Aus verschiedenen Gründen lassen
sich das sozialistische Kuba
und die DDR nicht gleichsetzen.
Leute, die sich dieser In-eins-Setzung
widmen, sind oftmals von
schlechten Intentionen bewegt.
Dass es dennoch gewinnbringend
ist, nach Analogien zu forschen,
beweist ein neu erschienenes Buch
unter dem Titel „Wo die Zukunft
zu Ende ging“, welches passend
zur Buchmesse in Havanna erschienen
ist. Geschrieben haben
es Dania Díaz Socarrás und Jorge
Enrique Jeréz Belisario. Letztgenannter
ist der CUBA LIBRE-Leserschaft
seit Jahren als Kolumnist
wohlbekannt.
Die Ausgangsfrage des Autorenpaars
lautet: Was würde aus uns,
wenn die Kubanische Revolution
von einem Tag auf den anderen zu
Ende ginge? Wie würde unser weiteres
Leben verlaufen? Die Antwort
auf diese Frage suchen die
beiden 30 und 31 Jahre alten Kubaner
im Gespräch mit 15 ehemaligen
DDR-Bürgerinnen und -Bürgern,
die sie im Sommer 2023 auf
einer Deutschlandreise interviewten.
Einige der Befragten waren
der sozialistischen DDR eng verbunden,
andere pflegten eine kritische
Haltung oder verstanden
sich sogar als Oppositionelle. Teilweise
verschlechterten sich ihre finanziellen
Lebensumstände mit
der sogenannten Wende, teilweise
war die materielle Lage sogar gehobener.
Und dennoch schildern
alle Befragten einen Bruch in der
Biografie und den Eindruck, einen
Verlust erlitten zu haben. Einige
sprechen gar davon, dass sie sich
seit der sogenannten Wende heimatlos
fühlen.
In ihrem Vorwort beschreiben
die Autoren, dass Kuba gegenwärtig
durch den Widerstreit geprägt
ist: Auf der einen Seite die eine kulturelle
Hegemonie, die sich auf die
Restauration eines abhängigen,
räuberischen und wilden Kapitalismus
stützt und auf der anderen
Seite der Sozialismus, welcher es
den Kubanern erlaubt, das wenige,
was sie haben, untereinander aufzuteilen.
Mit Blick auf die durchgeführten
Interviews heißt es weiter:
„Diese Geschichten haben uns
geholfen und sie werden Ihnen, liebe
Leser, helfen zu verstehen, dass
wir jeden Tag an der Unumkehrbarkeit
des in unserer Verfassung
verankerten Sozialismus weiterarbeiten
müssen. Wir müssen oen
darüber sprechen, wie wir zu diesem
kubanischen System gekommen
sind, warum wir dieser Idee
folgen, über die Fehler, die zu tödlichen
Wunden werden, um zu verstehen,
warum unser Sozialismus
nicht weich sein darf, nicht rosa–
oder mit Sozialdemokratie und Liberalismus
flirten kann. Das würde
uns teuer zu stehen kommen
und wäre der Anfang vom Ende.“
Und sie vergessen dabei nicht, darauf
hinzuweisen, dass die Folgen
einer Konterrevolution für Kuba
fatal wären, drohe der Karibikinsel
doch der Kapitalismus von Haiti,
Mittelamerika oder Afrika.
Der ehemalige kubanische Kulturminister
Abel Prieto fügt in
seinem Nachwort die Lebensgeschichten
der Befragten zusammen,
ordnet diese in den jeweiligen
biografischen Kontext ein
und kommt zu dem Schluss: „Auf
den Seiten von Wo die Zukunft zu
Ende ging finden wir mit didaktischer
Präzision sämtliche Fallen
oengelegt, in die viele Bürgerinnen
und Bürger getappt sind, wie
die Illusion, man könne die guten
Seiten der DDR mitnehmen und
sie mit denen der BRD zusammenbringen.“
Ähnliche Fallen, so Prieto,
seien seit einiger Zeit auch für
Kuba ausgelegt. Das Buch der beiden
jungen Journalisten sei ein
wichtiger Beitrag, um die Kubanerinnen
und Kubaner für diese Gefahr
wachsam zu machen, insbesondere
die Jugend.
Das Buch wurde beim Verlag
Ácana veröentlicht, der seinen
Sitz in der Stadt Camagüey im Osten
Kubas hat, aus der die beiden
Autoren stammen. In der oziellen
Buchvorstellung am 7. Februar
2025 in Camagüey warnte Abel
Prieto vor den aktuellen Versuchen,
die historische Erinnerung
auszulöschen und den Sozialismus
durch Diskurse über sein angebliches
Scheitern zu diskreditieren.
Er reflektierte über die aktuelle
Auswanderungswelle aus
Kuba und die Wahrnehmung einiger
Kubaner, die ihre Zukunft außerhalb
der Insel suchen, ohne dabei
die Rolle der Revolution bei der
Bewusstseinsbildung des kubanischen
Volkes aus den Augen zu verlieren.
Wie die Autorin Dania Díaz bei
dieser Gelegenheit betonte, soll
das Buch dem Leser keine ideologische
Deutung aufzwingen, sondern
vielmehr individuelle Lebensläufe
und subjektive Erfahrungen
abbilden, die es den Leserinnen
und Lesern ermöglichen,
die Auswirkungen politischer Umwälzungen
auf das tägliche Leben
zu verstehen.
Nach den Aussagen von Jorge
„Jorgito“ Jerez entstand die Idee
zu diesem Projekt in einem Gespräch
mit dem Journalisten und
Buchautor Volker Hermsdorf in
Hamburg. Die Übersetzung aus
dem Deutschen ins Spanische erfolgte
mit minimalen Eingriffen,
um die Authentizität der Geschichten
zu erhalten. In Kuba ist
geplant, das Projekt auf ein multimediales
Format auszuweiten, mit Audio, Video und einer digitalen
App, um ein breiteres Publikum zu
erreichen.
Das Buch „Wo die Zukunft zu
Ende ging“ stellt eine historische
Aufzeichnung der Geschehnisse in
der DDR dar, aber auch eine Warnung
und eine Einladung zur Diskussion
über die Zukunft des Sozialismus
in Kuba. Wie Abel Prieto
betonte, handelt es sich um
ein „notwendiges“ Buch mit dramatischer
Bedeutung für Kuba,
aber mit einer universellen Botschaft
für alle, die sich fragen, ob
es eine Zukunft jenseits des Kapitalismus
geben kann. Der ehemalige
Kulturminister Kubas nannte
das Buch einen, um mit José
Martí zu sprechen, „Schützengraben
aus Ideen“, der zu einem Ausgangspunkt
für eine Auseinandersetzung
mit dem Kuba von heute
werden könnte.
Zugleich stellt das Buchprojekt
aus der Perspektive der deutschen
Kuba-Solibewegung, mit deren
Hilfe die Interviewreise im Jahr
2023 zustande gekommen war, ein
gutes Beispiel dafür dar, wie politische
Solidarität in Kuba wirksam
werden kann.
Anm. der Redaktion: Tobias Kriele
hat die dem Buch zugrunde liegende
Deutschlandreise von Jorgito
und Dania organisiert und die Interviews
ins Spanische übersetzt.