Ansprache von Fidel Castro Ruz, Präsident des Staatsrates und des Ministerrates der Republik Kuba, bei der Eröffnung der 105. Konferenz der Interparlamentarischen Union im Kongreßzentrum Palacio de las Convenciones.
Sehr geehrte Frau Präsidentin des Rates der Interparlamentarischen Union;
Herr Generalsekretär der Interparlamentarischen Union;
Herr Vertreter des Generalsekretärs der Vereinten Nationen;
Hochverehrte Parlamentsabgeordnete und Gäste:
Vor fast 20 Jahren, am 15. September 1981, fand in diesem selben Saal die 68. Konferenz der Interparlamentarischen Union statt. Seit damals sind viele Dinge geschehen, obgleich sich nichts verändert hat und die Situation hinsichtlich lebenswichtiger Fragen für die Menschheit eher noch schlimmer geworden ist.
Möglicherweise hatte damals niemand von Ihnen ein Handy dabei. Es gab zu jener Zeit kaum Handys, und in unserem Land existierten keine Vorrichtungen für deren Verwendung. Ebenso wenig konnten Sie über das Internet kommunizieren. Diese Großtat der Wissenschaft stand den Parlamentariern damals noch nicht zur Verfügung. Das Erdöl war teuer, aber das ist nichts Neues. Es hatten sich eine Reihe von Konflikten angehäuft. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es schlicht und einfach noch mehr Konflikte. Es existierten zwei Supermächte; heute gibt eine einzige, die mächtiger ist als die beiden zur damaligen Zeit zusammengenommen. Ich sehe viele junge Gesichter, und das ist wichtig. Ich hingegen spreche zu ihnen von diesem Platz aus mit 20 Jahren mehr auf dem Rücken. Ich bin möglicherweise gelassener, doch gleichzeitig radikaler, da ich die Welt, in der wir leben, und die Welt, die uns alle erwarten kann, besser kenne.
Bei dieser Eröffnungsveranstaltung wurde mir die Ehre zugewiesen, 20 Minuten zu sprechen, vielleicht wegen meinem – nicht immer gerechtfertigten – Ruf, lange Reden zu halten, aber das sollte kein Grund zur Furcht sein. Ich habe nicht vor, Sie zu Opfern einer solchen Folter zu machen. Mindestens die Hälfte der Redezeit werde ich nicht in Anspruch nehmen.
Vielleicht erlaubt man mir, mich in den kommenden Tagen zu Wort zu melden, dann nicht mehr als Präsident des Staatsrates – der gemäß den Normen dieser Institution mit freundlicher Höflichkeit behandelt wird -, sondern in meiner Eigenschaft als Regierungschef, der, wie man mir sagte, unterbrochen und Interpellationen und Anfragen unterworfen werden kann. Ich Armer! Aber dieses Abenteuer gefällt mir mehr. Auf diese Weise kann ich zu Ihnen mit völliger Freiheit und Offenheit über diejenigen Themen sprechen, die jeder von Ihnen bevorzugt.
An der vorhergehenden Konferenz nahmen US-amerikanische Parlamentarier teil, an dieser nicht, und sie bezahlen nicht (Beifall). Es sind zwei Jahrzehnte vergangen, wie ich bereits sagte, aber genauso wie diese angesehene Institution haben wir den schrecklichen Schlag der Sehnsucht angesichts der Abwesenheit unserer geliebten und benachbarten Kollegen aus dem Norden überlebt. Im Kongreß jenes mächtigen Landes gibt es ehrliche, intelligente und realistische Abgeordnete, doch unglücklicherweise stellen sie heutzutage eine offenkundige Minderheit dar. Unter Parodierung des historischen Satzes von Lincoln könnte man sagen, daß einige von ihnen für alle Zeiten dumm und alle für einige Zeit dumm sein können, doch alle können nicht für alle Zeiten dumm sein. Meiner Ansicht nach hätte das US-amerikanische Parlament wenigstens die Gelegenheit gehabt, sich über das zu informieren, was andere denken, indem es den Parlamentariern aus mehr als 120 Ländern zuhört, von denen ein Großteil aus unserer leidenden, armen und ausgeplünderten Dritten Welt stammt.
Wir alle tragen eine enorme Verantwortung und haben gewaltige Pflichten, wenn wir die Schlacht für das Überleben unserer Spezies gewinnen wollen, die heutzutage durch unvorstellbare globale Risiken bedroht ist. Erneut lauert am Horizont die Möglichkeit eines kalten Krieges und des Beginns eines verzweifelten Rüstungswettlaufs, da sich keine große Nation oder Nationengruppe, die über die erforderlichen wissenschaftlichen und technischen Mittel verfügt, damit abfindet, gegenüber einem furchterregenden, aggressiven und unersättlichen Feind unbewaffnet zu bleiben. Wir sind zu Zeugen der Geringschätzung und Arroganz geworden, mit denen die herrschende Supermacht Vereinbarungen und Verträge bricht, die nicht nur für den Frieden und die Sicherheit aller Völker der Welt lebenswichtig sind, sondern auch für die Hoffnung auf eine nachhaltige Entwicklung und die Bewahrung des ökologischen Gleichgewichts, für die Ressourcen und natürlichen Bedingungen, ohne die – wie wir alle wissen – das Leben auf unserem Planeten unmöglich wäre.
Ich drücke Ihnen im Namen unseres Volkes die aufrichtigste und tiefste Dankbarkeit für die Ehre aus, die die Wahl zum Veranstaltungsort der 105. Konferenz der Interparlamentarischen Union für unser Land bedeutet. Diese Konferenz fällt auf solch glückliche Weise als Symbol der Hoffnung mit dem Beginn eines neuen Jahrhunderts und eines neuen Jahrtausends zusammen.
Mit unserer Gastfreundschaft und uneingeschränkten Zusammenarbeit werden wir das Mögliche und Unmögliche tun, um diesem Vertrauen gerecht zu werden.
Vielen Dank.
(Ovation)
Fidel Castro Ruz
1. April 2001, Havanna
Quelle: Soldado de las Ideas