Das Weltjugendfestival - vor 50 Jahren, 1947, in Prag und heute in Cuba

Wieviele von uns werden noch am Leben sein? Damals reisten 17.000 in Prag an, mit einem Durchschnittsalter von 22 – heute also 72 Jahren. Ich war allerdings erst 19, als ich vor 50 Jahren am allerersten Weltjugendfestival teilnahm.


Das erste war auch das längste, vier vollgepackte Wochen, die ich – vermutlich auch die anderen heute noch lebenden TeilnehmerInnen – nie vergessen haben. Wenn wir vom jetzigen Festival in Havanna lesen, werden manche, wie ich, an damals denken. Ein bißchen Neid wird auch dabei sein.

Blättere ich das Festivalbuch und das Liederbuch von 1947 durch – und trotz meines bewegten Lebens habe ich sie immer noch, wie auch meine schlechten, für mich aber wertvollen Fotos – so überkommen mich recht gemischte Gefühle. Es ist viel Wehmut darunter, und zwar nicht allein aus der Einsicht, daß ich mich schließlich nicht mehr zu den Jugendlichen zählen darf, oder aus Nostalgie für die Jahre, als ich viel mehr Haar auf dem Kopf und viel mehr Chancen bei den jungen Frauen hatte.

Die Wehmut entstammt vielmehr der Erinnerung an eine Zeit da wir linken Jugendlichen mit ungebändigtem Optimismus in die Zukunft schauten. War Naivität dabei, als wir begeistert das gerade komponierte "Lied der Weltjugend" sangen?

Warum sollten wir denn nicht optimistisch sein? Der Faschismus war besiegt worden. In Prag sahen wir überall kleine Tafeln – oft mit frischen Blumen – wo junge Menschen beim Aufstand gegen die Nazis gefallen waren. In fast allen Ländern Europas lagen noch tonnenweise die Trümmer des fürchterlichsten Krieges alles Zeiten. Auch im sicheren Amerika, auch solche wie ich, die zu jung gewesen waren, um gegen die Faschisten zu kämpfen, hatten wir gebangt, als die faschistischen Armeen Stalingrad und den Kaukasus, El Alamein in Ägypten und Indien im Osten erreichten.

Ich hatte auch Verwandte verloren, da die Nazis alle erreichbaren Juden in Europa ermordet hatten. Zahlreiche Delegierte in Prag waren von den Jahren gekennzeichnet; sie hatten als Soldaten, als Partisanen oder im Untergrund gekämpft. Ich lernte einen Tschechen kennen, der im Häftlingskomitee von Buchenwald war, eine aus Albanien, der stundenlang verletzt unter ermordeten Partisanen stillhalten mußte. Ich sah erstmalig die Tätowierung am Arm, die ein entkommen aus der Hölle bewies. Doch seit über zwei Jahren waren Hitler und Mussolini tot, ihre Armeen zerschlagen: War das nicht genug, optimistisch zu sein?

Weltjugendfestival 1947: Spanische Delegation, die aus dem Exil in Frankreich und England gekommen war

1947: Spanische Delegation, die aus dem Exil in Frankreich und England gekommen war



Gewiß, der Krieg war nicht ganz gewonnen. In Spanien herrschte Franco, der seine blutige Macht den Soldaten und der Militärhilfe von Hitler und Mussolini verdankte. Die spanischen Delegierten in Prag, begeistert empfangen, waren Exil-Spanier und -Spanierinnen, die nur darauf warteten, bald nach Hause zurückzukehren. Wer hätte geglaubt, daß Franco noch 28 Jahre herrschen sollte!








Auch Griechenland hatte schwere Jahre vor sich; jene Menschen, die die Nazis vertrieben hatten, wurden in die nördlichen Berge gedrängt, während der König und seine reaktionäre Regierung Konzentrationslager bauten und frühere Partisanen verhafteten und folterten. Vier Monate vor dem Festival gab der USA-Präsident seine "Truman-Doktrin" bekannt: 400 Millionen Dollar für das Militär in Griechenland und der Türkei.

Die griechischen Delegierten waren dennoch voller Hoffnung. Ich sah sechs von ihnen, singend in einer Prager Straße. Da kamen zwei Vietnamesen vorbei. Auch ihr Land war mitten in einem bitteren Kampf, damals mit Frankreich. Als die Griechen keine gemeinsame Sprache fanden, ihre Freundschaft und Solidarität doch irgendwie auszudrücken, warfen sie, begeistert aber vorsichtig, die kleinen, überraschten Vietnamesen mehrmals in die Luft. Die ganze Innenstadt war ja ein Ort der Begegnung, des freudigen Treffens und Feierns.

Nach dem Weltkrieg gärte es überall auf der Welt. Die Kolonien wollten Freiheit, manche – wie Vietnam – kämpften schon schwer dafür. Die neue Republik in Indonesien wehrte sich gerade gegen einen Überfall des früheren "Mutterlandes" Niederlande. Am Tage vor dem Festival wurden Aung San und andere Freiheitsführer in Burma ermordet; dort und in Malysien kämpften die Menschen gegen England, das auch noch in Ägypten herrschte – und gerade versucht hatte, Delegiert an der Reise nach Prag zu hindern.

Etliche schafften es doch. Südafrikas stolze Delegation bestand aus allen Bevölkerungsgruppen: Schwarzen, "Farbigen", Indern und Weißen, mit einen Schwarzen als Delegationschef. In ganz Afrika gab es damals nur ein paar quasi-unabhängige Länder; und nur einige, meist in Europa studierende, konnten von deren Hoffnungen sprechen. Dasselbe galt für die Karibik. Doch wir konnten jubeln, auch die Delegierten aus anderen Ländern wie Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden, als wir mitten im Festival hörten, daß Indien und Pakistan endlich frei wurden, fast die ersten in einer langen Reihe von befreiten Kolonien. Wir waren einig in Freude und Optimismus.

Lateinamerika war damals nur schwach vertreten, die Entfernung war groß, das Reisen teuer, und in mehreren Ländern hatte eine neue Welle der Unterdrückung begonnen. Kuba konnte damals keine TeilnehmerInnen schicken. Ja, der "Kalte Krieg" war schon eisiger geworden, das konnten wir US-Amerikaner besonders gut berichten. Die Regierung in Washington hatte die erst zugesagte Unterstützung des Festivals rückgängig gemacht, und die Stempel in unseren Pässen, "Nicht gültig für Jugoslawien", verhinderten unsere Beteiligung am Bau der berühmten Jugendeisenbahnlinie; wir hörten von anderen, wie die Brcko-Banavici und Samac-Sarajevo Linien die Völker in Bosnien einander näherbrachten.

Der neue Marshallplan des US-Außenministers bot allen Ländern Wirtschaftshilfe an – wenn sie bereit waren, alle Linken aus ihren Regierungen zu werfen, oft die Tapfersten im Kampf gegen Hitler und Mussolini. Doch die Sowjets und die Länder Osteuropas sagten Nein, und waren dabei, ohne frühere Könige und Kollaborateure neue Gesellschaften aufzubauen, ohne Ausbeutung und im Geist des Friedens. Warum also nicht Optimismus? Wir freuten uns über die wunderbaren Tanzensembles der Sowjets, Bulgaren und Koreaner, und blickten mutig in die Zukunft.

Ach, welch ein Glück, daß keiner in die Zukunft sehen konnte. Gewiß, der lange Marsch der Kolonien in die Unabhängigkeit dauerte an, bis nur wenige Reste davon blieben. Spanien, auch Portugal und Griechenland konnten die Faschisten endlich überwinden. Atomwaffen, die damals noch bedrohlich waren, kümmern uns heute weniger als die großen Umweltsorgen.

Doch welche Enttäuschungen würden kommen! Da sollte wahnwitziger religiöser und nationaler Streit in Ländern aufkommen, die damals die Freiheit ersehnten: in Prag waren ha sowohl jüdische wie auch Vertreter aus dem damaligen Palästina; es waren Hindus und Mohammedaner aus Indien und Pakistan, Tamilen und Singhalesen aus Sri Lanka, Muslime, Katholiken, Orthodoxe und Atheisten aus Jugoslawien.

Und welchen Streit es geben sollte unter den Ländern, die damals alle den Sozialismus bauen wollten! Mit Jugoslawien, Albanien, und der noch nicht entstandenen Volksrepublik China. Und welche Kriege uns noch bevorstanden – in Korea, Vietnam, dem Nahen Osten, Amerika. Welche Enthüllungen über unglaubliches Unrecht in dem Land, das wir damals – vor allem wegen des Kampfes seines Volkes gegen die Nazis – am meisten bewunderten! Und obwohl auch in der amerikanischen Delegation eine Minderheit war, die das Festival nur zu sabotieren trachteten – nicht einmal sie, glaube ich, hätten voraussehen können daß die Sowjetunion und die neuen Republiken in Ost- und Südeuropa zu unseren Lebzeiten den Weg zurück in den Kapitalismus einschlagen würden! Das war damals unvorstellbar.

Auch 1973, ein Vierteljahrhundert später als ich in meiner Exilheimat Ostberlin nochmals ein Jugendfestival erlebte – obwohl das neue Chile von Salvador Allende bald darauf von Pinochet zerschlagen werden würde - - da hätte ich nie geglaubt daß über meinem Zimmerfenster in Ostberlin einmal eine Leuchtreklame für Coca Cola blicken würde, oder daß die Bank, die für Hitlers Aufstieg mitverantwortlich war, an der nächsten Straßenecke eine ihrer Filialen eröffnen würde!

Und doch ist es passiert. Das neue Jugendfestival findet in einem der wenigen Winkel der Welt statt, wo man noch zielbewußt gegen die ungerechte Verteilung vorgeht, die es erlaubt, daß eine Frau in Haiti sechzehn Jahre arbeiten muß, um so viel zu verdienen, wie ihr US-amerikanischer Boss in einer Stunde! Gegen eine Denkweise, die Menschen, die ihre Luxuswagen bis oben hin mit Lebensmitteln vollstopfen, in der Nähe liegende Obdachlose und Hungernde mit der Bemerkung betrachten läßt: "Die sind doch selber daran schuld!" - um dann in "demokratischen" Wahlen abzustimmen – in denen beide Kandidaten dafür sind, daß die Lebensmittelhilfe für die ärmsten Kinder gekürzt oder gar gestoppt wird!

Es ist gut zu wissen, daß in Kuba, das selber so wenig hat (und Namen wie Helms und Burton lassen die Welt eine der Hauptursachen für diesen Mangel erkennen) trotzdem alles getan wird, damit die Kinder möglichst nicht leiden daß sie alle so viel wie möglich, an Medizin, an Ausbildung bekommen.

Ja, 1947 schien vieles leichter und näher. Jetzt wissen wir, daß im Grunde wieder von vorn begonnen werden muß, eine bessere Welt zu schaffen, eine Welt, in der auch die Kinder in Zentralafrika, in den Slums von Kalkutta, in den Favelas von Lateinamerika eine Chance haben, wo statt Minen und MPs Brunnen, Schulen und Gesundheitseinrichtungen in der Welt verbreitet werden.

Weltjugendfestival 1947: Delegierte aus den USA

1947: Delegierte aus den USA

Der fröhliche Optimismus von 1947 ist heute schwerlich noch hervorzurufen, doch ein fester Wille, nichts Böses zu akzeptieren, kein Unrecht zu ignorieren, kein Leiden zu überhören – das gilt heute wie damals. Und ich sehe keinen Grund, nicht Spaß dabei zu haben, Menschen aus anderen Ländern und ihre Kulturen, ihre Probleme und ihre Pläne mit Interesse kennenzulernen, und damit einen Schritt zu tun gegen die Isolierung vieler Menschen oder ganzer Länder in den letzten Jahren. Leicht war das Verändern der Welt zum Besseren nie gewesen, doch man kann es versuchen, und man kann dabei auch Spaß und Freude empfinden. Wo findet man ein besseres Land dafür als Kuba, wo die Menschen allen Voraussagen des Niedergangs widerstehen und allen Schwierigkeiten, allen Pressionen zum Trotz, doch nicht aufgegeben haben! Ja, ich würde gerne wieder dabei sein!

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Victor Grossman

CUBA LIBRE 2-1997