Unabhängigkeit und Gerechtigkeit
Lateinamerikakonferenz in London würdigt den Geist
des Antiimperialismus und der Selbstbestimmung
José Martí, Schrifsteller, Kämpfer für die Selbsbestimmung Kubas und
Nationalheld, fiel vor 130 Jahren – am 19. Mai 1895 – im Unabhängigkeitskrieg
gegen Spanien Foto: Radio Habana Cuba
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Aleida Guevara, die Tochter von
Che, singt in einem voll besetzten
Saal die Internationale. Diplomaten
aus Kuba, Venezuela und Kolumbien
beurteilen die Auswirkungen
von Trumps Handelskriegen
und Massenabschiebungen auf Lateinamerika.
In Arbeitssitzungen
wird die Rolle des Kontinents in der
Befreiung der Schwarzen, der neue
Kalte Krieg und der Aufstieg des
globalen Südens untersucht.
Die jährliche Adelante!-Konferenz,
die am Wochenende im Hamilton
House– Hauptquartier der
National Education Union – stattfand,
war inspirierend und intellektuell
anregend wie eh und je und
größer als jemals zuvor– das Publikum
füllte die zusätzlichen Räume
sowie den großen Mander-Saal für
die Plenarsitzungen.
Adelante! findet jetzt schon im
20. Jahr statt und ist die größte
Konferenz ihrer Art in Europa. Sie
wurde durch die enge Zusammenarbeit
zwischen Kampagnen in Solidarität
mit lateinamerikanischen
Revolutionen wie Kuba, Venezuela
und Nicaragua aufgebaut und bietet
Botschaftern, politischen Aktivisten
und Akademikern aus der
ganzen Welt eine Plattform, was sie
einzigartig informativ macht.
Der Wechsel zwischen Kundgebungen
und Seminaren bietet den
Teilnehmern eine beeindruckende
Auswahl an Sitzungen. Sie bieten
tiefe Einblicke in die politischen
Dilemmata bestimmter Länder (am
Samstag waren Brasilien, Kolumbien,
Kuba, Mexiko, Nicaragua und
Venezuela dabei), in die Geschichte
der Solidarität und Entkolonialisierung
(wie der 50. Jahrestag der
militärischen Hilfe Kubas für Angola
im Widerstand gegen den Imperialismus,
die letztendlich maßgeblich
zum Ende des Apartheidregimes
in Südafrika beitrug) und in
allgemeinere Themen von der Rolle
des IWF auf dem Kontinent bis
zur Klimakrise. Wie üblich bestand
das einzige Problem darin, sich entscheiden
zu müssen.
Verständlicherweise hing der
Schatten von Donald Trump über
der Konferenz. Die ersten Schritte
des neuen US-Präsidenten zielten
auf seine Nachbarländer, nicht
zuletzt durch die, wie die kolumbianische
Generalkonsulin Irene
Velez Torres es ausdrückte, „größte
Abschiebung in der Geschichte
der Vereinigten Staaten“. In weniger
als drei Wochen wurden Tausende
Menschen nach Lateinamerika
zurückgeschickt. Mexiko hat
innerhalb von ein paar Wochen
über 4.000 Menschen aufgenommen,
gefolgt von Kolumbien und
Guatemala.
„Es waren die lateinamerikanischen
Länder, die sich für die Achtung
der Menschenrechte dieser
Migranten ausgesprochen haben.
Niemand sonst auf der Welt
scheint darauf zu achten ... abgesehen
von der Tatsache, dass es einige
Unregelmäßigkeiten beim Migrationsstatus
dieser Menschen in
den USA gibt.
„Sind Migranten Kriminelle?
Wie unser Präsident Gustavo Petro
gesagt hat, ist niemand illegal.“
Dr. Velez wies auf den Widerspruch
zwischen der migrantenfeindlichen
Politik der Trump-Regierung
hin, die wahrscheinlich im
gesamten Westen Nachahmer finden
wird, und ihrer Gleichgültigkeit
gegenüber der globalen Erwärmung
und dem ökologischen Zusammenbruch,
die in vielen Regionen
Flüchtlingsströme antreiben.
Redner, angefangen mit der ehemaligen
Generalsekretärin der
CND (Kampagne für nukleare Abrüstung,
CL), Kate Hudson, betonten
den Extremismus der Trump-
Agenda: „Abschaffung aller Tarifverhandlungen,
Abschaffung
von Politiken für Vielfalt, Gleichheit
und Inklusion, Abbau des Beschäftigungsschutzes,
Abbau der
Gesundheits- und Bildungsversorgung.“
Trumps Regierung, deren 13 Milliardäre
Regierungsposten übernehmen
werden, ist die reichste in
der Geschichte und diejenige, die
sich am oenkundigsten der Förderung
der Unternehmensinteressen
einer winzigen Handvoll grotesk
reicher Männer verschrieben hat.
Trump habe gezeigt, dass die USA
„mit dem liberalen Imperialismus,
seinem Geflecht aus Formalitäten
und Institutionen am Ende angelangt
sind und in eine neue Phase
eintreten“, argumentierte sie, die
sich jedoch als gefährlicher denn je
erweisen dürfte, wie seine oenen
Pläne für ethnische Säuberungen
in Gaza und seine Unterstützung
der Annexion des Westjordanlands
durch Israel zeigen.
Aber „so schrecklich diese Entwicklungen
auch sind, sie sind
nicht das Ergebnis von Stärke, sondern
des Niedergangs der USA und
des Imperialismus.“ Hudson sagte,
die Welt sei zweigeteilt: zwischen
Trump und der globalen extremen
Rechten und zwischen „Gaza und
der globalen Mehrheit, die es unterstützt.
Deshalb sind die Mobilisierungen
für Gaza so bemerkenswert:
Sie stehen für Menschlichkeit und
all unsere Freiheiten.“
Trumps unverhohlene Aggression
und seine oenen Forderungen
nach Territorien und Ressourcen
anderer Länder tragen dazu bei,
die Lüge zu entlarven, dass die USA
und ihre Verbündeten eine „regelbasierte
internationale Ordnung“
aufrechterhalten.
Der venezolanische Geschäftsträger
Felix Placencia (unsere Regierung
weigert sich, den Vertreter
des Landes als Botschafter zu
akkreditieren, weil sie die gewählte
Regierung Venezuelas nicht anerkennt
– aus demselben Grund
werden 31 Tonnen venezolanisches
Gold gegen den Willen des Landes
immer noch in der Bank of England
gehalten) sprach über den
Wirtschaftskrieg, den die USA,
die EU und Großbritannien gegen
sein Land führen, und betonte, wie
wichtig es sei, nicht die pseudojuristische
Sprache nachzuahmen,
mit der mächtige Staaten vorgeben,
ihre Einschüchterungsversuche
seien rechtmäßig.
Venezuela sei nicht Gegenstand
von Sanktionen, sondern einseitiger
wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen.
„Sanktionen werden von
den Vereinten Nationen oder ihrem
Sicherheitsrat verhängt. Nicht
von einzelnen Regierungen“, betonte
er und merkte an, dass Venezuelas
Einnahmen aus Ölexporten
– der Großteil seiner Auslandseinnahmen
– in den sechs Jahren
bis 2020 um 99 Prozent gesunken
seien, als Folge des Wirtschaftskriegs,
den Barack Obama 2014
ausrief, als er das Land als außerordentliche
Bedrohung für die Vereinigten
Staaten bezeichnete und
der seither von jeder Regierung
verschärft wurde.
Die kubanische Botschafterin Ismara
Vargas Walter rief zur Einheit
Lateinamerikas auf. „Wir versammeln
uns in einem Moment, in dem
unsere Region vor anhaltenden Herausforderungen
und beispiellosen
Chancen steht „, erklärte sie.
„Geschichte und aktuelle Ereignisse
verflechten sich und drängen
uns, über das Erbe externer Einmischung
nachzudenken und unser
Bekenntnis zu Souveränität, Gerechtigkeit
und Einheit zu bekräftigen.“
Lateinamerika habe gegen „mehr
als zwei Jahrhunderte des Unilateralismus“
um Unabhängigkeit gekämpft.
„Die Monroe-Doktrin gehört
nicht der Vergangenheit an“,
betonte sie und sagte, Kuba bedauere
„Aktionen, die unsere kollektive
Handlungsfähigkeit weiterhin
untergraben. Unsere Erfahrung
zeigt, dass selbst wenn externe
Kräfte versuchen, uns zu spalten
und zu schwächen, die Bande der
regionalen Solidarität überwiegen
können. Heute rufen wir alle Nationen
Lateinamerikas auf, eine Politik
abzulehnen, die engstirnige Interessen
über gemeinsame stellt.“
Trump Paroli zu bieten, ist eine
Mission, die die ganze Welt umfassen
muss, die Arbeiterklasse des
Westens ebenso wie einen globalen
Süden, dessen Aufstieg Honung
bietet, nicht nur die US-Weltherrschaft
zu beenden, sondern auch
fünf Jahrhunderte, in denen europäische
Imperien und nachfolgende
Siedlerstaaten die Mehrheit der
Menschen und Länder weltweit ausgeplündert
und verarmt haben.
Der Aufstieg der extremen Rechten
und die Hysterie gegen Einwanderer
sind Bedrohungen, denen
wir uns stellen müssen, wie Jeremy
Corbyn in der Abschlussrede
des Tages sagte, aber es gibt auch
überall Zeichen der Honung, von
der riesigen Bewegung der Solidarität
mit Palästina hier über die inspirierenden
Revolutionen in Lateinamerika
bis hin zu den zunehmend
selbstbewussten Herausforderungen
der westlichen Kontrolle
von Westafrika bis China.
Beim Widerstand geht es um
wirtschaftliche Unabhängigkeit
und Gerechtigkeit, aber auch um
die Behauptung von Völkern und
Kulturen, die sich nicht auslöschen
lassen wollen, wie die kubanische
Botschafterin erklärte. Passenderweise
sagte Aleida Guevara, die an
diesem Tag und in einer ereignisreichen
Woche mit Auftritten in
ganz Großbritannien auf mehreren
Sitzungen gesprochen hatte, bei der
Abschlussplenarsitzung, sie habe
bereits alles gesagt, was sie über Politik
sagen wollte: Stattdessen führte
sie uns durch ein Gedicht des kubanischen
Revolutionärs José Marti
– Yugo y Estrella, das Joch und
der Stern –, bevor sie die Internationale
zu singen begann. Nach ein
paar Takten stand der ganze Saal
mit erhobenen Fäusten und stimmte
mit ein.
Übersetzung: Marion Leonhardt
Nachdruck eines Artikel der britischen
Tageszeitung Morning Star
zur Lateinamerikakonferenz. Wir
danken der Zeitung und ihrem Chefredakteur
Ben Chacko.