Retten wir Elián!

Editorial in der Zeitung »Trabajadores« des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz, 20.12.1999

Die Offene Tribüne in nächster Nähe der Interessenvertretung der Vereinigten Staaten nimmt diesen Montag um 17.00 Uhr ihre orientierende und mobilisierende Aktivität wieder auf.

Das Schicksal Eliáns ist ungewiß.

Die zahlreichen Anwärter auf Präsidentschaftskandidatur beider Parteien der Vereinigten Staaten haben sich fast ausnahmslos gegen die Rückführung des Kindes nach Kuba ausgesprochen; in demagogischer Art oder in extravaganter und keinesfalls seriöser Ausdrucksweise äußerten sie sich für hinauszögernde und sogar perfide Lösungen.

Die Extremisten- und Terroristenmafia Südfloridas, unterstützt von den US-amerikanischen Rechtsradikalen, droht - neben den angezeigten Einsprüchen in der Art von Winkeladvokaten -, eine Entscheidung der Regierung mit Gewalthandlungen gegen die Rückführung des Kindes zu seinen rechtmäßigen Angehörigen und in seine Heimat zu beantworten. Sie versichern, daß sie um das Haus der entfernten Verwandten, in dem der Junge widerrechtlich festgehalten wird, eine Sperrkette aus heimatlosen Söldnern bilden werden, um das Vorgehen der Bundesbeamten für den Fall zu verhindern, daß die Regierung jenes Landes die menschlich gerechte und rechtlich unwiderlegbare Entscheidung zugunsten seiner Rückkehr nach Kuba trifft. Da sie an faschistische Methoden, an Erpressung und an Straflosigkeit gewöhnt sind aufgrund der Schwäche und Toleranz der US-Regierenden, deren Instrument und Komplizen sie stets waren, ist ihnen alles zuzutrauen, um die genannte Rückkehr zu verhindern.

Im Augenblick wird niemand in der Lage sein zu behaupten, wann und wie der Junge zurückkehren wird. Im Hinblick auf diesen Punkt herrscht in den Vereinigten Staaten Verwirrung und Chaos.

Am 12. Dezember wurde die letzte diplomatische Note der kubanischen Regierung an das State Departement gerichtet, in der die Dringlichkeit einer schnellen Beantwortung nahegelegt wird, und zwar aufgrund der riesigen Qualen, denen sowohl das Kind als auch die Angehörigen ausgesetzt sind, sowie wegen der für seine Geistesgesundheit entstehenden Folgen. Bereits acht Tage sind vergangen, und noch ist keine einzige Antwort eingetroffen.

Am Montag, den 13. Dezember, trafen sich um 7:00 Uhr zwei US-amerikanische Staatsbeamte, darunter eine Vertreterin des Amtes für Naturalisierung und Immigration der Vereinigten Staaten, mit dem Vater Eliáns und den vertrautesten und nächsten Verwandten des Kindes. Dieses wurde als unerläßliche Bedingung, als faktisch letzte Formalität für eine gerechte, schnelle und ehrenhafte Lösung des Problems betrachtet. In der Wohnung der Familie in Cárdenas übergab der Vater den US-Staatsbeamten 17 von den zuständigen Behörden bestätigte Dokumente, die unwiderlegbar seine Vaterschaft und infolgedessen die elterliche Sorge von Juan Miguel González Quintana beweisen, dessen Betreuung und Verhalten seinem Sohn Elián gegenüber beispielhaft und untadelig waren. Selbige Immigrationsbehörde hatte den Jungen einem entfernten Verwandten übergeben, der seit 15 Jahren in den Vereinigten Staaten ansässig ist, also seit neun Jahren noch vor der Geburt Eliáns, den er unter Umständen nur einmal in seinem Leben gesehen hatte, ohne daß ihm irgendein den entfernten Verwandtschaftsgrad bestätigendes Dokument abgefordert wurde. Seitdem sind jedoch sieben Tage vergangen, und der Vater hat nicht das geringste Zeichen im Hinblick auf die Anerkennung seiner Rechte erhalten.

Zu all dem kommt die bewegende und äußerst beeindruckende Podiumsdiskussion vom vergangenen Donnerstag mit hervorragenden Wissenschaftlern und Experten in Fragen der Pädagogik, der Psychologie und der Kinderpsychiatrie, die unter den renommiertesten und erfahrensten des Landes ausgewählt worden waren. Hier wurde an Hand solider wissenschaftlicher Begründungen verdeutlicht und vor dem ganzen Land bewiesen, daß der Junge in weniger als 48 Stunden einschneidende und fortgesetzte Traumen erleben mußte und daß ihm dazu noch sein Milieu, seine Schule, seine Freunde, seine Lehrerin, sein Vater und die ihm liebsten Menschen entzogen wurden, die er am dringendsten für seine Gesundung braucht. Unsere Wissenschaftler und Experten bewiesen mit aller Deutlichkeit die quälende Dringlichkeit seiner Rückkehr nach Kuba.

Bilder von widerlichem Zynismus und Demoralisierung jener, die sich in Mittäterschaft mit einer Clique perverser und skrupelloser Ruchloser für die Entführung des Kindes hergaben, erzeugten in unserem Volk tiefen Zorn und Widerwillen. Die groteske Szene, in der eine reißende Wölfin in Frauenkleidern diesen unschuldigen Jungen fast mit Gewalt in das Sternenbanner wickelt - so ganz anders als die Fahne, die er bis vor einigen Tagen bei jedem Morgenappell in seiner Schule ehrfurchtsvoll grüßte -, wird in die Geschichte als eine der infamsten, abscheulichsten und beleidigendsten Taten eingehen, die unser Volk je gesehen hat. Nicht hundert Bücher des Politunterrichts könnten die Niederträchtigkeit und Dekadenz des "unruhigen und brutalen Imperiums, das uns verachtet" besser darstellen. Dieses Bild muß um die Welt gehen. Die Heuchelei, die plumpe und unglaubliche Prahlerei mit prunkhaften Geschenken, mit denen sie um jeden Preis die Seele eines sechsjährigen Kindes zu kaufen trachten, vermittelt eine Vorstellung dessen, was eine entfremdete Gesellschaft und Welt ist, die sie diesem kubanischen Jungen mit Willkür und Gewalt aufzwingen wollen.

Jetzt muß nicht nur die Identität des Kindes und das Recht des Vaters auf elterliche Sorge gewahrt werden, das niemand in der Welt in Frage stellt, sondern es ist dringend geboten, seine seelische und geistige Gesundheit zu retten, bevor der Schaden nicht mehr wiedergutzumachen ist.

Unser Volk wird das widerliche und ungeheure Verbrechen, das vor den bestürzten Augen der Welt an diesem Kind begangen wird, nicht zulassen.

Das, was heute beginnt, ist die zweite Phase der Schlacht der breiten Massen, die wir seit Sonntag, den 5. Dezember kämpfen. Es war und ist eine Schlacht der Ideen, der nationalen öffentlichen Meinung und der Weltöffentlichkeit, der gesetzlichen, ethischen und menschlichen Prinzipien zwischen Kuba und dem Imperium; eine Schlacht, die in unserer Heimat in einer der größten und kämpferischsten Mobilmachungen, die es in unserer Geschichte je gegeben hat, Unterstützung findet.

Die Revolution hat den Pionieren der Grund- und Mittelschulen, den Oberschülern und Studenten und den jungen Produktionsarbeitern und Geistesschaffenden des Landes die Aufgabe übertragen, die Frontlinien dieser großen Schlacht einzunehmen, die wir mit dem einmütigen Beistand des ganzen Volkes liefern.

Diese neue Etappe des Kampfes kann länger dauern. Sie erfordert mehr denn je beste Organisation und strengste Disziplin, einen klugen und gleichzeitig flexiblen Plan, Kreativität und Anpassungsfähigkeit an sich ständig ändernde Situationen, Geistesgegenwart, Ausgeglichenheit und Selbstbeherrschung.

Wir stehen vor einem mächtigen, hartnäckigen und arroganten Gegner. Das größte Risiko dabei ist, daß der logische Kampfgeist, der Geist der menschlichen Solidarität und des gerechten Zorns die Prinzipien von Disziplin und Organisation durchbricht.

Unter diesen Umständen darf sich keiner ohne den entsprechenden Aufruf durch die Organisatoren an einem Marsch, einer Kundgebung oder Aktivität beteiligen. Es ist absolut nicht zweckmäßig, daß bei einer Aktivität, für die man mit 10.000, 50.000 oder 100.000 Teilenehmern rechnet, 20.000, 100.000 oder 200.000 erscheinen, das heißt, das Zwei- oder Dreifache der dazu in jedem Bereich oder Sektor Aufgerufenen. Am Marsch des Kämpfenden Volkes sollten sich 300.000 Personen beteiligen; und dann waren es mehr als eine halbe Million, die über sämtliche Zugänge kamen. Darunter kann die Organisation unserer Aktivitäten leiden, und es können unsere Kräfte und Energien vergeudet werden, die in der Tat ungeheuer stark sind. Wir dürfen uns nicht verausgaben. Diese Kräfte und diese Energie müssen gespart, ständig erneuert und, wenn es sich erforderlich macht, in ihrer Gesamtheit geordnet eingesetzt und sofort wieder aufgefrischt werden, sollten wir uns dazu gezwungen sehen.

Auch wenn wir Tausende, Zehntausende, Hunderttausende, ja selbst Millionen mobilisieren, wie es an den Tagen des 9. und 10. Dezember geschah, als von Donnerstagnachmittag bis Freitagnachmittag fast drei Millionen Menschen mobilgemacht wurden - was noch weit von unserem wirklichen Potential entfernt ist, denn am Tag der Großkundgebungen der Provinzhauptstädte hat die Stadt Havanna zwecks Zurückstellung von Kräften korrekterweise nur knapp zehn Prozent ihres Potentials gestellt -, so müssen auch um jeden Preis die Produktion und Dienstleistungen zielstrebiger und verantwortungsbewußter denn je aufrechterhalten werden.

Unsere Aktion muß von besserer Qualität geprägt sein: überzeugend und einleuchtend für die Weltöffentlichkeit; überraschend, verblüffend, gelegen und beweiskräftig für jene, die - wenn auch minderheitlich, so doch mächtig - sich in der US-amerikanischen Gesellschaft der Rückführung Eliáns widersetzen.

Wir sind ein Volk mir hoher politischer Kultur, Geschlossenheit, Zusammenhalt, Organisiertheit. Wir alle, von den Pionieren bis hin zu den Kampfveteranen der vierzigjährigen Revolution, sind Mitglied einer oder mehrerer Organisationen. Wir alle besitzen eine mehr oder weniger intensive Kampfausbildung. In uns allen lebt die revolutionäre Kraft, der Patriotismus und die edlen Ziele, die uns verbrüdern und eng verbünden. Wir alle besitzen das Privileg, eine geschlossene Nation zu sein. Wir können und müssen als eine immense und unbesiegbare Armee vorgehen.

Deshalb, Landsleute, ist es so, daß die Revolution, die in der über vierzigjährigen siegreichen Auseinandersetzung mit der stärksten Macht, die es je gegeben hat, umfassende Erfahrungen gesammelt hat, uns nicht einfach nur zur Disziplin anhält; nein, sie verlangt sie von uns.

Wir bitten die Studenten und kubanischen Jugendlichen, denen die Riesenehre zuteil wurde, einen Platz an vorderster Front einzunehmen und die vom ersten Augenblick an so großartig gehandelt haben, dem ganzen Volk ein Beispiel an bewußter und revolutionärer Disziplin in diesem entscheidenden und heldenhaften Kampf zu sein; einer Disziplin, die die Revolution von jedem Bürger zur Rettung Eliáns fordert, eines Kindes, eines kleinen Pioniers, eines Enkels, eines Sohnes ganz Kubas; und in seiner Person zur Rettung der Milliarden Kinder der Welt, die der Unterrichtung, der Ernährung, gesunder Lebensverhältnisse, der Rettung und der Würde bedürfen. Der an einer stupiden, abstoßenden und abscheulichen Ungerechtigkeit festhaltende Feind wird unserer Moral, unserem Recht und unserer unaufhaltsamen Kraft im Kampf um diese gerechte Forderung nicht standhalten können und keine andere Alternative haben als die einer schnellstmöglichen Herausgabe Eliáns.

Fidel Castro Ruz
20. Dezember 1999, »Trabajadores«