Kunstzensur: Den Balken im eigenen Auge

Werfen wir einen Blick zurück auf einige Kulturnachrichten aus verschiedenen spanischen Städten im Jahr 2023: In Quintanar de la Orden (Provinz Toledo) zog der Gemeinderat das Theaterstück "Wie schwierig ist es?" zurück, weil die Schauspieler dort in Unterhosen auftreten. In Valdemorillo (Madrid) wurde "Orlando" von Virginia Woolf wegen seiner inhaltlichen Position zur Geschlechteridentität abgesagt. In Talayuela (Cáceres) wurde das Werk "Die männliche Hure oder die Entwürdigung des Seins" und in Toledo "Die Infamie" von den örtlichen Behörden zensiert. Beide Stücke thematisieren männliche Gewalt. In Benzana (Kantabrien) wurde der Disney-Film "Buzz Lightyear" aus dem Sommerkino gestrichen, weil er einen Kuss zwischen zwei Frauen enthält.

Es handelt sich um die gleiche zensierende Moral-Strömung wie in den USA, die im Bezirk Orange (Florida) 673 Bücher aus den Schulen wegen ihrer "sexuellen Referenzen" oder LGTBI-Inhalten entfernt hat, beides im Sinne einer Umsetzung der Gesetze des Gouverneurs Ron DeSantis. Der Staat Florida, internationales Zentrum des "Kampfes für die Freiheit" Kubas, ist verantwortlich für 40 Prozent aller Fälle von Zensur von Büchern in US-Schulen.

Die spanischen Gemeindeverwaltungen erklären in ihren Medien die Begründung ihrer Politik der Streichungen: Stets wird versichert, es handele sich nicht um Akte von "Zensur", sondern stattdessen um den "Schutz von Minderjährigen", "dem Respekt vor dem Volksgeschmack" oder "der Haushalts-Sparpolitik". Aber man stelle sich vor, nur einer dieser Fälle hätte sich bei einem Theater- oder Filmfestival in Kuba ereignet. Dann natürlich würde das Wort "Zensur" in Überschriften auftauchen, und man würde die obligatorische Wortwahl verwenden, die jede Kulturnachricht aus Kuba begleitet: "Repression", "Kontrolle", Verschweigen", "Regime".

Für die große spanische Presse ist die Kunstzensur in ihrem Land entweder gar nicht vorhanden oder nur ein Ausfluss provinziellen Extremismus. In Kuba hingegen ist sie eine Zutat per se, die über jeglichem künstlerischen Produkt hängt und die man nicht zeigen oder gar beweisen muss. Die Tageszeitung El País erinnert uns an die Veröffentlichung von "Erdbeer und Schokolade" vor 30 Jahren, eines kritischen Films, der niemals zensiert wurde, und was ist das Thema des Beitrags? "Zensur"! Das Internationale Festival des neuen lateinamerikanischen Films in Havanna bietet ein breites Spektrum der Aufführung und Verbreitung des unabhängigen und kritischen Kinos, offen für die Zensur durch den Markt – aber welche Information erreicht uns? Dass es zwei kubanische Filme gegeben hat, die nicht ausgewählt wurden. Und das, was bei einem Festival eines anderen Landes Auswahl ist, ist in Kuba "Zensur". Kapiert?

Es gibt auch "windige Typen der Zensur". Der kubanische Regisseur Pavel Giraud beschickt internationale Festivals mit seinem Dokumentarfilm "Der Fall Padilla", der mit Aufnahmen, die er auf illegale Art und Weise aus dem Archiv des kubanischen Filminstituts ICAIC entwendet hat, den Fall von Heberto Padilla wieder aufleben lässt. 1971 hat dieser Dichter, der als Konterrevolutionär beschuldigt wurde, einen absurden öffentlichen Widerruf veröffentlicht, der für nicht wenige Zeitzeugen – wie Mario Benedetti oder Eduardo Galeano – eine vulgäre Inszenierung war, um die kubanische Revolution des "Stalinismus" beschuldigen zu können und die Unterstützung von fortschrittlichen Intellektuellen für diese zu schädigen. In jedem Fall schreibt ein 53 Jahre vergangenes Ereignis heute immer noch Schlagzeilen, und wir erfahren, dass es "seit diesem Zwischenfall unter diesem Regime weitere Padillas in Kuba gegeben" habe.

Aber kehren wir zur heutigen Zensur zurück, genau genommen, der in Spanien. Dort ist die Anklage gegen den Franquismus immer noch ein höchst zensiertes Thema. In Briviesca (Burgos) hat man das Theaterstück "Das Meer aus der Sicht einiger Kinder, die es nie gesehen haben" abgesetzt. Es schildert das Leben eines republikanischen Lehrers, der erschossen wurde. In Fanzara (Castellón) geht der Gemeinderat daran, schon vorab Zensur gegen die Wandmalereien auszuüben, die beim jährlichen Festival MIAU der Städtischen Kunst und der Wandmalerei entstehen, um zu verhindern, dass wie im vergangenen Jahr Werke entstehen, die an die franquistische Repression erinnern. Gewiss ist der Gemeinderat von Castronuño (Valladolid) am direktesten vorgegangen: Er ließ das Wandgemälde des Künstlers Manuel Sierra mit weißer Farbe übermalen, welches ebenfalls der Ehrung der Opfer des Faschismus gewidmet war.

Zum Schluss erinnern wir daran, dass es inzwischen 1.060 Tage sind, die der katalanische Sänger Pablo Hasel wegen der Texte einiger seiner Songs im Gefängnis sitzt, und er wird noch weitere vier Jahre im Gefängnis verbringen. Warum lesen wir hier keine Meldungen, welche die Begriffe "Zensur", "Repression oder "Regime" verwenden? Warum hat Amnesty

International Hasel nicht als Gewissens-Gefangenen benannt? Weil er kein Kubaner ist, wie Maykel Osorbo, der Rapper, der in einer öffentlichen Botschaft den damaligen Präsidenten Donald Trump zu einer Schiffsblockade und zu einer militärischen Invasion in sein eigenes Land aufforderte. Und auch wenn Trump seine beiden Wünsche nicht in eben diesem Sinne erfüllte, so hat er doch das Leiden von Millionen Menschen auf der Insel vervielfacht, indem er mehr als 200 neue Maßnahmen eines Wirtschaftskriegs verhängte.

Übersetzung: Angelika Becker/Tobias Kriele

CUBA LIBRE José Manzaneda, Koordinator von Cubainformación

CUBA LIBRE 2-2024