Interview mit Fidel Castro nach der Vollstreckung der Todesstrafen auf Kuba.
Anfang Mai gab der kubanische Präsident Fidel Castro dem argentinischen Journalisten Miguel Bonasso von der Zeitschrift Página/12 ein Interview. Es war das erste Interview nach den Flugzeugentführungen und den harten Urteilen in Kuba. Wir dokumentieren Auszüge aus dem über zehnstündigen Gespräch.
Página/12: Sicher haben Sie gewusst, dass es eine allgemeine Ablehnung der drei Erschießungen geben würde.
Fidel Castro: Ja, das haben wir genau so eingeschätzt. Es handelt sich dabei um etwas zu Ernstes, um leichtfertige Entscheidungen zu treffen. Tatsächlich gab es ein Moratorium, die Todesstrafe nicht mehr auszuführen, das bereits drei Jahre dauerte. Es war für die Mitglieder des Staatsrates sehr schmerzhaft, dieses Moratorium beenden zu müssen. Das macht man nicht, wenn nicht aus absolut gerechtfertigten Gründen, denn wir kannten den Preis dieser Maßnahme.
Heute - und ich spreche denen, die sich gegen die Todesstrafe aussprechen, nicht die Berechtigung ab -, steigt die Zahl derjenigen immer weiter an, die diese Strafe ablehnen. Das freut mich wirklich, denn wir teilen aus tiefer Überzeugung die Ablehnung der Todesstrafe.
Página/12: Was waren also die Gründe?
Fidel Castro: Ich kann dir die Antwort in drei Worten zusammenfassen: Es war eine Frage von Leben oder Tod. Die terroristische Mafia in Miami hat sich zusammen mit der extremen Rechten in den Vereinigten Staaten zum Ziel gesetzt - und dieses Ziel besteht fort - eine schwere Krise herbeizuführen, die zu einer bewaffneten Konfrontation zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba führen könnte.
Wozu braucht man Rüstungsausgaben von 400 Milliarden Dollar im Jahr?
Wir haben in diesen Tagen gelesen, dass Kevin Whitaker, Chef des Kuba-Büros des State Departments, Havanna gewarnt habe, dass die Entführung von kubanischen Flugzeugen und Schiffen eine "Bedrohung für die Sicherheit der Vereinigten Staaten" darstellen würde. Der hinter der Hand entwickelte Plan sah vor, durch die Welle von Entführungen eine Migrationskrise auszulösen, die dann als Vorwand für eine Seeblockade hätte genutzt werden können, was unweigerlich zum Krieg geführt hätte.
Mit dem Ende des Kalten Krieges und als man glaubte, dass alle Welt nun ein bisschen weniger Geld für Waffen ausgeben würde, hat diese Supermacht innerhalb von zwei Jahren einen Rüstungswettlauf ohne Beispiel entfacht, während die gegnerische Supermacht aufhörte, eine solche zu sein. Wozu braucht man Rüstungsausgaben von 400 Milliarden Dollar im Jahr? Welches Ziel können diese gigantischen Ausgaben für Waffen haben? Es gibt nur eine Antwort: Die klare Absicht, die Welt mit Gewalt zu beherrschen.
Es gibt deutliche Unterschiede zu den Tagen der Schweinebucht. Heute hat die Regierung dieser Supermacht, die Kuba zynischerweise zu den Staaten zählt, die den Terrorismus fördern, die Hitlersche Doktrin der überraschenden Präventivangriffe gegen 60 oder mehr Länder übernommen, und niemand weiß, was die Formulierung "oder mehr" bedeutet, eine Unbekannte, die sogar Staaten Europas einschließen könnte. Man muss sich daran erinnern, dass sie kürzlich Holland mit einer Invasion drohten, falls dort irgendein Nordamerikaner vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Kriegsverbrechen verurteilt werden, sollte.
Dem kann man hinzufügen, dass der Präsident Bush in seiner Rede aus Anlass des 200. Jahrestages der Schaffung der Militärakademie West Point vor mehr als 850 Offizieren, die gerade ihren Abschluss gemacht hatten, erklärte, sie sollten bereit sein, in jedem dunklen Winkel des Planeten anzugreifen. Es ist zu hoffen, dass niemand die Gefahr auf die leichte Schulter nimmt, der sich ein Land wie Kuba gegenüber sieht, das während 44 Jahren gekämpft hat, ohne einen Millimeter nachzugeben, ohne dem Imperium ein einziges Zugeständnis zu machen und absolut entschlossen ist, auch keines zu machen.
Was kommt nach Afghanistan und Irak?
Diese Worte des Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten wurden bereits von zwei Kriegen begleitet: Afghanistan und Irak. Der letztere, der ein Eroberungskrieg gegen die drittgrößte Erdölreserve der Welt war, konnte von der ganzen Welt auf Tausenden von Fernsehbildern verfolgt werden und die ganze Welt konnte die gnadenlose Bombardierung mitverfolgen, die Millionen von Kindern, Jugendlichen, Alten, erwachsenen Männern und Frauen ein lebenslanges Trauma verursachten. Man konnte auch die verstümmelten Leichen und Wunden von ich weiß nicht wie vielen Kindern sehen. Dieses Imperium sucht ständig nach Vorwänden, um mit dieser Aggressions- und Kriegspolitik an Schlüsselpunkten fortzufahren. Wir wissen sehr gut, dass sie nach Vorwänden suchen, damit unser Land einer Aggression wie der gegen den Irak unterworfen werden kann. Eine ihrer Hoffnungen ist es, eine Serie von Provokationen durchzuführen, ähnlich den bereits laufen-den. So zum Beispiel der Versuch, unter Ausnutzung gewöhnlicher Krimineller eine Welle von Entführungen von Schiffen und Verkehrsflugzeugen in Kuba zu entfesseln. Dieser Plan begann am gleichen Tag, an dem sie den Krieg begannen, ungefähr zwei Stunden vor dem Beginn der Militäraggression gegen den Irak. Er begann mit der Entführung eines Verkehrsflugzeuges, das auf der Strecke zwischen Nueva Gerona, Insel der Jugend und Havanna flog. Es wurde von sechs Verbrechern gekapert, die mit ähnlichen Messern aus-gerüstet waren wie die Entführer der nordamerikanischen Verkehrsflugzeuge, die gegen die Zwillingstürme rasten. Das kubanische Flugzeug wich mit 36 Personen an Bord von seiner Route ab und wurde gezwungen, in Cayo Hueso (Florida) zu landen. Dort wurden die Passagiere und Besatzungsmitglieder erschreckend schlecht behandelt, man gab mehreren Komplizen der Entführer Aufenthaltsrecht und sie unterwarfen die Entführer einem bloß formalen Verfahren, und wenige Tage später setzte ein eng mit der terroristischen Mafia verbundener Staatsanwalt die Entführer vorläufig auf freien Fuß. So etwas ist seit neun Jahren nicht vorgekommen, als das Migrationsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Kuba unterzeichnet wur-de, und es ereignete sich nur zwei Stunden vor Kriegsbeginn.
Serie von Entführungen musste unterbrochen werden
Die spätere Straflosigkeit sorgte dafür, dass gewöhnliche Kriminelle die Botschaft sofort verstanden und so am 30. März, also 11 Tage später, ein zweites Flugzeug entführten, diesmal mit 46 Passagieren an Bord. 24 Stunden später überfiel eine Gruppe von Verbrechern mit Vorstrafen ohne jeden politischen Charakter, wie die Entführer selbst aussagten, eine Fähre, die in der Bucht von Havanna mit 50 Personen an Bord verkehrte. Unter den Geiseln befanden sich Kinder und Ausländer, die Kuba besuchten. Sie drohten, Passagiere über Bord zu werfen, wenn ihnen kein Treibstoff oder ein anderes Schiff zur Verfügung gestellt werde. Da es die Norm verlangt, entführte Schiffe nicht aufzuhalten, um Unfälle zu vermeiden, entfernten sie sich. Die Passagierfähre fuhr auf das offene Meer hinaus, in Wellen der Stärke drei oder vier, sie hätte jeden Moment kentern können. Wie durch ein Wunder sank das Boot nicht. Aus dieser Tatsache und aus den gesammelten Informationen können wir einschätzen, dass die Welle von Entführungen von Schiffen und Flugzeugen bereits begonnen hatte. Ich kann hinzufügen, dass es nur 24 Stunden danach es einen weiteren Versuch gab, ein Verkehrsflugzeug mit Feuerwaffen und Messern zu entführen. Das konnte verhindert werden. Es war notwendig, diese geplante und bereits begonnene Welle radikal zu unterbrechen, um keinen Vorwand für einen Konflikt zu liefern.
Deshalb wurden drei der acht Verantwortlichen in einem Sammelverfahren auf der Grundlage der bestehenden Gesetze verurteilt und von den Gerichten mit der Höchststrafe belegt, ohne dass der Staatsrat von seinem Gnadenrecht Gebrauch machte, wie es ihm die Verfassung zugesteht. Es stellte sich die Frage zwischen der Tolerierung solcher Taten durch die Anwendung von einfachen Haftstrafen, die jeder Effizienz bei Personen dieses Schlages entbehren, die sich ja auch von ihren Vorstrafen nicht hatten einschüchtern lassen, und dem Schutz des Lebens von Millionen kubanischen Bürgern. Denn niemand darf sich täuschen, in diesem Land mit seinem hohen patriotischen und revolutionären Bewusstsein würde eine nordamerikanische Aggression den Verlust von Millionen von Menschenleben bedeuten, denn hier handelt es sich um ein Volk, das entschlossen ist, bis zu den letzten Konsequenzen zu kämpfen. Obwohl die Revolution während drei Jahren, wie ich bereits sagte, darauf verzichtet hatte, Strafen dieser Art anzuwenden, und das, obwohl Personen von den Gerichten aufgrund verabscheuungswürdiger Verbrechen zu solchen Stra-fen verurteilt wurden. Damit nicht genug haben wir erklärt, dass im Falle der Entführung von Schiffen und Flugzeugen sie niemals Treibstoff zur Fortsetzung der Reise bekommen werden und dass die Urheber Sammelverfahren vor Gericht unterworfen werden und der Staatsrat von seinem Gnadenrecht keinen Gebrauch machen wird.
Wir kannten den Preis für diese Maßnahme
Wir wissen sehr gut, dass dies seinen Preis hat, denn eine große Zahl von Freunden, darunter viele unserer besten Freunde, lehnen die Todesstrafe aus ganz verschiedenen Gründen ab, dazu können religiöse, humanistische oder philosophische Gründe gehören. Deshalb schmerzte uns die Notwendigkeit so sehr, eine Maßnahme anzuwenden, von der wir wussten, dass sie kein Gefallen finden würde. Aber wir hatten nicht das Recht zu zögern und wir werden im Rahmen der Gesetze nicht zögern, die Maßnahmen anzuwenden, die das Leben unserer Landsleute sichern, die über Jahrzehnte die Heldentat vollbracht haben, den kriminellen Blockaden und Aggressionen der mächtigsten Macht der Weltgeschichte, die nur 90 Meilen von uns entfernt ist, Widerstand zu leisten.
Übersetzung: Andre Scheer
(Dieses Interview wurde von der alternativen spanischen Nachrichtenagentur SERPAL verbreitet, Quelle in spanischer Sprache: RedGlobe)
Interview mit Fidel Castro
11. Mai 2003, Página/12