Leserbrief zum Artikel "Raúl trifft den Nerv", CUBA LIBRE 2009-2

Hallo,

ich bin regelmäßiger Leser eurer Zeitschrift Cuba Libre, die ich sehr schätze. Allerdings ist mir in der letzten Ausgabe ein Artikel aufgefallen, dessen Aussagen teilweise nicht mit der cubanischen Wirklichkeit bzw. nicht mit meinen Erfahrungen übereinstimmen.

Da dieser Artikel "Missstände" in Cuba anspricht, möchte ich meine Meinung hierzu äußern. Hierzu müsst ihr wissen, dass ich seit mehreren Jahren mit meiner Familie regelmäßig nach Cuba fliege und dort bei guten Freunden, in deren Haus in Pinar del Rio wohne und meine, mit dem cubanischen Alltag einigermaßen vertraut zu sein. Dies auch aufgrund vieler langer Gespräche mit Cubanern. Der Artikel, den ich meine ist folgender:
Raúl Castro trifft den Nerv – In Kubas Alltag lässt sich eine wachsende Kluft ausmachen. Der die Regierung mit Wirtschaftsreformen begegnen will". S.9-10

Dort heißt es:
"Wer an Konvertible Pesos kommt, hat Zugang zu Importwaren und Dienstleistungen. Wer dieses Privileg nicht genießt, leidet zwar keine existenzielle Not. Er fühlt sich aber als Bürger zweiter Klasse."

Die Grundaussage ist bereits falsch. Jeder Cubaner hat Zugang zu Konvertiblen Pesos (CUC). Jeder Cubaner kann bei jeder Bank die Pesos Nacional zum derzeitigen Kurs von 1-24 in CUC umtauschen und umgekehrt. Das ist keine Privileg (!), sondern allen Cubanern möglich. Richtig ist, dass die Waren in den Peso-Läden teurer sind. Elektronische Geräte sind nach meiner Beobachtung, nur in CUC-Läden erhältlich und in der Regel nur für Cubaner erschwinglich, die über ausreichend CUC verfügen. Das sind meiner Meinung nach Cubaner, die durch Auslandsüberweisungen von Verwandten unterstützt werden, was aber durch die Regierung nicht verhindert werden kann oder sollte.

Eine soziale Kluft nach deutschem Maßstab, kann ich darin aber nicht erkennen, sondern allenfalls Unterschiede in der gleichen sozialen Schicht. Es sei denn, man wollte eine Schicht der DVD-Player-Besitzer und DVD-Player-Besitzlosen erfinden. Auch hierzulande kann man einen billigen No-Name-Turnschuh oder einen teuren Markenschuh kaufen, ohne dass dadurch eine nach außen erkennbare soziale Kluft entsteht. Im übrigen hatte ich den Eindruck, dass es keinen cubanischen Haushalt gibt, der nicht wenigstens einen Fernseher hat. Auch schien mir, dass dieser Zustand den Cubaner nicht sonderlich stört. Eine Unzufriedenheit oder Neid habe ich nicht wahrgenommen, was daran liegen mag, dass die Akzeptanz untereinander sehr groß ist und in der cubanischen Gesellschaft Statussymbole keine wesentliche Rolle spielen.

Zweiter Kritikpunkt sind Ausführungen über Rassismus in Cuba. Rassismus habe ich im Alltag nicht gesehen. Die Gruppen von Erwachsenen, Jugendlichen, Kindern in den Städten und Dörfern usw. waren in der Regel gemischt. Das heißt nicht, dass nicht Einzelne Vorbehalte gegen den anders Farbigen haben könnten. Staatlich gefördert, werden diese Vorbehalte aber nicht. Warum auch? In dem Artikel klagt Alfonso, die Kontinuität der Diskriminierung der Schwarzen an. "So seien bis heute die Schulen in den "weißen" Stadtteilen besser, als in den schwarzen Vierteln. So werden soziale Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen aufrecht erhalten."

Ich kann es kaum glauben, dass Gerardo Alfonso das wirklich gesagt hat. Zum einen ist er schon etwas älter und dürfte einige Jahre die Schule beendet haben. "Weiße" und "schwarze" Stadtteile? So etwas gibt es nicht. Das Wohnungsangebot ist nicht so üppig, dass man zwischen bestimmten Stadtteilen wählen könnte. Was ist damit gemeint, dass eine Schule besser ist, als die andere? Welche sozialen Unterschiede bestehen zwischen den Bevölkerungsgruppen, die aufrechterhalten werden?
Den einzig nennenswerten Unterschied gibt es zwischen den Cubanern mit Verwandten im Ausland und denen ohne.

Ihr habt den Artikel vom ND übernommen. Ich kann Euch nur bitten, deren Artikel ggfs. nachzurecherchieren, wenn diese Kritisches enthalten. Nun soll das nicht heißen, dass niemand Cuba kritisieren darf. Hiervon macht auch die ganze Welt ausreichend Gebrauch. Schade, dass es anscheinend niemanden gibt, der auf "Kritisieren" verzichten will. Aber wenn schon kritisiert wird,, dann sollten die kritisierten Umstände auch wahr sein. Das ist hinsichtlich des Privilegs und der Schulen für Weiße und Schwarze nicht der Fall.

Zumal der letzte Satz des Artikels auch so verstanden werden kann, dass eine Veränderung in der Regierungsspitze wünschenswert wäre. Ein solcher Wunsch steht uns nicht zu, das ist die Sache der Cubaner, die nach meinen Erfahrungen eine solche Veränderung eher nicht wünschen, weil sie ihre Regierung für intelligent halten, die versucht alles richtig zu machen, die Fehler erkennt und revidiert, ohne es letztlich allen recht machen zu können.

Saludos J.L:

Lieber J.L.


Vielen Dank für deinen Leserbrief, der aus deiner selbst erlebten Perspektive viele wichtige Gesichtspunkte enthält und auch Widersprüche zu dem von uns veröffentlichten Artikel sehr fundiert darlegt und begründet.

Gerade durch die unterschiedliche Sichtweise, einerseits die in dem Artikel von Harald Neuber, den wir abgedruckt haben und ergänzend dazu deine eigenen Eindrücke, erhalten unsere LeserInnen ein umfassendes Bild der cubanischen Realität, die eben auch viele verschiedene Facetten und manche Widersprüchlichkeit hat. Wieso auch nicht?

Harald Neuber schreibt schon seit vielen Jahren aus und über Cuba und berichtet sehr aufmerksam und authentisch über dieses Land. Hier in dem besagten Artikel zu beschreiben wie Widersprüche aussehen, sie wo möglich zu erklären und in Zusammenhänge zu setzen, die erklären, dass Cubas gerechter Kampf um Souveränität und Sozialismus ernsthaft geführt wird und auch Rückschläge beinhaltet, ist jedenfalls legitim und der Sache durchaus nützlich. Wir haben daher den Artikel abgedruckt weil wir ihn als grundsätzlich interessant und authentisch betrachten.

Der Artikel "Raúl trifft den Nerv" ist ob der Maßnahmen Raúls zu seinem 1-jährigen Amtsjubiläum von besonderem Interesse, darin werden schließlich die aktuellen Maßnahmen der Regierung und die Umbesetzung im Kabinett kurz erläutert. Ferner wird eine Tatsache beschrieben die im Grunde nicht neu ist und vielen Cubanern deren Lebensqualität schlichtweg mindert. Der relative Mangel an bezahlbaren Gütern. Die Kritik an der Textaussage "wer dieses Privileg CUC zu besitzen hat ..." dürfte wohl eher ein Mißverständnis sein. Sicherlich kann man als Kubaner CUC besitzen und damit einkaufen wo und wie man will. Allerdings ist es eben doch eine Art Privileg solche tatsächlich zu besitzen, schließlich kann man sich ganz einfach damit mehr Güter erwerben.

Und leider ist der Wohlstand auch des revolutionären Cuba noch nicht so entwickelt, dass sie diesen ausreichend sichern könnten. Wie sollte es auch bei den verschiedenen ungünstigen äußerlichen Kennziffern wie u.a. die Krise, die bis heute bestehende Blockade und die schweren Hurrikans in 2008 dazu reichen? All dies kostet das Land schlichtweg Milliarden die Cuba dringend benötigt um diesen zu sichern. Sollte sich die Wirtschaftsleistung weiter erholen, wird sich auch der Binnensektor weiter erholen und stärken. So einfach ist das.

Die Meinung, dass man sich als Europäer nicht so sehr in innercubanische Bewertungen einmischen sollte und demzufolge auch die Minister und deren Tun nicht groß bewerten sollte, kann man teilen. In dem besagten Schlusssatz werden die Aussagen allerdings nur aus offiziellen cubanischen Zeitungen zitiert, sind also keine eigenen Wertungen Neuberts.

Dass Gerardo Alfonso gesagt hat, dass es noch Rassismus in Cuba gibt stimmt und das gibt er in Gesprächen auch zu. Dass er dies im Radio diskutiert, zeigt eine gute Streit- und Kritikkultur. Ich höre solche Aussagen in unseren Radios eher selten, obwohl es Rassismus ja bekanntlich auch bei uns zur Genüge gibt.
Aber dass es marginale Viertel wie La Timba und Fangito – manche sagen auch La Regla – gibt, (möglicherweise wohnen da auch mehr Schwarze) scheint auch gesichert.

Insofern sollten wir uns diesen offenbar existenten Widersprüchen hier wie dort stellen und sie weiter umfassend erläutern. Dies ist aus unserer Sicht keine Kritik die gegen Cuba hetzt, sie soll nicht mehr aber auch nicht weniger als eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Realität sein.

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