzes für »das staatliche sozialistische Unternehmen« entwickelt werden. In diesem Prozess sollen auch neue Planungsmechanismen und Prinzipien für die Preisbildung erarbeitet werden.

Prinzipien für nichtstaatliches Eigentum

Fabrik "Los Portales" in Pinar de Rio

Die Fabrik "Los Portales" in Pinar de Rio produziert jetzt Erfrischungsgetränke (wie TuKola und Tropicola) auch für den Export.
Foto: ain

Ein weiteres Experimentierfeld wurde von der Kommission des Ministerrates ausgearbeitet und unterbreitet: die Prinzipien für den nichtstaatlichen Sektor. Es geht um die Ausarbeitung von Normen für die Bildung von Genossenschaften für nicht landwirtschaftliche Aktivitäten. Dem Ministerrat wurden dazu am 23. 3. 2012 Thesen zur »Politik zur Bildung von Genossenschaften außerhalb der Landwirtschaft« vorgelegt. Es werden Modelle für 20 Arten von Produktions- und Dienstleistungsgenossenschaften für einen Experimentierzeitraum erarbeitet, um Grundlagen für die Ausarbeitung eines allgemeinen Gesetzes für Genossenschaften nach einem angemessenen Zeitraum der Erprobung diskutieren zu können. Für jede Fallkonstellation wurden grundlegende Prinzipien für die Funktionsweise ausgearbeitet, die in allen Fällen die regulierende Rolle des Staates und der entsprechenden Regierungsorgane festlegen. Die Genossenschaften, wie auch private Unternehmer mit genehmigten Planstellen von 5 Mitarbeitern, können von staatlichen Einrichtungen für einen bestimmten Zeitraum Immobilien, Ausrüstungen oder andere materielle Gegenstände pachten. Es handelt sich in der Regel um solche Dienstleistungen wie Gastronomie, Friseure, Schuhmacher, andere Reparaturleistungen, die es dem Staat ermöglichen, sich von den Problemen frei zu machen und sich auf die Vervollkommnung der sozialistischen Unternehmen zu konzentrieren.

Neues Arbeitsgesetz auf dem Weg

Neben der Einführung des neuen Steuer- und Abgabengesetzes ab Januar 2013 arbeitet die Kommission gemeinsam mit den zuständigen Ministerien am Entwurf eines Arbeitsgesetzes, das die neuen Entwicklungen mit ihren weitreichenden Veränderungen berücksichtigt.

Neben diesen grundlegenden Strategien zur Weiterentwicklung der sozialistischen Produktionsweise erarbeitete die Kommission des Ministerrates weitere Regelungen, die sich aus der Umsetzung des Gesetzesdekretes Nr. 259 vom Juli 2008 über die Verteilung staatlicher Ländereien ergaben. Dies betrifft z. B. den Direktverkauf landwirtschaftlicher Produkte an den Tourismus und später generell an die Bevölkerung. Dazu werden in den neuen Provinzen Artemisa und Mayabeque sowie in der Hauptstadt Experimente durchgeführt: Regelung des Angebots von Gebrauchsgegenständen, Werkzeugen und Materialien im Rahmen des »Bauernprogramms«, Erweiterung der Flächenbegrenzungen auf 67,10 ha und Verlängerung der Dauer des Pachtverhältnisses. Den Pächtern wurde der Bau von Häusern gestattet (notwendige Finanzierungen wurden ermöglicht) und gleichzeitig wurde die Erbfolge geregelt, so dass den Pächtern und ihren Familien ein echter Anreiz für ihre Verbindung mit dem Lande gegeben wurde.

Eine im Jahre 2007 durchgeführte Untersuchung über die Produktivität in den landwirtschaftlichen Betrieben hatte ergeben, dass die während der Sonderperiode 1992/93 gebildeten neuen Genossenschaften, bestehend vorwiegend aus früheren Landarbeitern, die Basiseinheiten Genossenschaftlicher Produktion (UBPC) nicht den erwarteten Nutzen gebracht haben. Nun werden 17 Korrekturen getestet, um die einengenden Praktiken für eine höhere Produktion und die Entwicklung der genossenschaftlichen Demokratie abzuschaffen.

Mit Bedacht – aber ohne Pause

Insgesamt haben die Tagungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, des Ministerrates und der Nationalversammlung im Juni dieses Jahres erneut die kontinuierliche Arbeit zur Verwirklichung der Beschlüsse des Parteitages eindeutig bestätigt, wobei von den führenden Persönlichkeiten immer wieder betont wird, dass jeder Schritt gründlich durchdacht und immer gemeinsam mit der Bevölkerung gegangen werden muss. Dabei soll keine Hast erzeugt, und alles bedacht werden, um nicht in schwer zu korrigierende Fehlen zu verfallen.

1 Nach Auflösung des Zuckerministeriums wurde die Unternehmensgruppe AZCUBA gegründet, ein Zusammenschluss von 13 Kombinaten (Neues Deutschland, 25. 6. 2012)
2 aus Cubadebate vom 4. 8. 2012
3 sh. Granma, 28./29. 5. 2012
4 Neues Deutschland, 6. 7. 2012
5 sh. Granma vom 6. 7. 2012

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