20 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die BRD scheint erstere quicklebendig. Wie sonst wäre es zu
erklären, dass Heerscharen von Lohnschreibern, hauptamtlichen »Bürgerbewegten« und Kopflangern
des Kapitals tagtäglich Gruselgeschichten erfinden und verbreiten? Sie alle bewegen sich immer noch
auf der Spur, auf die Sie unmittelbar nach Liquidierung der DDR vom damaligen BRD-Justiz- und
späteren Außenminister Klaus Kinkel (FDP) gesetzt wurden.
In seiner Begrüßungsansprache auf dem Deutschen Richtertag am 23. September 1991 in Köln
hatte dieser erklärt: »Ich baue auf die deutsche Justiz. Es muß gelingen, das SED-System zu
delegitimieren, das bis zum bitteren Ende seine Rechtfertigung aus antifaschistischer Gesinnung, angeblich
höheren Werten und behaupteter absoluter Humanität hergeleitet hat, während es unter dem
Deckmantel des Marxismus-Leninismus einen Staat aufbaute, der in weiten Bereichen genauso unmenschlich und
schrecklich war wie das faschistische Deutschland, das man bekämpfte und - zu Recht - nie mehr wieder
erstehen lassen wollte.« (1)
Neben dem Antifaschismus war aber auch der Internationalismus in der DDR konstituierendes
Staatsverständnis. Wenn bspw. im Februar 2009 führende BRD-Politiker in die internationale
Würdigung des Friedensnobelpreisträgers Nelson Mandela anlässlich des 20. Jahrestages
seiner Freilassung nach 27 Jahren Haft einstimmten, so war dies mehr als heuchlerisch. Während die
DDR nämlich die südafrikanische Befreiungsbewegung ANC aktiv unterstützte, war der
Freiheitskämpfer Mandela für die BRD-Regierung nicht mehr als ein Terrorist und
unterstützte seinerseits das Südafrika der Apartheid. Die Rolle, die die Bundesrepublik
Deutschland und insbesondere der DDR-Delegitimierer Kinkel bei der Stabilisierung des rassistischen
Terrorregimes gespielt haben, wird bspw. in dem mehrteiligen Artikel »Südafrika - Statthalterstaat
des Imperiums« der Internetplattform »Schattenblick« dokumentiert. (2)
Der Name DDR hatte bei den Befreiungsbewegungen und jungen Nationalstaaten des Trikont immer einen guten
Klang, repräsentierte dieser Staat doch dass andere, antifaschistische, antikolonialistische
Deutschland, dass es nicht bei Worten bewenden ließ, sondern aktiv solidarische und
internationalistische Politik betrieb. Ein sichtbares Zeichen dafür, dass dieses Engagement von den
Völkern nicht vergessen wurde, war bspw. die Aufnahme von Margot und Erich Honecker im Januar 1993
in Chile, nachdem sie in der BRD einer Hexenjagd ausgesetzt waren.
Ein spezielles Kapitel der internationalistischen Zusammenarbeit stellt das Verhältnis Cuba – DDR
dar, das Heinz Langer in der Einleitung zu seinem neuen Buch »Zärtlichkeit der Völker – Die DDR
und Kuba« als einen »hoffnungsvollen Abschnitt wahrhaft menschlicher und daher gleichberechtigter
Verhältnisse« charakterisiert. Der Autor weiß, wovon er spricht, hat er doch diese Beziehungen
vom Beginn bis zum von der Konterrevolution erzwungenen Ende aktiv mit gestaltet. Heinz Langer, Jahrgang
1935, zunächst gelernter Dreher, Absolvent der legendären Arbeiter- und Bauernfakultät,
arbeitete ab 1962 in der Abteilung Lateinamerika des DDR-Außenministeriums, war 1964/65
Attaché an der DDR-Botschaft in Havanna und von 1975-1979 sowie 1983 bis 1986 als Botschafter
seines Landes in Cuba. Nach seiner Studie
»Kuba – La revolución dinámica / Die lebendige Revolution« (3) legt er hier nun ein persönlich
gefärbtes und damit noch anregender zu lesendes Buch vor.
Wer, als Tourist oder politisch Interessierter, Cuba bereist, trifft dort immer wieder auf cubanische
Staatsbürger/innen, die ihre Berufsausbildung oder Studium in der DDR absolviert haben. Wie
umfangreich und umfassend die Beziehungen zwischen beiden sozialistischen Staaten insgesamt waren, wird
erstmals und systematisiert in diesem Buch dokumentiert und gewürdigt. Dabei gewährt der Autor
auch Einblicke in bestandene Differenzen, Reibereien und Unstimmigkeiten zwischen den Partnern – zwar
durchaus kritisch und selbstkritisch, jedoch an keiner Stelle etwa sensationsheischend oder
persönlich diffamierend, wie es so manch andere, bürgerlichen Marktschreier zur
Auflagensteigerung praktizieren.
Geschildert wird die ganze Palette der beide Gesellschaften durchdringenden Beziehungen, die 1990 ihren
Ausdruck in 64 Abkommen, Verträgen und zwischenstaatlichen Vereinbarungen fand und die dann allesamt
durch die BRD-Regierung »einseitig und ersatzlos annuliert (wurden), ohne die Konsequenzen für Kuba
zu berücksichtigen«(S.8). Die DDR hatte, als zweitgrößter Handelspartner Cubas nach der
Sowjetunion, geholfen, auf der Insel über 2.000 Betriebe zu errichten. Die Beziehungen wurden ab
1960, speziell nach dem historischen DDR-Besuch von Che Guevara, auf ökonomischen Gebiet umfassend
auf- und ausgebaut und an vielen Stellen im Detail dargestellt. Die gemeinsamen Ideale jedoch, die
»die Würze der Gemeinschaft ausmachten« (S. 10) kamen zum Ausdruck in umfassenden gesellschaftlichen
Kooperationen auf den Gebieten der Kultur (Schriftstellerverbände, Photographen), Jugend,
Frauenorganisationen, Gewerkschaften, diverse wissenschaftliche Institute, Verlags- und Bildungswesen,
Medizinsektor, Bauernverbände, Rundfunk und Fernsehen bis hin zu Kirchenrepräsentanten. »Es gab
faktisch kein Gebiet des gesellschaftlichen Lebens, das nicht in diese Beziehungen einbegriffen gewesen
wäre. Aus den vielfältigen Begegnungen entwickelten sich zahlreiche persönliche
Freundschaften.« (S.9)
Dies alles fand nie im luftleeren Raum statt, sondern inmitten des globalen Kalten Krieges, der auch immer
die Diplomatie einschloss »und wir waren stolz, (ab 12.01.1963) die erste Botschaft der DDR auf dem
amerikanischen Kontinent zu haben. Wie erwartet, zog die BRD ihren Botschafter aus Kuba zurück und
unterbrach die diplomatischen Beziehungen.« (S.26) In Bezug auf »die kubanische Hilfe für
afrikanische Länder im Kampf gegen koloniale und neokoloniale Bestrebungen einiger europäischer
Metropolen« vermerkt der Autor: »Es war interessant zu erfahren, mit welcher Zielstrebigkeit die
diplomatischen Vertretungen bestimmter kapitalistischer Staaten selbst in jenen Ländern, die weitab
von ihren früheren Einflusssphären liegen, gegen mögliche gesellschaftliche
Veränderungen arbeiten.« (S.89) Die DDR ihrerseits war »solidarisch in der Befreiung Afrikas (…)
Die Führung der DDR unterstützte entsprechend den Möglichkeiten unseres Landes auch die
kubanischen Hilfsaktionen« (S. 120 ff.) Hier, wie an anderen Stellen des Buches, wird auch der
große Respekt deutlich, den Heinz Langer dem cubanischen Revolutionsführer entgegenbringt: »Es
beeindruckte mich, wie flexibel und effektiv er persönlich die operative Führung der
kubanischen Truppen in Angola über die großen Entfernungen hinweg organisierte.« (S. 123)
Ergänzend gibt es Anekdoten über persönliche Erlebnisse mit Fidel die einerseits diese
Hochachtung dokumentieren, diesen jedoch nicht auf ein abstraktes Podest stellen. (4)
Überraschungsbesuch von Fidel in der DDR im Sommer 1976 / S. 124 ff.; »In der Sierra Maestra mit
Fidel Castro« / S. 137 ff.
Auf deutscher Seite war es »eines der Merkmale für den Charakter der DDR, dass all ihre Führer
aktiv, unter Einsatz ihres Lebens, gegen die faschistische Diktatur gekämpft hatten« (S. 105). So
war Fritz Johne, erster Botschafter der DDR in Cuba, ein früherer Spanienkämpfer: »Er war schon
wegen seiner Vergangenheit und seiner ausgezeichneten Kenntnis der spanischen Sprache ein angesehener
Partner für die kubanische Führung« (S. 26). Hierzu passt die Charakterisierung der beiden
Staatsführer Castro und Honecker: »Es entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis
Honeckers zu Fidel Castro, das bis zum Tode Honeckers anhielt. Ich hatte den Eindruck, und diese
Beobachtung bestätigte sich bei späteren Gelegenheiten, dass Erich Honecker im Stillen die
Führungspersönlichkeit Castros, dessen überragende Intelligenz und die direkte, lockere
und natürliche Art im Umgang mit den Menschen sehr bewunderte.« (S. 59) »Alles in allem: es musste
alles perfekt sein. Möglicherweise, so kam es mir manchmal vor, lag es auch an der Eigenart von
Erich Honecker, der in seinem persönlichen Arbeitsstil außerordentlich fleißig und genau
war. Das bestätigte sich z. B. in den Delegationsberatungen vor der Reise, in denen er Seite
für Seite der ausgearbeiteten Papiere durchging. Wir hatten den Eindruck, dass er der einzige war,
der alles genauestens gelesen und mit Bemerkungen versehen hatte. Diese strikte Disziplin und Ordnung war
auch ständig während des Besuches zu spüren. Manchmal stellte ich mir die Frage, wieso
sich die beiden Partner, Fidel Castro und Erich Honecker so ausgezeichnet persönlich verstanden,
obwohl sie doch, zumindest scheinbar, sehr verschiedene Charaktere hatten. Eines war klar: Erich Honecker
hatte eine hohe Achtung vor Fidel Castro und Castro wusste, dass er sich auf Honecker vollkommen verlassen
konnte.« (S. 63/64)
Zur strategischen Bedeutung dieser Zusammenarbeit für Cuba konstatiert der Autor:
»In den ersten Jahren nach dem Sieg der kubanischen Revolution war für Kuba die Entwicklung der
Wirtschaftsbeziehungen mit den sozialistischen Ländern die einzige Möglichkeit, um die
Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Es wurde auch offenkundig, dass nur diese Beziehungen zu den
befreundeten Ländern das Überleben der kubanischen Revolution garantieren konnten. Der
traditionelle Markt USA war weggebrochen. Die US-Blockadepolitik hatte verheerende direkte Auswirkungen
und beeinflusste zusätzlich die Haltung der anderen kapitalistischen Länder. Die Chancen Kubas
auf dem kapitalistischen Weltmarkt waren schließlich aus politischer Sicht, aber auch wegen der
begrenzten wirtschaftlichen und finanziellen Möglichkeiten Kubas sehr gering, wenn nicht gar
unmöglich. Wie Castro später gelegentlich zugab, hatte Batista mit seinen Getreuen die
Staatskassen ausgeraubt. Die kapitalkräftigen Gesellschaften, vor allem die der USA, die vorher die
Wirtschaft beherrscht hatten, zogen sich schrittweise zurück und beteiligten sich an der Blockade.«
(S. 49) »Uns war klar, dass es vorwiegend die Sowjetunion war, die mit ihren Lieferungen von Erdöl,
Maschinen, Fahrzeugen, militärischem Gerät, Brotgetreide und anderen Lebensmitteln das
Überleben der kubanischen Revolution und letztlich die Existenz Kubas als souveräner Staat
garantierte. Auch die DDR, die CSSR, Bulgarien und andere sozialistische Länder hatten daran einen
großen Anteil.« (S. 33) Mit der Konterrevolution 1989/90 (als die Contras und Terroristen in Miami
buchstäblich mit geladenen Maschinenpistolen auf gepackten Koffern saßen) und der umfassenden
Aufkündigung aller DDR-Verträge mit Cuba seitens der Kohl-Regierung erhoffte sich diese, ihren
Beitrag dazu zu leisten, Cuba auf vorrevolutionäres Niveau auszuhungern. Denn, wie Langer richtig
konstatiert: »Spätere Verhandlungen der BRD mit Kuba drehten sich zunächst nur um "Schulden
Kubas" gegenüber der DDR, die man so gern kassiert hätte.« (S. 168)
Doch diese Strategie ist nicht aufgegangen. Cuba kämpft, hat – auch dank der anhaltenden
internationalen Solidarität – überlebt und das Beispiel DDR ist auch heute noch relevant:
»Ich konnte mich später, als es die DDR schon nicht mehr gab, davon überzeugen, dass nahezu
alle von der DDR errichteten Betriebe noch produzierten und dass die Bewohner in den entsprechenden
Städten noch mit Gefühlen der Sympathie und Hochachtung von den Freunden des "Alemania
Democratica" sprachen. Sie meinten damit zu Recht die DDR, denn das andere Deutschland war "Alemania
Federal".« (S. 116)
Auf der Rückseite des Buchtitels wird Fidel Castro über den Handel mit der Sowjetunion zitiert:
»Ich lernte in der Praxis kennen, was ich bis dahin nur aus der Theorie kannte, den ungleichen Austausch.
Sie garantierten uns einen Preis, der über dem damals herrschenden Weltmarktpreis lag … Das hat
später als Grundlage für die Anwendung des sozialistischen Prinzips gedient, dass die
wirtschaftlich höher entwickelten Länder die weniger entwickelten beim Aufbau des Sozialismus
unterstützen sollten.« Heinz Langer beschreibt in seinem Buch auch ganz offen die Probleme, die es
bei diesen Beziehungen auf historisch neuem Niveau am Beispiel DDR-Cuba gegeben hat. Dennoch behalten
diese Prinzipien nicht nur ihre Gültigkeit, sondern sind von brennender Aktualität. Wenn heute
rund um den Globus vor allem junge Menschen auf die Straße gehen, um die von ihnen als ungerecht
erkannten und vom Imperialismus diktierten »terms of trade« anzuprangern, so ist hier zu lernen, dass
alternative, gerechte Beziehungen nicht nur »möglich« sind, sondern es sie bereits gegeben hat. Die
Beziehungen bspw. zwischen dem ölreichen Venezuela und dem rohstoffarmen Cuba basieren auf eben
diesen Erfahrungen.
Hierzulande dagegen verbreiten einige Politiker/innen, die ein Monopol auf die ideologische
Standortbestimmung »links« für sich beanspruchen, seit der Liquidierung der DDR die abenteuerliche
These, dass mit dieser Konterrevolution »der Sozialismus in Deutschland erst wieder eine Perspektive«
habe. Wenn dies schon für die deutschen Verhältnisse absurd ist, so dürfte dieser Unsinn
gerade in Cuba und anderen Ländern des Trikonts kaum Begeisterungsstürme auslösen.
Das verdienstvolle Buch von Heinz Langer trägt dazu bei, die Geschichte der Beziehungen beider
Länder sachlich einzuordnen und Anregungen für die Zukunft zu geben. Es ist Ende Februar 2010
im Verlag Wiljo Heinen erschienen (5), kostet sozialverträgliche € 9,50, hat 175 Seiten incl. eines
Personenverzeichnisses sowie je einer geographischen und politisch-administrativen
Cuba-Übersichtskarte. Ihm sei hiermit möglichst große Verbreitung gewünscht.
1) »Deutsche Richterzeitung« 1992, S. 4/5, nach RA Dr. Friedrich Wolff, Kommentar: »DDR-Bewältigung« in »junge Welt«, 24. August 2004
2) Schattenblick: DILJA/069: Südafrika - Statthalterstaat des Imperiums, 22.11.07: »Südafrika wird pro forma geächtet - aufgrund der klammheimlichen Zusammenarbeit gerade auch mit Deutschland kann sich das Apartheidregime in den 1980er Jahren an der Macht halten - (…) Chris Thierion, Generalmajor im Ruhestand und Vizechef des Militärischen Geheimdienstes Südafrikas zur Zeit der Apartheid, packte gegenüber der Frankfurter Rundschau aus. Die veröffentlichten Akten bestätigten, was auch Thierion erklärte, nämlich daß die Geheimdienste beider Staaten in den 1980er Jahren intensiv miteinander kooperiert hatten. Er sei bei den damaligen BND-Chefs Klaus Kinkel und Eberhard Blum "ein- und ausgegangen", so der ehemalige Geheimdienstler Südafrikas (…) Als die Vereinten Nationen am 4. November 1977 ein völkerrechtlich verbindliches Waffenembargo gegen Südafrika verhängten, führte dies keineswegs zur Beendigung der gedeihlichen Zusammenarbeit zwischen dem Apartheidregime und deutschen Großkonzernen und -banken. Auch nach dem von der UN-Vollversammlung verhängten Embargo gewährten deutsche Geldinstitute - zu nennen sind hier ohne Anspruch auf Vollständigkeit neben der Deutschen auch die Dresdner sowie die Commerzbank - dem dem bloßen Anschein nach geächteten Apartheidstaat noch über viele Jahre hinweg Kredite, die für dessen Überleben gewiß ebenso unverzichtbar waren wie die Rüstungslieferungen. Die Bundesrepublik Deutschland avancierte nach Verhängung des UN-Embargos zu einem der wichtigsten Wirtschaftspartner Südafrikas, was bundesdeutsche Politiker mitnichten davon abhielt, in die internationale Empörung über das schreiende Unrecht inbrünstig miteinzustimmen.«
3) 2007, Verlag Wiljo Heinen; siehe MBI 5-07, FG-BRD-Kuba /Essen: Literatur/Rezensionen
4) Überraschungsbesuch von Fidel in der DDR im Sommer 1976: S. 124 ff.; »In der Sierra Maestra mit Fidel Castro«: S. 137 ff.
5) ISBN 978-3-939828-48-8
Heinz-W. Hammer, 21.03.2010
CUBA LIBRE 2-2010