Die Heuchelei im Fall Assange

Eine Anklage wegen Verschwörung zur Beschaffung von Informationen zur Landesverteidigung, sieben Anklagepunkte wegen Beschaffung dieser Informationen, neun Anklagepunkte wegen Weitergabe dieser Informationen und ein Anklagepunkt wegen Verschwörung zum Zugriff auf einen Computer.

So lauten die Anklagen gegen den australischen Journalisten Julian Assange, insgesamt 17, die wahrscheinlich 175 Jahre Gefängnis bedeuten, wenn er schließlich an die Vereinigten Staaten ausgeliefert wird.

Ein richtig böser Junge also, ein echter Krimineller im Hollywood-Stil. Natürlich aus Sicht der USA, denn wenn WikiLeaks die Kriegsgräuel eines anderen Landes aufgedeckt hätte, wäre Assange ein Held und kein Krimineller.

Oder wenn eine andere Nation Himmel und Erde in Bewegung setzen würde, um die Auslieferung eines Journalisten zu erreichen, der mit Tausendenm von Dokumenten den Tod von Zivilisten, Folterungen und geheime Militäroperationen im Irak und in Afghanistan aufgedeckt hat, dann wäre dies eine "politische Verfolgung", die gegen die "Pressefreiheit" verstößt und "die Medien unterdrückt".

Da es aber die USA waren, die die Gräueltaten begangen und die Menschenrechte verletzt haben, "waren dies gesetzesmäßige Handlungen". So was nennt man ganz einfach Heuchelei.

Assange ist seit mehr als zehn Jahren im Vereinigten Königreich festgesetzt. Zunächst in der dortigen ecuadorianischen Botschaft und seit 2019, als der ehemalige Präsident Lenín Moreno ihm sein Asyl aufkündigte, wird der Journalist im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Osten Londons festgehalten.

Obwohl er nach Verbüßung einer 50-wöchigen Haftstrafe wegen Verstoßes gegen die Kaution im Jahr 2012 keiner Straftat angeklagt wurde, beschloss die britische Justiz, ihn bis zum Abschluss des von der US-Staatsanwaltschaft angestrengten Auslieferungsverfahrens in Haft zu halten.

Seine Verteidigung hat jahrelang darum gekämpft, die Auslieferung zu verhindern. Sie käme einer völligen Vernichtung dessen gleich, was Assange für diejenigen repräsentiert, die von einer Welt träumen, in der Kriegsverbrechen und hegemoniale und einmischende Handlungen nicht ungestraft oder im Dunkeln bleiben.

Wenn er einen Fuß in die USA setzt, ist nicht nur sein Leben in Gefahr, sondern es wird auch ein alarmierender Präzedenzfall für investigative Journalisten geschaffen. Es wäre ein direkter Schlag gegen das Banner, das sie zu verkaufen versuchen: Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung.

Den Anwälten von Assange ist es gelungen, den Moment hinauszuzögern, der mit der Zustimmung der britischen Regierung zu seiner Auslieferung vor mehr als einem Monat bereits näher gerückt schien. Seine Hoffnungen in die Justiz schwinden, aber die Unterstützung von Intellektuellen und Aktivisten weltweit für seine Freilassung wächst täglich.

Selbst der Präsident Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, bat seinen Amtskollegen Joe Biden direkt um die Freilassung des WikilLeaks Gründers, dem er "die Türen seines Landes öffnet", und bezeichnete ihn als "den besten Journalisten unserer Zeit". Er vertrat außerdem die Meinung, dass die Behandlung, die er erfahren hat, schlimmer ist als die eines Schwerverbrechers, und all das nur, "weil er Menschenrechtsverletzungen anprangert".

Der mexikanische Präsident bestand darauf, dass sich die Vereinten Nationen zu diesem Fall äußern sollten. Tatsächlich hat der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, bei zahlreichen Gelegenheiten angeprangert, dass Assange psychologischer Folter ausgesetzt war. Nach der Entscheidung der britischen Regierung sagte er, dies sei ein weiterer Schlag gegen die Pressefreiheit. "Wie tief sind wir gesunken?", fragte er.

Unabhängiger, seriöser Journalismus, wie ihn Assange betrieben hat, ist eine ernsthafte Bedrohung für die Hegemonie des Westens, der seit jeher die Kontrolle über die Informationen hat. Wenn die Verbrechen der Mächtigen aufgedeckt werden, bleibt daher nichts anderes übrig, als zu Doppelmoral und Heuchelei zu greifen.

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Milagros Pichardo

Granma Internacional, August 2022