Ökologie – Umweltschutz - Alternative Energien, Steckenpferde verwöhnter Wohlstandsbürger? Was hat das mit Cuba zu tun? Haben die Cubanerinnen und Cubaner nicht andere Probleme als Umweltschutz und saubere Energieerzeugung? Auf den ersten Blick ist derlei Kritik sicherlich nicht unbegründet. Vielleicht steckte auch etwas Taktik hinter der Idee, eine Fachtagung zum Thema "Chancen und Voraussetzungen einer ökologischen Entwicklung auf Cuba" durchzuführen und das Kind nicht etwa "Wie lösen wir Cubas Energieproblem?" zu nennen.
Die Überlegung bei der Planung waren grob umrissen folgende:
Die Blockade gegenüber Cuba zeigt sich auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Und dies ist ein Bereich, der sich politischem Druck noch eher entziehen kann als z.b. die Wirtschaft. Daß hier dennoch wenig Aussicht stattfindet, liegt also offensichtlich in politischen Vorurteilen begründet, die von der bürgerlichen Presse von FAZ bis TAZ kräftig genährt werden und die es abzubauen gilt. Warum also nicht einfach cubanische und deutsche Wissenschaftler zusammenbringen – gewissermaßen als Initialzündung – und dann sehen, was dabei herauskommt?
Am ersten Abend, während des Einführungsseminars von Prof. Dr. Vales García schienen zunächst zwei Welten aufeinanderzuprallen. Es wurde deutlich daß einige Teilnehmer versuchten, Cuba an mitteleuropäischen oder gar deutschen Verhältnissen zu messen. Nach der Umweltgesetzgebung wurde beispielsweise gefragt, und durch welche Strafen denn ihre Einhaltung erzwungen würde. Während des Vortrages von Compañero Emir Madruga, Vizepräsident der nationalen Energiekommission, wurde dagegen schnell deutlich, wie wenig den Problemen Cubas mit Gesetzen beizukommen ist und wie banal und gleichzeitig dringend notwendig viele Maßnahmen sind. "Wir planen gerade, an den 3 Millionen Kühlschränken die Gummidichtungen auszuwechseln, und diese Maßnahme würde sich innerhalb von 45 Tagen amortisieren. Aber wir haben größte Probleme, neue Dichtungen zu bekommen", sagte Emir unter anderem, um die Situation zu verdeutlichen. Nachdem den Teilnehmern allmählich die Art und das Ausmaß der Schwierigkeiten nähergebracht worden waren, wandelte sich die kritisch-interessierte Atmosphäre zusehends in ein Konstruktiv-hilfsbereites Gesprächsklima.
In den beiden Arbeitsgruppen "ökologischer Landbau" und alternative Energien" wurden Themen diskutiert wie Biogaserzeugung, Sonnen- und Windenergie oder die Förderung und Wiederbelebung traditioneller landwirtschaftlicher Nutzpflanzen und Anbautechniken.
Auch der – bereits begonnene – Aufbau einer Genbank für cubanische Nutzpflanzen war Thema der Gespräche. Ein Problem hierbei:
Die Kühlung ist gefährdet, da ein geeigneter Generator fehlt, der die häufigen Stromabschaltungen kompensieren könnte. Hier konnte Cuba Sí schnell helfen: Sie sagten die Lieferung eines Aggregates aus Beständen der ehemaligen NVA mit dem nächsten Frachter nach Cuba zu. Zu den konkreten Ergebnissen der Tagung gehört auch die Initiative zur Gründung eines Koordinationsbüros für deutsche bzw. ausländische (d.h. nicht-cubanische) NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) sowie die Förderung der Produktion von Photovoltaik-Elementen in Cuba mit cubanischen Rohstoffen. Und schließlich ergab sich der Plan, gemeinsam mit den cubanischen Compañeras und Compañeros einen landwirtschaftlichen Modellbetrieb in der Nähe Havannas aufzubauen, der sich weitgehend selbst mit Energie versorgen soll.
Ein besonderer Höhepunkt des Seminars war der Gastvortrag von Dr. Hermann Scheer, MdB und Vorsitzender der Organisation Eurosolar, der für eine Unterstützung Cubas eintrat und dafür warb, die gegenwärtige Misere des Landes als Chance für eine einzigartige "solare" Erneuerung des Wirtschafts- und Energiesystems zu nutzen. Damit sei eine Demokratisierung in eine ganz neue Richtung möglich jenseits der Entwicklung die die kapitalistischen Länder für Cuba vorgesehen haben. "... sie sagen Demokratie, aber sie meinen Kapitalismus", meinte Scheer.
Unter den Teilnehmern der Tagung befanden sich neben Ingenieuren verschiedener Fachrichtungen Vertreter kommerzieller Unternehmen (die allerdings in der Minderzahl waren) ebenso wie Mitglieder von Solidaritätsgruppen und Initiativen für alternative Energien. Besonders hervorzuheben ist auch die Teilnahme eines offiziellen Vertreters der GTZ, (der "technischen Abteilung" des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit). Auch Professor Dr. Franz Fett von der Universität Siegen nahm an der Veranstaltung teil.
Als Ehrengäste waren der Botschafter und seine Frau anwesend sowie Alfredo Leon Alvarez, erster Sekretär der Cubanischen Botschaft, die uns bei der Vorbereitung der Tagung nach Kräften unterstützt hatten und ohne die derart hochkarätige cubanische Wissenschaftler kaum den Weg zu uns gefunden hätten.
Alles in allem ein erfolgreicher Versuch und gleichzeitig ein ersten Schritt: Eine weitere Veranstaltung ähnlicher Art soll folgen. Dann allerdings in größerem Rahmen und – vielleicht in Havanna …
CUBA LIBRE 4-1993