AHS in der Casa

Von Ulli Fausten

Das Konzert der Liedermacher am 17. Oktober in der Casa de las Americas wurde von der AHS organisiert.
Foto: Juan Carlos Travieso/Instagram

Erinnern wir uns: Im vergangenen Jahr beging die wohl renommierteste Kultureinrichtung des Landes, die Casa de las Americas, ganzjährig ihr 65. Gründungsjubiläum. Das machte sich ein anderes Geburtstagskind, die Asociación Hermanos Saíz, zunutze, um dort die 38 Jahre ihrer Existenz mit einem Konzert zu feiern.
Bevor wir uns aber dieser Darbietung zuwenden, sind einige Erklärungen vonnöten, was es mit der Assoziation Gebrüder Saíz, in seinem spanischen Kürzel AHS, auf sich hat und zu allererst braucht es ein paar Informationen zu den namengebenden Brüdern selbst.
Luis Rodolfo und Sergio Enrique Saíz, waren – man ahnt es bereits – aktive Gegner der Batista-Diktatur. Beide starben am selben Tag, dem 13. August 1957 – Luis achtzehnjährig, Sergio ein Jahr jünger. Da befanden sich im Osten der Insel längst Fidel und Raúl, Che Guevara, Camilo Cienfuegos, Juan Almeda und eine ständig wachsende Anzahl von Freiwilligen im bewaffneten Widerstand gegen die Tyrannei. Der ältere der Saíz-Brüder war im ersten Jahr seines Jurastudiums an der Universität. Aber er schrieb auch Gedichte, Erzählungen sowie politische Artikel, die ihm die Anerkennung seiner Kommilitonen einbrachten. Luis starb an jenem Tag bei dem vergeblichen Versuch, seinen Bruder Sergio zu schützen, durch einen Schuss ins Herz. Heroismus und Märtyrertum, wie sie damals in Kuba vielleicht gar nicht so selten waren, aber selten in so jungen Jahren …
Die AHS ist eine „Organisation zu kulturellen und künstlerischen Zwecken, die auf selektive Weise und mit dem Kriterium der Freiwilligkeit die wichtigsten Autoren, Künstler und Intellektuellen ganz 5 Kubas aufnimmt, bis zum Alter von 35 Jahren (...) junge Menschen mit einer authentischen revolutionären Kultur, verbunden mit dem Leben des kubanischen Volkes.“
Ich habe das Wort jovenes aus dem Zitat mit „junge Menschen“ übersetzt. Es bedeutet auch „Jugendliche“. Selbst gestandene Männer wie die berühmten Cuban Five wurden anfangs hartnäckig als jovenes bezeichnet. Ich habe mich stets gesträubt, im Zusammenhang mit ihnen den Ausdruck zu übernehmen. Er kam mir immer ein bisschen albern vor.
„(...) Ziel ist es, künstlerische und literarische Kreationen unter ihren Mitgliedern zu stimulieren und Räume für theoretische Diskussion über die Teilhabe an der intellektuellen Avantgarde zu schaffen.“
Wow, das nenne ich Ansprüche haben. Der Begriff selektiv in der Satzung kann nur besagen, dass die nicht jeden nehmen. Wer an einer Mitgliedschaft in der AHS interessiert ist, bewirbt sich schriftlich bei ihrer jeweiligen Provinzdirektion unter Vorlage der künstlerisch-literarischen Vita und eines Beispiels seiner oder ihrer Arbeit. Dann entscheidet das Regelwerk der Organisation, die auch Stipendien vergibt, ob man als würdig erachtet oder für zu leicht befunden wird.
Die AHS hat sich, wie bereits angedeutet, auf das ganze Land ausgedehnt, wo sie in Form der Casas del Joven Creador, der Häuser der jungen Kreativen, in allen Provinzen Kubas zu finden ist. Sie ist vorwiegend bemüht, bis dahin nicht veröffentliche Autoren zu publizieren. Die im Wesentlichen auf kubanischem Territorium anberaumten Events, bei denen sich etwa die plastischen Künstler, Musiker, Poeten produzieren können, sind z. B. die Romerías de Mayo in Holguin und die Kunstmesse auf La Rampa, die jedes Jahr im Pabellón Cuba zelebriert wird, im Übrigen der Sitz der Organisation, mit einem reichhaltigen kulturellen Programm, das Konzerte, Präsentationen von Büchern und Musikalben, Ausstellungen plastischer Kunst, Verkauf von Kunstgewerblichem an die Besucher und vieles mehr umfasst. Erwähnt seien auch die „Tage des politischen Liedes“ in Guantanamo und das „Festival Longina“ in Villa Clara.
Was speziell den Bereich Musik angeht, wird auf Veranstaltungen eine Vielzahl von Genres vertreten: So gibt es etwa das Festival Caimán Rock in der Hauptstadt, das vorwiegend Heavy-Metal-Fans befriedigt, wie auch das Metal HG in Holguín, das Rockasol in Matanzas oder das Pinar Hip Hop in Pinar del Rio.
Beim Konzert in der Casa de las Americas am 17. Oktober war die AHS durch sogenannte Cantautores, Liedermacher, präsent, also durch Musiker, die sich der „Nueva Trova“ verschrieben haben. Die Vortragenden machten überhaupt keinen Hehl daraus, dass sie im Grunde nicht das „krumme“ Jubiläum ihres eigenen Vereins feiern wollten, sondern vielmehr das 65. der ehrwürdigen Casa. Eine Interpretin brachte das mit dem Titel „Casa tomada“ zum Ausdruck, quasi eine Liebeserklärung an das revolutionäre „Mutterhaus“ der kubanischen Kultur.
Yasel Toledo, der derzeitige Präsident der AHS, war ebenso anwesend wie der Hausherr der Casa, der verdiente ehemalige Kulturminister Kubas, Abel Prieto. Auch frühere Mitglieder der Assoziation waren zugegen, denn wenn auch die Mitgliedschaft mit Erreichen des 36. Lebensjahres endet, so heißt das ja noch lange nicht, dass jeglicher Kontakt erlischt.
Dass die Auftritte an diesem Abend unter dem Strich von hoher Qualität waren, sage ich gern, denn so selbstverständlich ist dies nicht, auch nicht in diesen „heiligen“ Hallen. Ich habe hier auch schon schlechtes vorgesetzt bekommen. Schlecht nicht im Sinne von „Hat mir nicht gefallen“ oder „War nicht mein Geschmack“, sondern schlecht im Sinne von schlecht.
Das „Canto a la Casa“, Gesang an die Casa, genannte Konzert vereinte nicht weniger als elf Protagonisten männlichen wie weiblichen Geschlechts, die teils einzeln, teils im Duo bzw. im Duett auftraten. Alle sangen und spielten je ein Saiteninstrument, meist Gitarre. Die Namen aufzulisten, bringt insofern nicht viel, als es beinahe durch die Bank mir unbekannte waren. Einzige Ausnahme war Rey Montalvo, der zusammen mit Marta Campos „Entre manos“ moderiert, eine wöchentliche Fernsehsendung auf Cubavisión.
Von den elf Singer-Songwritern gefielen mir neun richtig gut. Neun von elf: Das ist ein mehr als respektabler Schnitt. Und das in außerordentlich schöner Atmosphäre. Die Standing Ovations am Schluss des Abends waren vollauf verdient.