Über Carlota und andere „Sklavinnen“
Kubanische Truppen in Angola
Von Wolfgang Mix
Am 5. November diesen Jahres jährt sich zum 50. Mal die Entscheidung der kubanischen Regierung, Truppen nach Angola zu schicken. Im Zuge der Entkolonisierung war die marxistisch orientierte Befreiungsbewegung MPLA (Volksbewegung für die Befreiung Angolas) unter Druck geraten, als von Norden Truppen und Söldner aus Zaire einmarschierten. Das größere Problem war die Invasion von Verbänden des rassistischen südafrikanischen Apartheid-Regimes, welche in den Süden des Landes einfielen. Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser Zangenangriff im Konsens mit dem westlichen Imperialismus erfolgte, dem eine sozialistische Ausrichtung des Landes nach der Unabhängigkeit nicht passte und der die dort vorhandenen Rohstoffvorkommen für sich beanspruchte. Die MPLA bat Kuba um Hilfe.
Die kleine sozialistische Inselrepublik ließ sich damit auf einen militärischen Konflikt ein, der in der Menschheitsgeschichte ohne Beispiel ist – 10.000 km vom eigenen Boden entfernt und über eine Dauer von fast 15 Jahren. Alle nach Angola geschickten militärischen und zivilen Helfer waren Freiwillige. An Menschen, die mit einer internationalistischen Haltung zu solchen Einsätzen bereit sind, mangelt es in Kuba nicht. Die langen Kämpfe um die eigene Unabhängigkeit und das Bewusstsein, in einer Gesellschaft angekommen zu sein, wo der Anspruch im Raum steht, dass der Mensch nicht mehr der Wolf des Menschen sein soll, haben das Denken der Kubanerinnen und Kubaner geprägt. Insgesamt etwa 40.0000 von ihnen gingen in den anderthalb Jahrzehnten nach Afrika, um uneigennützig zu helfen. Und nur auf dieser Basis war es möglich, einen solchen Einsatz mit Erfolg durchzuführen.
Siegreiche kubanische Soldaten nach der Schlacht von Cangamba in Angola, die vom 2. bis 10. August 1983 ausgetragen wurde Foto: Cubaminrex
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Erste kubanische Spezialtruppen wurden in Nacht- und Nebelaktionen auf Frachtschiffen und altersschwachen Passagiermaschinen transportiert und kamen gerade noch rechtzeitig, um die Bedrohung für die Hauptstadt Luanda aus dem Norden zu zerschlagen. Nach vier Monaten – nach und nach auf über 35.000 Kämpfer verstärkt – hatten sie auch die Truppen Südafrikas, der stärksten Militärmacht des Kontinents, über die südliche Grenze zurückgedrängt.
„La Negra Carlota“ war der Name einer aus Afrika nach Kuba verschleppten Frau, die an einem anderen 5. November, im Jahre 1843, auf einer Zuckerplantage nahe der Stadt Matanzas einen Sklavenaufstand initiierte und anführte, der von der spanischen Kolonialmacht niedergeschlagen wurde. Carlota wurde hingerichtet. Intensive Forschungsarbeit erbrachte keine dokumentierten Erkenntnisse über ihre Person, doch sie wurde zu einem Mythos. Mit sicherem Gespür für Tradition, Geschichte und Zielsetzung gab die kubanische Regierung ihr zu Ehren dem Eingreifen in Angola den Namen „Operation Carlota“.
Die Bedrohung durch Südafrika blieb jedoch bestehen. Doch Kuba war bereit, so lange wie nötig zu bleiben. Bis ins Jahr 1988, als das Land nach fortgesetzten Provokationen der Südafrikaner alles auf eine Karte setzte, die Zahl seiner
Freiwilligen auf 55.000 erhöhte und seine besten Waffensysteme und Kampfflugzeuge nach Angola schaffte (wodurch die eigene Landesverteidigung vorübergehend geschwächt wurde). Doch Fidel Castro war niemand, der eine Sache nicht zu Ende brachte oder eine Niederlage akzeptiert hätte. Die Südafrikaner hatten ihre Möglichkeiten überreizt. Im eigenen Land hatten sie gegen den Aufstand der schwarzen Bevölkerung zu kämpfen und in Angola wurde die Überlegenheit der Kubaner erdrückend. Ende jenes Jahres kam es zu einem internationalen Friedensabkommen, das den Rückzug Kubas und der Südafrikaner beinhaltete und gleichzeitig freie und überwachte Wahlen für das von Südafrika okkupierte Namibia vorsah. Das Land wurde 1990 von einer Linksregierung übernommen. Die abscheuliche Rassentrennungspolitik der Apartheid war am Ende und leitete ihren eigenen Abgang ein. Kubas Anteil daran wird in ganz Afrika anerkannt und gewürdigt.
Frauen haben in Kuba in vielen Befreiungskämpfen eine wichtige Rolle gespielt. In Angola kämpften Frauen auch in den vordersten Reihen, wenngleich in geringer Zahl. Doch als nach der ersten Konsolidierung der Unabhängigkeit ein ziviles Aufbauprogramm begonnen wurde, strömten sie vor allem als Ärztinnen und Lehrerinnen ins Land. Der USAmerikaner Piero Gleijeses hat einen großen Teil seiner beruflichen Karriere als Historiker damit verbracht, das kubanische Engagement in Afrika zu erforschen und zu dokumentieren. Er arbeitete auch in Kuba und führte zahllose Interwiews mit Beteiligten. So mit der resoluten Krankenschwester Serena Torres, welche die Verteilung der von Kuba nach Angola gesendeten Medikamente organisieren sollte. Ständig verschwanden Teile dieser Lieferungen und wurden auf dem Schwarzmarkt verhökert. „Mit eiserner Faust“, schreibt Gleijeses, sowie der Rückendeckung des angolanischen Gesundheitsministeriums und der kubanischen Botschaft, begann sie als Leiterin einer Arbeitsgruppe, den Sumpf, den sie antraf, trocken zu legen. Die Medikamente wurden in Luanda in ein Gebäude verlagert, das der Kontrolle kubanischer Truppen unterstand. Ähnliche Zentren entstanden in den Provinzstädten. Als Leitungsteam wurden jeweils eine kubanische und eine angolanische Person ernannt. Sie wollte vermeiden, dass die Angolaner das Gefühl gehabt hätten, man misstraue ihnen. „Doch die Kubaner wussten, dass sie es waren, die die Verantwortung trugen“, so Torres. Der Weitertransport der Medikamente in die Provinzen und an ihre Verwendungsorte erfolgte fast nur noch in Zusammenhang mit militärischen Konvois. Bevor sie nach zwei Jahren nach Kuba zurückkehrte, funktionierte das System reibungslos. „Serena hat in kurzer Zeit erreicht, was einem Wunder gleichkommt“, berichtete der kubanische Botschafter nach Havanna.
Die Kinderärztin Lourdes Franco Codinach war praktizierende Katholikin und gehörte der KP nicht an, als sie 1986 gefragt wurde, ob sie an einem Einsatz in Angola Interesse habe (Angehörige von Glaubensgemeinschaften wurden erst ab den 1990er Jahren in die Partei aufgenommen). Sie war 32 Jahre alt, geschieden, lebte bei ihrer Mutter und ihr Sohn war vier Jahre alt. „Doch ich wollte gehen, eine andere Welt kennenlernen und dort helfen, wo ich am meisten gebraucht wurde.“ In Angola kamen sie und ihre Mitstreiter direkt in ein Militärlager. „Wir erhielten zwei Wochen intensives Militärtraining. Es war hart. Acht bis zehn Stunden pro Tag, manchmal länger, Männer wie Frauen. Wir sahen uns an und sagten uns ‚Ich halte das nicht mehr aus‘.“ Nach Abschluss der Ausbildung erhielten sie ein Gewehr und eine Uniform (Zu dieser Zeit hatte die UNITA, eine Untergrundgruppe, die mit Südafrika zusammenarbeitete und vom Westen finanziert wurde, kubanische Zivilkräfte CUBA als Ziel für Terroranschläge auserkoren). Lourdes wurde der kubanischen medizinischen Brigade in der Küstenstadt Benguela zugewiesen. Die Brigade bestand aus 82 Personen, darunter 16 Ärzte. Frauen waren in allen Berufsgruppen fast gleich stark vertreten. Sie bestritten nahezu die gesamte medizinische Versorgung für die 350.000 Einwohner der Stadt. Es gab außer ihnen nur noch fünf russische Ärzte und einige angolanische Krankenschwestern.
Ihr reguläres Gehalt wurde der Familie in Kuba ausgezahlt und sie selbst erhielten monatlich 6000 Kwanzas (die lokale Währung), um ihre Verpflegung zu kaufen und für persönliche Ausgaben. Das reichlich vorhandene Essen kostete knapp die Hälfte dieser Summe. Aus Sicherheitsgründen sollten sie ihre Unterkunft nach 19 Uhr nicht mehr verlassen, „...doch diese Regeln wurden gebrochen,“ erinnerte sie sich. Oft wurden sie von befreundeten Angolanern zum Essen eingeladen, wo sie sich bis gegen 21 Uhr aufhielten, danach begann die offizielle Sperrstunde. Es gab auch Gruppenaktivitäten wie Strandausflüge oder gesellige Abende. Doch es war ein reglementiertes Leben, ein Gruppenleben. „Zwei Jahre waren wir den ganzen Tag zusammen, wir teilten alles und lachten miteinander. Wenn wir erkrankten, wenn wir lachten, wenn unsere Laune schlecht war, wir mussten miteinander klarkommen.“ Doch es gab auch Freiräume. So besuchte Lourdes mit einigen weiteren Hilfskräften regelmäßig am Sonntagmorgen eine katholische Messe in der Stadt.
In den Briefen an ihre Mutter wird die Sehnsucht nach ihrer Familie deutlich. Wenn einmal pro Woche die Post aus Kuba geliefert wurde, war das „ein Tag der Freude und der Tränen.“ Kurz vor Ende ihrer Mission erhielt sie in einer einfachen Zeremonie im Beisein ihrer angolanischen und kubanischen Kollegen eine Auszeichnung. Sie schrieb nach Hause: „Das war ein großer Tag, voller Emotionen und einer Wahrheit, die ich nie vergessen werde. Diese Medaille steht für den glücklichen Abschluss einer Zeit, in der ich meine Arbeitskraft diesen Menschen anbot, die sie so sehr benötigen. Trotz aller schlimmen Momente, mit denen wir konfrontiert waren, den Schwierigkeiten und dem Elend, ich komme mit einem Gefühl von Stolz zurück.“
Heute arbeiten Zehntausende kubanischer Ärzte und anderes medizinisches Personal in über 40 Ländern, doch nicht unter Kriegsbedingungen wie in Angola. Der gastgebende Staat verpflichtet sich, für Sicherheit und akzeptable Arbeitsbedingungen zu sorgen. Doch der Geist und die Moral der ausschließlich Freiwilligen sind unverändert. Sie gehen auch in abgelegendste Gebiete, wo sie oft auf Menschen treffen, die noch nie in ihrem Leben mit einem Arzt sprechen konnten. Diese Solidarität zeigt den Menschen ein anderes Kuba als das, welches in irgendwelchen Medien verbreitet wird. Deshalb ist diese Hilfe denjenigen, die Kuba und die Ideen des Sozialismus verleumden wollen, ein Ärgernis. Irgendwelche völlig abgedrehten und verkommenen Hetzer betreiben seit einiger Zeit eine Kampagne, die kubanischen Hilfskräfte als „Sklavinnen“ und „Sklaven“ hinzustellen: Diese würden gezwungen, ins Ausland zu gehen, und angeblich nicht bezahlt, nur der kubanische Kommunismus profitiere von ihrem Einsatz. Jetzt entblödet sich die USRegierung nicht, Staaten, die weiter die dringend benötigte Hilfe Kubas in Anspruch nehmen, wegen „Sklavenhandels“ Sanktionen anzudrohen.
Fakt ist: Es gibt im Gegensatz zu dem, was die neoliberale Heilslehre verbreitet, ein breites Spektrum von Gründen, die Menschen zu ihrem Handeln motivieren, nicht nur das Geld und der Profit. Das übersteigt heute bereits den Horizont von vielen und darauf setzt diese Kampagne.
Die Hilfskräfte aus Kuba erhalten während ihres Einsatzes ihr kubanisches Gehalt weiter und zusätzlich eine monatliche Summe Geld in ihrem Gastland, mit dem sie ihre Ausgaben bestreiten können. Ihr Arbeitsplatz in Kuba bleibt für die Zeit nach ihrer Rückkehr erhalten. Es stimmt, dass Länder, die wirtschaftlich besser dastehen als Kuba, für diese Dienste an den kubanischen Staat bezahlen. Doch diese Gelder fließen in die Organisation dieser Missionen sowie in das Gesundheitswesen und die medizinische Forschung. Noch leben wir leider in einer Welt, in der insgesamt ohne Geld wenig geht. Es handelt sich dabei also ganz und gar nicht um ein geniales „Geschäftsmodell“, um demnächst aus den Einnahmen Touristen zum Mars zu schießen oder den Planeten erobern und besiedeln zu wollen.