Aufbau nach den Zerstörungen durch die Hurrikans
Wer um die Jahreswende 2008/2009 nach Kuba reiste, konnte nur staunen, wie schnell die schlimmsten
Schäden an Gebäuden, Wegen und Straßen nach den Wirbelstürmen beseitigt wurden.
Der Flughafen von Holguin war bereits instand gesetzt, die Straße in das Touristengebiet von
Guardalavaca wurde erneuert und gleichzeitig verbreitert, um einen Fahrradweg einrichten zu können.
Überall waren neue Straßenbaumaschinen aus China und Deutschland im Einsatz.
Direkt am Meer konnte man die Macht der Stürme noch erahnen: Teile der Küste waren weggebrochen,
Fischerhäfen zerstört, Wohnhäuser ohne Dach.
Auch außerhalb der Touristengebiete waren die Aufbauarbeiten zu sehen: auf den Strassen wurden die
Ziegelsteine mit Ochsenkarren transportiert, neue Büsche und Bäume gepflanzt, Straßenbegrenzungen
neu gestrichen.
Die kahlen Berge in der Sierra del Rosario (Pinar del Rio), auf die man vom Orchideengarten in Soroa aus schaut,
das fehlende Laub an den Bäumen fielen nur denen auf, die die dichte Vegetation von früheren Besuchen
kennen. Ein Glück, dass die Pflanzen in Kuba schnell wachsen und somit auch das Laub auf den Bäumen.
Natürlich war es für Kubas Wirtschaft wichtig, diese Landschaften zügig
"aufzuräumen", die bevorzugtes Ziel für die Touristen sind. Die Verträge mit den
Tourismus-Unternehmen mussten eingehalten werden. In Las Terrazas, einer Gemeinde mitten im Naturschutzgebiet
zwischen Havanna und Pinar del Rio, waren bereits die Wanderwege frei geräumt, um die Vogelbeobachtung und
das Schwimmen in den "Baños del Rio San Juan" zu ermöglichen.
Weiterentwicklung der Angebote im Tourismus
Las Terrazas ist ein schönes Beispiel, wie sehr sich die Kubaner um eine Erweiterung des Angebots
für Touristen bemühen: das vegetarische Öko-Restaurant El Romero (Restaurante Ecológico para
Gourmet) mit seinen phantasievollen Gerichten, Säften und Tischdekorationen bietet eine Qualität, die
auch in Deutschland selten zu finden ist (s. Artikel). Die Angebote im Ecotourismus nehmen zu; auch in
Guardalavaca kann man über eine Agentur "Ecoturismo" Wanderungen zur Besichtigung der Höhlen
im Umkreis buchen. Übrigens unterstehen diese Agenturen dem Ministerium für Landwirtschaft
(Ministerio de la Agricultura) und tragen speziell zur Entwicklung der abgelegenen ländlichen Gebiete bei.
Ein weiteres Beispiel ist die HabanaBusTour in Havanna, deren 3 Buslinien seit einem Jahr von 9:00 a.m. bis
9:00 p.m. zirkulieren: eine Linie fährt durch Havanna Centro bis zum Revolutionsplatz und zurück, eine
zweite Linie über den Friedhof zur Marina Hemingway im Osten und eine dritte Linie durch den Tunnel zu den
Playas del Este. Das Ticket zu 5 CUC gilt den ganzen Tag für alle drei Linien.
Nicht nur in Havanna sind viele Gebäude und Plätze renoviert sowie neue Museen und Restaurants
eröffnet. Z.B. gibt es heute in Bayamo doppelt so viele Bars und Restaurants, das Hotel Royalton wird
komplett restauriert und im Apothekenmuseum von Mantanzas werden die oberen Stockwerke mit den Privaträumen
des Apothekers zugänglich gemacht. Anders als in den Meisten Ländern Europas werden aber auch
Gewerbebetriebe und Werkstätten in die Stadtzentren integriert, so dass eine lebendige Stadt erhalten
bleibt und niemand zum Einkaufen auf die grüne Wiese fahren muss. Ein schönes Beispiel ist die
Altstadt von Havanna, in der viele Werkstätten liegen, u.a. eine Schreinerei, eine Schuhfabrik und das
Taller Hermanidad de Bordadoras y Tejedoras de Belén, in dem gehäkelte Textilien und Arbeiten aus
Makramee angefertigt und verkauft werden.
Alltag
Für jemand, der nur alle paar Jahre nach Kuba reist, zeigt sich der Wandel vor allem im Alltag der
Familien. In den Städten gibt es ein Mehrfaches an Läden, Restaurants und Bars – für beide
Währungen. Die Märkte –mercados libres agropecuarios – sind mit einheimischem Fleisch, Gemüse
und Obst bestückt, ja sogar Gewürze und Kräuter werden angeboten. Allein in Bayamo gibt es heute
zwei große Märkte (Nähe Bahnhof und am Fluß), mit festen Ständen und guten
hygienischen Bedingungen, was gerade bei dem großen Angebot an geräucherten Rippchen, Kassler und
Dörrfleisch auffällt.
Zu Weihnachten 2008 herrschte überall großer Andrang: Kinderspielzeug und Nippesfiguren für die
Familie waren gefragt, Plastikchristbäume und Weihnachtsschmuck fanden ihre Käufer.
Nicht zu übersehen sind die Organopónicos, Felder mit Gemüsebeeten auf dem Land und mitten in der
Stadt, die auf biologischer Grundlage bestellt erden und helfen sollten, die Lebensmittelversorgung zu
verbessern.
Die langen Schlangen mit Menschen vor der Telefongesellschaft Etecsa, die eine neue Ladekarte für ihr Handy
kaufen wollen, die Zahl von Mopeds, Motorrädern und Autos in den Straßen erwecken den Eindruck, dass
die Kubaner heute über mehr Geld verfügen. Die Überweisungen ihrer Verwandten im Ausland (remesas)
spielen dabei eine große Rolle.
Etwas 50% der Kubaner haben mehr oder weniger regelmäßig Einnahmen in Dollars und damit Zugang zu
Gütern, die für die anderen unerreichbar bleiben. Das System der zwei unterschiedlichen Währungen
führt leider zu einer Entwertung der Arbeit, die mit Pesos Cubanos bezahlt wird, weswegen sich gerade
Akademiker, wie z.B. Englischlehrer, um Tätigkeiten im Tourismus bemühen. Auch einige Jugendliche in
der Stadt sind der Meinung, dass es sich nicht lohnt, für Pesos Cubanos zu arbeiten. Einkommen ohne eigene
Arbeitsleistung zu erzielen ist daher für sie ein Sport geworden, d.h. sie wollen gar keinen Job annehmen.
Sie leben vom Tausch, vom Schwarzmarkt, von unterschiedlichen Dienstleistungen im Tourismus. Dabei sind
Diebstahl und Prostitution als Einnahmequelle nicht ausgeschlosssen.
Mit dem steigenden Verkehr und dem wachsenden Konsum sind größere Umweltverschmutzungen durch Abgase,
Lärm und Abfallmengen verbunden. Immer mehr Haustiere wie Hunde und Katzen tragen ihren Anteil dazu bei;
angeblich sollen viele Hunde die Häuser vor Einbruch und Diebstahl schützen, der Schattenseite des
wirtschaftlichen Aufschwungs. Wie bei uns auch, spielt ökologisches Denken in den Familien noch keine
große Rolle: das Wegwerfen von Lebensmitteln in den Haushalten, die Verschwendung von Wasser,
Elektrizität und anderen Materialien ist trotz knapper Ressourcen an der Tagesordnung.
Als Tourist, der eine 4wöchige Reise nach Kuba bezahlen kann, ist es unmöglich, den kubanischen
Freunden klar zu machen, dass wir für eine solche Reise sparen müssen und uns nicht alles leisten
können.
Die Isolation der Kubaner, die so gut wie keinen Zugang zu ausländischen Medien haben, spielt meines
Erachtens dabei eine große Rolle. Dieser Mangel wird auch von den kubanischen Journalisten und anderen im
Kulturbereich Tätigen beklagt, die außerdem die schlechte Qualität des Fernsehprogramms
kritisieren. Die Telenovelas gehören zu den beliebtesten Fernsehsendungen, vor allem der Frauen.
Im Bildungswesen sind Schulfernsehen und passives Lernen verbreitet, kritische Diskussion und Reflexion fehlen
– der Mangel an pädagogisch qualifizierten Lehrkräften scheint einer der Gründe zu sein.
Auch in Kuba sind gesellschaftliches Engagement und aktive Teilnahme am politischen Leben nicht jedermanns
Sache. Die meisten Menschen haben – wie bei uns – eine Anspruchshaltung gegenüber dem Staat, der sie
versorgen soll, wogegen das persönliche Pflichtbewußtsein oft schwach entwickelt ist.
Die Kubaner selbst sind sich dieser "Schwächen" sehr wohl bewußt; sie werden vor allem in
der Literatur, im Theater und im Film thematisch bearbeitet.
Wer Spanisch versteht, sollte unbedingt mal in ein kubanisches Theater, Ballett oder Musical gehen, z.B. ins
Gran Teatro in Havanna oder ins Teatro America. Dort spielte die Comedia Música "La vida sigue
igual", die die letzten 20 Jahre in Kuba satirisch beleuchtete, unter großem Applaus des Publikums.
Oder man lese die Romane von Leonardo Padura – Das Havanna Quartett – (auf Deutsch), um die Probleme
kennenzulernen, die vielen Touristen verborgen bleiben.
Das gesellschaftliche Ziel der Chancengleichheit und sozialen Gerechtigkeit bei gleichzeitigem Steigen des
individuellen Lebensstandards (z.B. Wohn- und Freizeitqualität) bleibt auf Kuba auf der Tagesordnung.
Der Gast , der Kuba nur alle paar Jahre bereist, kann abschließend feststellen, "La vida no sique
Igual", denn der Wandel ist unübersehbar und wird Kuba weiterhin verändern – im guten wie im
Schlechten.
BCB
CUBA LIBRE 2-2009