32 Grafiker aus der BRD zeigen zum ersten Mal in Kuba eine Ausstellung ihrer Arbeiten. Sie ist in der neuen Galerie von Havanna zu sehen, in einem alten, sehr schönen Kolonialhaus, an der Ecke von Luzy Oficios, zwei alten Straßen von Alt-Havanna, und sie ist für Besucher von 15 Uhr bis 22 Uhr an Werktagen geöffnet.
Realistische Grafik aus der BRD ist der Titel der Ausstellung, womit eine klare Definition der Absichten gegeben ist. Aber da der Realismus in der Kunst sehr vielseitig ist, finden wir ihn hier als Expressionismus, magisch, fabulierfreudig und sogar fast abstrakt, sowie natürlich den Fotorealismus, in einer umfassenden Sammlung von Lithografien, Radierungen, Linolschnitten, Holzschnitten und sogar in Off-set, ohne den Siebdruck zu vergessen.
Künstler verschiedener Generationen sind vertreten, einschließlich einiger derjeniger, die unter dem Nazifaschismus verfolgt wurden, weil sie angeblich die ‘entartete Kunst’ vertraten. Unter dieser Rubrik sind alle deutschen Expressionisten zu finden, wie z.B. Gerhart Bettermann, der in der Ausstellung mit Linolschnitten zu sehen ist.
Offensichtlich hat Bettermann seine Gewohnheit zu kritisieren und sich in die öffentlichen Angelegenheiten einzumischen nicht verloren, wie aus den drei hier vertretenen Werken zu sehen ist, und natürlich hat de rNazismus ihn aus seinen Reihen ausgeschlossen, und ihn unter anderem als gefährlich und schädlich bezeichnet, denn im Licht seines Wiederauftretens mit Mister Reagan in der Spitze wissen wir alle was der Nazismus war: ein Unterdrückungsapparat gegen alle Formen von Freiheit, einschließlich die Freiheit der Fluglotsen zu streiken.
Uns scheint, daß Bettermann nicht mehr so expressionistisch ist wie früher, was an der Qualität seiner Arbeiten, sowohl inhaltlich als auch in der Ausführung, nichts mindert, abgesehen von seinen politischen Verdiensten. Aber expressionistischer und ebenfalls sehr gut erscheint uns der junge Erhard Göttlicher, mit zwei Lithografien und einer Radierung vertreten. James Ensors Begräbnis, Lithografie aus dem Jahre 1980, zeigt eine Gruppe von weinerlichen Bourgeois, die beispielhaft sind für eine typische soziale Klasse jedes vergangenen und zukünfigen Nazismus: sie tritt einen wertvollen Künstler mit Füßen, wie seinerzeit van Gogh und Modigliani, um nur zwei zu nennen, und nach ihrem Tod bauen sie für sie exotische Mausoleen und verlangen dafür Eintritt. Es ist widerlich.
Ein weiterer noch jüngerer Expressionist, Eckard Froeschlin, stellt drei kämpferische Radierungen aus, die inspiriert sind vom Werk großer Maler wie Goya und Rembrandt, tadellos in der Ausführung und mit starkem politischem Ausdruck. An dieser Stelle muß gesagt werden, daß die Ausstellung in all ihren Werken einen hohen qualitativen Rang hat.
Der Expressionismus, diese Konstante der deutschen Malerei, zeigt sich auch im Werk von Bernhard Jäger, ein Meister der Farblithografie. "Das große Fressen", "die Schwarze Wand", "Law and Order", sind ausgezeichnet ausgeführte Stücke mit einer spitzen Satire, die sie aus der Sammlung hervorhebt. Ebenso die Lithografien von Michael Prechtl tragen das Zeichen höchster technischer Qualität, ohne jemals die thematische Qualität zu verlieren, was auch in den ausgestellten Werken von Renate Sautermeister zu sehen ist, die mit einer großen Feinheit eine Welt der Verzweiflung und der Angst zeigen.
Die Linolschnitte von Jörg Scherkamp erinnern ein bißchen an den außerordentlichen belgischen Meister des Holzschnitts, Franz Masareel. Obwohl Scherkamp Farben verwendet, haben seine Arbeiten den Charakter von schwarz-weiß, mit starken Kontrasten in den Figuren und dem Hintergrund. Hier sehen wir drei seiner ‘vier Etappen Spaniens’ (1979), in denen er den Menschen und seine Umwelt eingefangen hat.
Es ist schwierig die besten zu erwähnen, denn fast alle erregten unsere Aufmerksamkeit, und es sind 32 Künstler. Von Eberhard Schlotters Radierungen geht eine bissige Suggestion aus und Jürgen Wölbings Lithografien grenzen an Paroxismus, fast so frenetisch wie Paul Weber, dessen Schnitte oder Zeichnungen auf Stein so virulent und unbarmherzig wie Säure sind. Neben ihnen sind die Fotomontagen von Klaus Staeck von einer sanften Bissigkeit, besonders die Mona Lisa im Rollstuhl: ‘Niemand ist vollkommen’.
Eine sehr sehenswerte Ausstellung, sowohl in den Inhalten, als auch in der Fertigkeit der Künstler. Die Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba hat einen Punkt gut. Weitere mögen folgen.
Bohemia, 18.9.1981
CUBA LIBRE 3-1981, Extraausgabe