Zwei Kubaner auf Recherche

Ein Reisebericht über den Besuch der kubanischen Journalisten Jorge "Jorgito" Jeréz und Dania Socarrás.

Dania und Jorge

Dania und Jorge
Fotos: privat



Kuba verändert sich. Daran gibt es keinen Zweifel. Aber wie sind die aktuellen Veränderungen einzuschätzen? Aus der Distanz ist diese Frage schwer zu beantworten, erst recht auf der Grundlage der voreingenommenen Berichterstattung der hiesigen Medien. Kein Wunder also, dass der Deutschland-Besuch von zwei jungen kubanischen Journalisten im August des Jahres 2023 auf Interesse stieß.


Zumindest einer der beiden ist in der Kuba-Solidarität kein Unbekannter. Jorge "Jorgito" Jeréz ist als Hauptfigur des Dokumentarfilms "Die Kraft der Schwachen" vielen Menschen ans Herz gewachsen. Heute arbeitet er als Journalist der Zeitung "Adelante" aus Camagüey und ist "Granma"-Korrespondent. Außerdem ist er Lehrbeauftragter an der Universität von Camagüey.


Dania Socarrás ist Radiojournalistin und die Leiterin der José Martí-Jugendbewegung der Provinz Camagüey. Auch sie ist Lehrbeauftragte an der Universität von Camagüey. Dania und Jorgito sind verheiratet und haben eine einjährige Tochter, die bei den Großeltern in Camagüey geblieben war.



Der Anlass für die Reise der beiden jungen kubanischen Medienschaffenden war ein Buchprojekt über die Erfahrungen von Betroffenen der sog. "Wende" in der DDR. In insgesamt 14 Interviews berichteten ehemalige DDR-Bürgerinnen und -Bürger, wie sich das Ende des Sozialismus aus Sicht auf ihre Biografien ausgewirkt hat. Die Interviewten hatten innerhalb der DDR verschiedene Berufe und Funktionen und eine unterschiedliche Haltung zur Regierungspolitik. Ihre Schilderungen waren teils sachlich, teils aufgewühlt. Jorgito und Dania interessierten sich dabei insbesondere für Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen der "Vor-Wende-Zeit" und dem heutigen Kuba.

Das Ergebnis der Befragungen wird in Form eines Buches in Kuba veröffentlicht werden. Die spanische Ausgabe wird sich an ein junges kubanisches Publikum wenden und dieses für den historischen Moment sensibilisieren, in dem es um die Verteidigung und der Erhalt des Sozialismus in Kuba geht. Dass die Lage zugespitzt ist und es um das Ganze geht, wurde in den Gesprächen mit Dania und Jorgito deutlich. Möglicherweise ist gerade vielen jungen Menschen auf Kuba nicht bewusst, dass es in den nächsten Jahren darauf ankommen wird, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Naive Vorstellungen eines möglichen Dritten Wegs, eines Kompromisses zwischen Sozialismus und Kapitalismus, sind unter jungen Leuten verbreitet. Eine solche Vorstellung, von ausländischen Akteuren in den Sozialen Netzwerken stark befördert, könne zu einer Lethargie in der kubanischen Jugend führen, erklärten uns Dania und Jorgito während ihres Aufenthaltes in Deutschland. Ihr Buchprojekt soll in Kuba das Bewusstsein dafür schärfen, dass es keine Zwischenlösungen geben wird, dass die Frage lautet: Revolution oder Konterrevolution. Und dass jetzt die Zeit ist, für den Erhalt der Errungenschaften der Revolution zu kämpfen. Die beiden sind davon überzeugt, dass ihre Veröffentlichung eine große Wirkung auf Kuba entfalten wird. Wer wagt da zu widersprechen? Wer weiß, vielleicht ergibt sich ja auch die Möglichkeit, eine deutsche Ausgabe erscheinen zu lassen.

Wenn auch die Recherche für das Buchprojekt im Zentrum der Rundreise stand, so traten die beiden Journalisten auch auf politischen und kulturellen Veranstaltungen auf. Am Tag nach ihrer Ankunft sprachen Dania und Jorgito auf dem Podium der Fiesta de la Solidaridad am 29. Juli 2023 in Berlin. Die Moderatorin Miriam Näther stellte interessierte Fragen zum aktuellen Medienkrieg gegen Kuba. Mit ihren Berichten über den Verlauf der Proteste am 11. Juli 2021, denen eine gezielte Instrumentalisierung der wirtschaftlichen Notlage der kubanischen Bevölkerung vorausgegangen war, gelang es ihnen, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Ein guter Auftritt auf der Fiesta, und eine gute Gelegenheit, Cuba Sí für die Teilfinanzierung der Rundreise zu danken.

Dem schlossen sich weitere Veranstaltungen an. Auf einer zweiten Veranstaltung in Berlin am 21. Juli stellte Jorgito seine wissenschaftlichen Ergebnisse zur Diskursanalyse der "alternativen" Internetportale El Toque und El Estornudo vor. Kurz zusammengefasst: Diese aus dem Ausland finanzierten Medien verbreiten alten Wein in neuen Schläuchen. Die deutsche Solidaritätsbewegung sollte sich von ihnen und ähnlichen Projekten fernhalten.

Zu einer Veranstaltung in Chemnitz am 2. August in einer Buchhandlung in einer Einkaufspassage kamen über 30 Interessierte, offensichtlich aus den unterschiedlichsten Motivationen. Am 5. August versammelten sich im Hamburger Magda-Thürey-Zentrum der DKP erstaunlich viele Personen aus anderen politischen Spektren, um zu hören, wie Dania und Jorgito offen und selbstkritisch über Fehler in der kubanischen Politik sprachen. Vom 8. August im Mainzer DGB-Haus ist besonders in Erinnerung geblieben, dass sich eine nach Deutschland geflohene Demokratin aus dem Iran nach den Beziehungen Kubas zu der dortigen Regierung erkundigte. Am 9. August in Frankfurt waren unter den durchweg jungen Anwesenden viele, die einen Koffer hinter sich herzogen, sollte doch am Tag darauf die zweite Brigade der SDAJ nach Kuba aufbrechen. Allein das verlieh der Veranstaltung einen besonderen (Aufbruchs-) Charakter.

Zum Abschluss der Rundreise ging es in die Schweiz. Dort sprachen Jorgito und Dania am 12. August auf dem Podium der 50-Jahr-Feier der Schweizer Kuba-Solidarität in Solothurn. Vorher wurde "Die Kraft der Schwachen" gezeigt, und obwohl der Dokumentarfilm in der Schweiz einige Aufführungen hatte, sahen ihn dennoch einige der Anwesenden zum ersten Mal.

Was bleibt von der Rundreise? Zunächst das Erlebnis zweier, vor Aktivität sprühender junger Menschen aus Kuba, die für ihren Beruf, den Journalismus, glühen. Dann die wichtige Einsicht, dass die Verdummung in den sogenannten Sozialen Netzwerken zwar fortgeschritten sein mag, dass aus diesem Schmelztiegel aber äußerst intelligente Repräsentanten der kubanischen Jugend hervorgegangen sind.

Schließlich ging aus den Berichten der beiden hervor, dass in Kuba intensive ideologische Kämpfe toben, und dass das Konzept der Einheit, hinter dem sich die Kubanerinnen und Kubaner jahrzehntelang nahezu vollständig versammelt hatten, derzeit an Bindungsfähigkeit eingebüßt hat.

Daraus leitet sich auch ab, dass sich für die Kuba-Solidarität neue Aufgaben ergeben und insbesondere die politische Solidarität einer neuen Überlegung bedarf. Da sind wir erst am Anfang. In diesem Sinne möchte ich im Namen von Jorgito und Dania allen danken, die dazu beigetragen haben, dass diese Rundreise stattfinden konnte. Vermutlich werden wir durch ein kluges und aufrüttelndes Buch dafür belohnt.

CUBA LIBRE Tobias Kriele

CUBA LIBRE 4-2023