Calum Baird im Gespräch mit Dieter Reinisch
Calum Baird während des Antikriegsmeetings auf der Rosa-Luxemburg- Konferenz 2024
Foto: Christiian Ditsch/junge Welt
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Dieter Reinisch: Calum Baird, viele unserer Leser werden dich nicht kennen. Kannst du dich kurz vorstellen?
Calum Baird: Ich bin Sänger und Songwriter. Ich schreibe also meine eigene Musik. Die Inhalte meiner Musik kritisieren die kapitalistische Gesellschaft. Soweit es mir möglich ist, verwende ich sozialistische Ideen und sozialistische Philosophie zum Schreiben meiner Texte. Ich paraphrasiere etwa sehr viel Karl Marx in meinen Texten. Ich schreibe aber über sehr viele unterschiedliche Dinge, vor allem zuletzt habe ich nicht nur ausschließlich über Politik, Krieg und Sozialismus Texte verfasst. So schreibe ich immer mehr über soziale Themen, einfach Sachen, die ich erlebe und die ich sehe. Insofern bin ich auch ein wenig ein Journalist.
Dieter Reinisch: Wie bist du ein Sozialist geworden?
Calum Baird: Es hat alles in der Schule begonnen. 2010 sind die Konservativen wieder zurück an die Regierung gekommen und haben sofort zu Kürzen begonnen und die Austerität begann. Zugleich haben sie die Steuern für die Reichen gesenkt. In Schottland waren die Menschen sehr nervös, weil die Konservativen zurück an der Regierung waren. Es gab sehr viel Opposition, da die Menschen ziemlich unzufrieden mit dem Neoliberalismus waren.
Ich war damals in der Schule und Geschichte hat mich sehr interessiert, besonders, wie sich die schottische Gesellschaft verändert hat. Ich lernte, wie sich in der Zeit um den ersten Weltkrieg viele sozialistische Bewegungen in Schottland herausgebildet haben. Viele der Schriften dieser Bewegungen erinnerten mich an die Debatten in den 2010er-Jahren: Austerität, soziale Fragen, Ungleichheit, Wohnbedingungen. So hat es für mich angefangen und ich habe begonnen zu verstehen, wieso die Konservativen so verhasst sind.
Ich habe deshalb nach der Schule viel sozialistische Literatur gelesen. Je mehr ich las, desto mehr wurde ich ein Sozialist. Ich wurde Gewerkschaftsmitglied, als ich zu arbeiten begann. Ich habe im Handel gearbeitet und wurde Labour-Mitglied. Die habe ich dann aber verlassen und mich der Kommunistischen Partei (KP) angeschlossen, aber dann bin ich später wieder zurück zu Labour – aber auch die habe ich nun wieder verlassen.
Ich habe damals viel Marx, Engels, Lenin, auch etwas Trotzki – aber den mochte ich nicht so – Mao, Stalin, Castro und Che Guevara gelesen. So kam ich in Kontakt mit Kuba, Sowjetunion, China und Vietnam.
Dieter Reinisch: Wer war zuerst da, Calum der Sozialist oder Calum der Künstler?
Calum Baird: Definitiv zuerst der Sozialist. Mit 15 Jahren habe ich gelernt, Gitarre zu spielen und versucht, Lieder zu schreiben – aber es gelang mir nicht. Ich habe die falsche Musik gehört. Damals hörte ich Oasis und den ganzen britischen Rock und Pop.
Jeden Samstag haben wir Infotische der KP organisiert und danach sind wir in die Parteizentrale gegangen und haben dort geredet, getrunken und Musik gehört. Da habe ich erstmals Victor Jara gehört. So kam ich in Kontakt mit anderer Musik.
Ich bin aber auch ein Fan des Fußballklubs Celtic Glasgow. Bei den Spielen haben sie immer Rebel-Songs gespielt: Kämpfe gegen die Engländer, Kämpfe gegen die britische Krone, Kämpfe in Nordirland. Das sind da die Themen. Und in der KP habe ich immer mehr Musik kennengelernt über die sozialistische Zukunft und Lieder, in denen die Arbeiterklasse im Zentrum stand. Das fand ich sehr interessant.
Mit 19 Jahren habe ich dann ernsthaft begonnen, Lieder zu schreiben. Das war also vor elf Jahren. Aber die klangen alle nach dem frühen Bob Dylan. Irgendwie klang jedes Lied von mir wie "Blowin' In The Wind". Mittlerweile hat sich das verändert und ich gehe mehr in die Richtung der Pogues und traditioneller Folk.
Calum Baird |
Dieter Reinisch: Du warst in der KP und in Labour?
Calum Baird: Ich habe Labour verlassen und wurde Mitglied der KP für etwa sechs Jahre, bis Jeremy Corbyn Vorsitzender von Labour wurde. Zu dem Zeitpunkt bin ich dann wieder in Labour eingetreten. Aus Labour bin ich erst vor kurzem wieder ausgetreten. Vor allem, nachdem der derzeitige Vorsitzende Keir Starmer Israel unterstützt und gesagt hat, Israel hat ein Recht zu tun, was es derzeit in Gaza macht. Das ist nichts anderes als ein Kriegsverbrechen, das Starmer unterstützt.
Ich blieb nach Corbyn einige Zeit in Labour, weil ich viele Leute dort kenne, viele Linke sind da organisiert. Die KP ist nicht unbedeutend, aber sie ist in Schottland sehr klein und in der Region, wo ich derzeit lebe, gibt es keine Strukturen, in denen ich hätte aktiv sein können. Ich bin nun nicht mehr Mitglied irgendeiner Organisation, aber ich möchte sozialistische Ideen über meine Musik verbreiten.
Dieter Reinisch: Und was hältst du von den schottischen Nationalisten (SNP)?
Calum Baird: Als das Referendum über die Unabhängigkeit 2014 abgehalten wurde, war ich in der KP und deren Position war damals gegen die Unabhängigkeit zu stimmen. Ich bin immer noch nicht davon überzeugt, dass es wirtschaftlich sinnvoll ist. Die SNP geht derzeit auf den Neoliberalismus und die NATO zu. Sie unterstützen die EU-Mitgliedschaft und wollen eine starke Beziehung zu den USA. In der Frage Palästinas haben sie eine klare, richtige Position. Das ist sehr gut, aber bezüglich der Ukraine wollen sie stärkere Sanktionen gegen Russland und sie wollen der Ukraine mehr Geld für Waffen schicken. Es gibt aber weiterhin einige Linke in der SNP, die glauben, dass sie ein Vehikel für einen schottischen Sozialismus sind.
Dieter Reinisch: Zuvor hast du erwähnt, dass du in deiner Jugend viel sozialistische Literatur gelesen hast und neben den Klassikern auch Fidel Castro und Che Guevara gelesen hast. Du bist nach 2010 politisch aktiv geworden. Wieso greift jemand aus deiner Generation gerade zu diesen beiden Revolutionären?
Calum Baird: Lenin schrieb viel über Leute, die als Sozialimperialisten bezeichnet werden können. Er hat Eduard Bernstein sehr kritisiert, aber auch Leo Trotzki und andere. Sozialimperialisten wie die Menschewiki und andere, die auf der Seit der Revolution sind, bis zu dem Augenblick, wenn die Revolution beginnt. Der Großteil der britischen Linken sind solche Sozialimperialisten. Ich fragte mich dann: Wieso soll ich all diese Leute lesen, die nicht eine Revolution erfolgreich durchgeführt haben, wenn ich auch von Leuten lesen kann, die das getan haben: Mao, Castro, Ho Chi Min, Che Guevara, Lenin, Antonio Gramsci, Rosa Luxemburg. Auch Angela Davis hat mich geprägt.
Dieter Reinisch: Durch die Literatur hast du ein Interesse an Kuba entwickelt. Vor kurzem hast du ein neues Lied über Kuba veröffentlicht: "Una Semana en La Habana" (Eine Woche in Havanna). Worüber geht es in dem Lied?
Calum Baird: So um 2012 herum habe ich begonnen, mich sehr für ehemalige und aktuelle sozialistische Staaten zu interessieren. Die DDR hat es mir damals angetan. Ich habe von der KP eine kleine Broschüre über Kuba erhalten. Darin wurden alle sozialen und Bildungsprojekte dargestellt. Was mir an Kuba auch sehr gefällt ist, dass sie Kultur für alle zugängliche machen wollen – trotz der Blockade.
2018 war ich dann das erste Mal auf Kuba. An Havanna erinnere ich mich noch gut. Wer einmal in Havanna war, vergisst es nie wieder. Ich bin ein enger Freund des deutschen Musikers Tobias Thiele und 2018 war er auf Kuba und hat mir ständig davon Fotos geschickt und eines Nachts habe ich dann von Kuba geträumt. Und darüber handelt das Lied, das ich nun veröffentlicht habe.
Im Lied geht es also um einen Traum von Havanna. Man geht herum, redet mit Leuten und versucht die Welt und seinen eigenen Platz in der Welt zu verstehen.
In Havanna gibt es die Statue "La Conversacion/The Conversation", die hat es mir sehr angetan. Sie will die Notwendigkeit des Dialogs in der internationalen Politik unterstreichen. Dieser Aspekt kommt in meinem Lied auch vor. Daneben gibt es viel Material über meine eigene Zeit in Havanna in dem Lied: Das Interagieren mit der Bevölkerung, das Besuchen von Büchergeschäften, Essen gehen, da Meer beobachten. Es ist also ein Lied über Havanna. Havanna wird als Beispiel für eine Unzahl an Dingen verwendet.
Dieter Reinisch: Wie war deine Erfahrung in Kuba?
Calum Baird: Ich war dort, als die ganze Politik von Donald Trump einsetzte. Es gab damals sehr viele US-Touristen und ich war sehr genervt von denen. Trump verschärfte aber gerade die Sanktionen zu der Zeit und als ich wiederkam über Weihnachten und Neujahr, gab es immer viele freie Tische in den Lokalen und die Bars waren leer. Ich merkte, dass sich die Lage verschlechterte. All die Touristengebiete, die extra für die Touristen gebaut worden waren, waren leer. Ich wusste, das sieht schlecht aus. Der ganze Aufschwung, der während der Zeit des US-Präsidenten Barack Obama begann, war dahin wegen Trump.
2019 war ich dann wieder dort und Trump hatte da gerade das Verbot verkündet, dass Western Union aus den USA Geld nach Kuba schickte. Aber zugleich sah ich ganz viele neue Huawei-WiFi-Ports in den Hotels. Unzählige chinesische und kubanische Ölförderquellen gab es im ganzen Land. Während die US-Blockade immer stärker wurde, sah ich auch das Gegenteil: Die engeren Beziehungen mit China wurden deutlich sichtbarer.
CUBA LIBRE 2-2024