Kuba und der Kampf gegen Armut

Von Thorben Peters
Armut

In jeder Nachbarschaft wird bei Bedarf geholfen.
Foto: Public Domain

Im Juli diesen Jahres besuchte ich Kuba und konnte Einblick in das dortige Sozialsystem nehmen.
Die Pandemie, Inflation und Abwanderung, insbesondere verschärft durch den unmenschlichen Wirtschaftskrieg der USA stellen Kuba vor große soziale Herausforderungen. Stromabschaltungen über Stunden haben aufgrund des Ölmangels zugenommen. Auf dem freien Markt sind die Lebensmittel teuer, die staatlich garantierten und subventionierten Grundnahrungsmittel wie Reis, Bohnen, Hähnchen, Milchpulver und Eier leiden unter Lieferengpässen. Vor zwei Jahren habe ich es nicht erlebt, dass Leute aktiv auf mich zukamen und nach Geld gefragt haben oder im Müll nach verwertbarem Material suchen. Das ist jetzt anders. Trotz dieser Probleme lebt Kuba einen deutlich menschlicheren Umgang mit Menschen in Not als andere Länder, die ich besucht habe. Obwohl es in Kuba mehr Armut gibt als in Deutschland, gibt es im Kuba weniger Elend. Woran das liegt? Um dieser Frage nachzugehen, habe ich mir in Havanna verschiedene Teile des Sozialsystems Kubas anschauen dürfen.
Auf Einladung des Ministeriums für Soziales und Arbeit konnte ich einen Überblick gewinnen über das Fürsorge- und Sozialsystem Kubas. Die Sozialarbeiter in Kuba sind zum Beispiel nach Nachbarschaften organisiert, das heißt sie sitzen nicht im Büro und warten, bis die Probleme zu ihnen kommen, sondern sie halten proaktiv Kontakt zu Familien. Jeder Sozialarbeiter betreut 120 Familien. Sie müssen all diese Familien kennenlernen und priorisieren, welche Probleme zu behandeln sind. Und wenn es dann heißt, in der Familie wird zu viel Alkohol getrunken oder der junge Mensch dort geht nicht zur Schule oder da ist jemand obdachlos, dann wird dort hingegangen und sich gekümmert. Es ist gewissermaßen der Job des Sozialarbeiters, Vertrauen aufzubauen und bei Bedarf Hilfe zu koordinieren. Es sind ähnliche Probleme, wie wir sie in Deutschland auch haben: Schulabbruch, Drogen, Altersarmut, Menschen, die wohnungslos werden. Der Unterschied ist allerdings, dass man unter Einbeziehung der Familien sowie der Nachbarschaft auf diese Probleme antwortet und auf diese Probleme früher und vor allem präventiv Maßnahmen folgen – und dass die meisten Kubaner Eigentümer ihrer Wohnung sind. So schließen in Kuba 99 Prozent aller Schüler die neunte Klasse ab, die Quote an Drogenabhängigen ist deutlich geringer und man sieht weniger Menschen, die um Geld betteln, als in Deutschland. Die Familien kennen den Sozialarbeiter oder die Sozialarbeiterin des Viertels. nicht zur Schule oder da ist jemand obdachlos, dann wird dort hingegangen und sich gekümmert. Es ist gewissermaßen der Job des Sozialarbeiters, Vertrauen aufzubauen und bei Bedarf Hilfe zu koordinieren. Es sind ähnliche Probleme, wie wir sie in Deutschland auch haben: Schulabbruch, Drogen, Altersarmut, Menschen, die wohnungslos werden. Der Unterschied ist allerdings, dass man unter Einbeziehung der Familien sowie der Nachbarschaft auf diese Probleme antwortet und auf diese Probleme früher und vor allem präventiv Maßnahmen folgen – und dass die meisten Kubaner Eigentümer ihrer Wohnung sind. So schließen in Kuba 99 Prozent aller Schüler die neunte Klasse ab, die Quote an Drogenabhängigen ist deutlich geringer und man sieht weniger Menschen, die um Geld betteln, als in Deutschland. Die Familien kennen den Sozialarbeiter oder die Sozialarbeiterin des Viertels.

Einfach aber kein Elend

Einfaches Leben, aber kein Elend.
Foto: Mehmet Turgut Kirkgoz / Pexels

Teil des Fürsorgesystems Kubas sind verschiedene Einrichtungen, die sich um Menschen mit besonderen Nöten kümmern. In jeder Nachbarschaft findet man Einrichtungen, die einem Cafe ähneln und für die Versorgung von Seniorinnen und Senioren in Armut da sind. Drei Mahlzeiten am Tag werden hier zubereitet. Nahrungsmittel, Instandhaltung und Kochgeräte kommen dabei nicht nur vom Staat, sondern werden zum Teil solidarisch durch die Nachbarschaft getragen. Die Solidarität untereinander ist gelebter Bestandteil der Fürsorge in Kuba und reicht weit über das Materielle hinaus. Denn den älteren Menschen werden neben Essen auch gesellschaftliche Aktivitäten in diesen Einrichtungen geboten. Alterseinsamkeit ist in Kuba ein anerkanntes Problem und so wird versucht, neben dem Hunger nach Nahrung auch den Hunger nach Kultur und Gesellschaft zu stillen. Diesen Zusammenhang fand ich auch beim Besuch einer Behindertenwerkstatt. Dort bekamen die Menschen, im Unterschied zu Deutschland, nicht nur den Mindestlohn, sondern auch die Vermittlung kostenloser kulturelle Aktivitäten, egal, ob spanischer Tanz, Gesang oder das Erlernen eines Musikinstruments. Die kulturelle Entfaltung ist fester Bestandteil der kubanischen Gesellschaft und somit auch der sozialen Arbeit.
Auch die Wohnungslosen-Situation in Kuba ist eine gänzlich andere als zum Beispiel in Deutschland. Und man muss dazu sagen, man vergleicht hier ein hoch industrialisiertes Land mit einer kleinen Insel im Globalen Süden, die unter einer brutalen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade der USA leidet. Wenn man sich den ganzen Tag Zeit nimmt und durch Havanna läuft, wird man weniger Obdachlosigkeit sehen, als in einer halben Stunde am Hamburger Hauptbahnhof. Man wird auch keine Massenunterkunft für Obdachlose finden. Es gibt zwar auch spezielle Einrichtungen, in denen diese Menschen untergebracht werden können, wenn kein Ort da ist. Im Unterschied zu Deutschland hat man aber in Kuba das Recht auf eine Wohnung. In Deutschland gibt es nur das Recht auf eine Notunterbringung - das kann alles sein, oft unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Nicht nur die soziale Arbeit in Deutschland kann viel lernen von der Nachbarschaftsorientierung: das proaktive Zugehen auf Menschen mit Problemen und die enge Verbindung zur Kultur. Mit diesen geringen Ressourcen ein Gesundheitssystem, eine Bildung und Zugang zur Kultur zu organisieren, die weiten Teilen der Bevölkerung ermöglicht, sich dann doch persönlich zu entwickeln und für mehr soziale Gerechtigkeit sorgt, ist der Ausdruck eines tiefen Humanismus mit dem Kuba versucht, eine sozialistische Gesellschaft aufzubauen. Mit seiner internationalen Solidarität z.B. durch medizinische und ärztliche Hilfe sowie seiner gelebten Alternative zum kapitalistischen System bietet Kuba zudem eine Menge Orientierung für eine bessere Welt. Trotz alledem wird Kuba seine sozialen Probleme nicht ohne wirtschaftliches Wachstum lösen können. Erste Reformen sind zwar auf dem Weg. Das Wesentliche hängt in meinen Augen aber auch massiv von uns ab. Damit meine ich uns als Solidaritätsbewegung. Es braucht den Druck der internationalen Gemeinschaft, damit diese Blockade endlich verschwindet und Kuba von der US-Terrorliste gestrichen wird. Ohne das wird Kuba es sehr schwer haben. Dahingehend müssen auch wir den Druck auf unsere Regierung erhöhen.

Thorben Peters ist Leiter der Obdachlosenunterkunft in Lüneburg und Landesvorsitzender DIE LINKE Niedersachsen