So kämpfen wir uns hier durch jeden Tag.
Havanna ist eine Stadt voller Kontraste, Lichter und Schatten und Charme. Eine Stadt, die sich trotz oder angesichts aller Probleme neu erfindet und sich der Zeit anpasst, aber ihr Wesen und ihre Geschichte bewahrt. Eine Stadt, die mit ihrer Architektur verblüfft. |
Wenn man einen Kubaner heute fragt, was sein größtes Problem sei, so würde er aller Wahrscheinlichkeit nach die galoppierenden Preise nennen. Die Erwartungshaltung, dass die Regierung dem endlich Einhalt gebietet, ist groß. Selbst mehr Kontrollen durch Inspektoren sind nicht der Stein der Weisen. Dem Kunden, der erfreut angesichts des angegeben Preises auf der Tafel, einige Kilogramm einer Ware zu diesem Preis verlangt, kann es passieren, dass ihm der Verkäufer zu verstehen gibt, dass das nur der Preis für die Kontrolleure sei, er müsse einen höheren zahlen. Die Verbraucher fragen sich, wie es sein kann, dass die Preise das Doppelte, Dreifache oder Vierfache der Produktionskosten betragen.
Mit dem im Juli im Amtsblatt veröffentlichten Beschluss soll nun eine größere Transparenz bei der Festlegung von Preisen und Tarifen erreicht werden: Alle Wirtschaftsakteure werden verpflichtet, die Kosten und Ausgaben für Produkte und Dienstleistungen genau zu erstellen. Die Preisbildung soll durch Vergleichswerte ähnlicher importierter oder exportierter Produkte und Dienstleistungen erfolgen. Daraus und aus anderen Parametern soll dann so etwas wie ein Fixpreis ermittelt werden, als Mechanismus im Kampf um rationellere und gegen missbräuchliche Preise.
Aber wir haben noch ein ganz anderes Problem: den Mangel an Banknoten. Es ist unheimlich schwierig an Bargeld zu kommen. Ich habe über meine Visa Card bei einer Internationalen Bank mal gerade netterweise zehntausend Pesos in Scheinen bekommen. Wenn wir zwei Pärchen zur Geburtstagsfeier in ein Restaurant einladen wollten, müsste ich vier bis fünfmal zur Bank laufen, um die Rechnung bezahlen zu können und dann müssten sie auch noch in der Bank das Geld vorrätig haben. Da ich regelmäßige Kundin dort bin, haben sie mir eine Nummer gegeben, unter der ich nachfragen kann, ob man dort aktuell über genügend Bargeld verfügt und mir dann möglicherweise einen höheren Betrag auszahlen kann – eigentlich will man ja Devisen.
Wo bleibt das ganze Geld?
In der Bevölkerung hat man schnell den Schuldigen gefunden – die Mipymes – also die Kleinst-, Klein- und mittleren Betriebe. Aber so einfach ist die Sache wohl nicht. Man wollte die Mipymes, der Staat genehmigte sie, aber die Voraussetzungen waren nicht so, dass sie sich wie geplant entwickeln konnten. Sie sollten Produkte mit Wertschöpfung entwickeln und sich in deren Kommerzialisierung mit anderen Wirtschaftsakteuren, staatlichen, genossenschaftlichen etc., verzahnen. Das Problem mit der Wertschöpfung ist aber, dass man dafür in der Regel irgendeinen Grundstoff importieren muss. Auch wenn es nur wenig wäre, man braucht dafür aber Devisen. Kubaner, die im Ausland gelebt und etwas Kapital angesammelt haben oder solche, die vom Ausland unterstützt werden, haben dabei die besseren Karten. Die anderen aber müssen sehen, wie sie an Devisen kommen. Auf legale Weise, sich in einer Schlange an der Bank anstellen und warten, ob man Glück hat, irgendwann ein paar hundert Dollar oder Euro zu bekommen, ist für sie oft nicht die Lösung. Also versucht man, die ganzen kubanischen Pesos, die man einnimmt, irgendwie in Devisen umzutauschen, denn ohne diese kann man den Betrieb nicht weiterführen, weil man ja Dinge importieren muss. Das hat natürlich zur Folge, dass die Nachfrage an Devisen immer größer wird und da es immer weniger davon gibt, man auch immer mehr Pesos CUP dafür bezahlen muss. Inzwischen ist der informelle Kurs auf etwa zweihundertfünfzig gestiegen. Der offizielle, den die Bank einem bezahlt, liegt bei einhundertzwanzig.
Ein Freund von uns, ein Chemiker, der nie etwas tun würde, was auch nur einen Hauch von Illegalität hätte, stellt mit seiner Mipyme Reinigungsmittel aller Art, Fettlöser usw. her. Er benutzt dafür aber nur Grundstoffe, die er in Kuba selbst bekommt. So weit so gut. Aber auch das ist nicht so einfach, da die staatlichen Betriebe sofort das Produkt bezahlt haben möchten. Wenn man aber noch gar nichts verkauft hat, wird auch das zum Problem. Eine weitere Schwierigkeit besteht in der Ungewissheit der Lieferung und damit in der Einhaltung von Verträgen. Da kann es passieren, dass von jetzt auf gleich dir der Geschäftspartner, der dir die Verpackung geliefert hat, die Lieferung einstellt. Da nützt dann kein Vertrag. Es gestaltet sich auch nicht so einfach, einen neuen zu finden, da viele immer noch Vorbehalte gegenüber Mipymes haben, obwohl staatlicherseits diese als Übergangslösung propagiert werden. So musste er nehmen, was er kriegen konnte, denn der Markt bietet keine Alternativen. Der neue Lieferant forderte aber bedeutend höhere Preise, was dazu führte, dass sämtliche Kunden über die neue Lage informiert werden mussten. Glücklicherweise ist keiner abgesprungen, weil sie die Qualität der Ware zu schätzen wussten.
Viele Mipymes haben aber nichts mit der Wertschöpfung zu tun. Sie importieren Waren aus dem Ausland und verkaufen sie in CUP. Da sie auch noch einen Gewinn machen wollen, kann man sich leicht vorstellen, dass es viele CUP sind. All diese viele CUP-Banknoten gehen in all diesen vielen kleinen und größeren Läden über die Theke und so braucht man immer mehr davon.
Stichwort Bankarisierung
Angesichts dieser verfahrenen Lage setzt man jetzt auf die sogenannte „Bankarisierung“. Das heißt nichts anderes, als dass man versuchen möchte, so viele Bezahlvorgänge wie möglich über Karte und ohne das so schwer erhältliche Bargeld durchzuführen.
Viele Betriebe, die ihren Angestellten immer noch monatlich ihr Gehalt in Banknoten auszahlen, sollen jetzt in die Lage versetzt werden, dieses auf deren Konto zu überweisen. In unserem Betrieb wurde das vor ein paar Jahren eingeführt. Vorher sind wir immer nach dem Fünften einen jeden Monats zur Buchhaltung gegangen und haben unseren Lohn in Empfang genommen. Auch Rentner und Sozialhilfeempfänger sollen jetzt ein solches Konto bekommen, damit sie nicht mehr jeden Monat am Schalter der Bank oder Post stehen müssen. Was schon länger funktioniert – aber jetzt mit größerem Nachdruck umgesetzt werden soll – sind Dienstleistungen und Käufe über Transfermóvil und Enzona abzuwickeln. Transfermóvil hat inzwischen bereits 4,3 Millionen Kunden. Fernsehspots zeigen, wie die Enkel ihren Großeltern die Sache erklären, aber in den Banken ist wohl auch Personal zu diesem Zweck bereitgestellt. Das Verfahren hat enorme Vorteile: Wer irgend kann, zahlt schon länger seine Strom-, Gas- Telefon- und Wasserrechnung über Transfermóvil. Es ist auf jeden Fall bedeutend einfacher, als jeden Monat vor der entsprechenden Rechnungsstelle Schlange zu stehen und es funktioniert auch in der Regel gut. Natürlich gibt es immer noch genügend Leute, die technisch diese Art der Bezahlung nicht durchführen können, aber viele können es eben doch. Dieses Geld muss dann nicht gedruckt werden und ist im Kreislauf. Für diese Bankarisierung müssen aber logischerweise einige Voraussetzungen geschaffen werden. Und da hapert es. Man betont immer, dass es ein allmählicher Vorgang sei und man an Vereinfachungen arbeite.
Aber es ist hier öfter so, dass man ein Problem erkennt, man glaubt die Lösung gefunden zu haben und möchte sie sofort umsetzen. Dann merkt man, dass dafür doch technisch noch eine ganze Menge bewältigt werden muss. Viele Restaurants, Läden und Institutionen müssten Geräte für Kartenzahlung erhalten. Dabei erhebt sich die Frage, ob die technischen Bedingungen dem gewachsen sind, denn selbst jetzt steht man immer noch gelegentlich vor der Kasse und es heißt: No hay coneción (Keine Verbindung) – alle stehen in der Schlange und hoffen. Wie wird das das bei immer mehr Kunden mit Karten aussehen?
Man muss sich immer bewusst machen, dass Kuba von den USA der Zugang zu den Glasfaserkabeln verwehrt wird, die ganz in seiner Nähe verlaufen. Erst jüngst ist ein Glasfaserkabel von Martinique aus nach Kuba verlegt worden, aber damit allein ist es nicht getan: Da müssen die Zugänge und Verbindungen hergestellt werden. Es bleibt nur zu hoffen, dass dies alles trotz aller Hindernisse, zeitnah umgesetzt werden kann. Immerhin kann man bereits praktisch von fast jedem Ort aus in Kuba sein Handy benutzen. 83 Prozent des Landes haben entweder ein 3G- oder 4G-Netz .
Man arbeitet auch an einem System mit Boni. Bei Transfermóvil gibt es schon einen Rabatt für digital gezahlte Rechnungen. Jetzt soll das auch auf Läden für die Kunden übertragen werden und auch die Kassiererinnen sollen eine Gutschrift für Abrechnungen über Karte erhalten.
Bei alldem geht es nicht um Bargeldabschaffung, sondern um dem Mangel an Banknoten abzuhelfen.
Sonstiges
Erfreulich ist, dass es in diesem Sommer bis jetzt fast keine Stromsperren gab, was wirklich eine unheimliche Erleichterung ist. Die Anstrengungen und Investitionen in diesem Bereich scheinen sich gelohnt zu haben. Die Regierung konnte ihr Versprechen, dass der Sommer besser würde, einhalten.
Wir waren in diesem Sommer ein paar Tage in Panama und da gab es einige Stromausfälle, einer über viele Stunden. Sie haben uns glücklicherweise nicht tangiert, da das Hotel über einen Generator verfügte, aber der Strom fällt offenbar auch woanders aus, nur redet dann keiner darüber.
Und dieser Sommer hatte es in sich: Schon seit Juni immer Temperaturen um die 35 Grad, wobei es im Westen manchmal wärmer war als im Osten, was ganz untypisch ist. Cayo Coco hatte auch nachts 30 Grad. Angeblich trägt der Staub aus der Sahara dazu bei, dass im Juli an vielen Orten neue Hitzerekorde aufgestellt wurden. Infolgedessen wurden natürlich die Klimaanlagen eingeschaltet und der Stromverbrauch stieg entsprechend an. Trotzdem konnten wir alle jeden Abend ohne Störung unsere Telenovela gucken.
Was den Menschen aber an vielen Orten zu schaffen machte, war die Versorgung mit Wasser. Zum einen waren es die Lecks in der Zuleitung, zum anderen defekte Pumpen, so dass nicht genügend Druck da war, um das Wasser an alle Orte leiten zu können. Manche Bezirke bekamen nur einmal in der Woche Wasser. Wohl dem, der dann einen großen Tank auf dem Dach hat, mit dessen Füllung man über die Woche kommen kann. Inzwischen sind über hundert Pumpen angekommen, die man gerade im ganzen Land installiert. Alt-Havanna war besonders stark betroffen und die Leute dort mussten viel Wasser schleppen. Hoffen wir, dass die ganzen Installationen und Investitionen dort bald abgeschlossen sind und die Leute dort ein Problem weniger haben werden.
Beim Tourismus wird das angestrebte Ziel von dreieinhalb Millionen Besuchern auf jeden Fall nicht erreicht. Ende Juli waren es nicht ganz zwei Millionen. Neben den Russen kommen zwar jetzt auch die Chinesen wieder, aber es wird nicht genügen. Die Anzahl der Flugverbindungen reicht noch lange nicht an die Zeit vor COVID-19 heran. Hinzu kommt sicher unter anderem, dass die Europäer, die vorhaben, irgendwann mal in die USA zu reisen, sich ihren Besuch in Kuba gut überlegen. Da die Insel von den USA zu einem Staat erklärt wurde, der den Terrorismus unterstützt, kommt niemand, der ein einziges Mal am Strand von Varadero gelegen hat, mehr in den Genuss eines ESTA-Visums.
Alle hoffen, dass die Verträge, die unser Präsident bei seinen Besuchen in so vielen Ländern der Welt unterschrieben hat, sich bald positiv auf ihren Alltag auswirken. Politiker aus der ganzen Welt geben sich in Havanna die Klinke in die Hand. Sie sprechen sich zwar alle gegen die Blockade aus und Kuba bedankt sich dafür bei jedem. Offensiv dagegen vorzugehen, trauen sich aber nur die, die selbst sanktioniert wurden und nichts zu verlieren haben. Die anderen haben Angst, noch sind die USA zu mächtig.
So kämpften wir uns hier durch jeden Tag und wir schauten mit gemischten Gefühlen auf all die Staatsoberhäupter und Minister, die im September zum Treffen G77 plus China in die kubanische Hauptstadt kamen und fragten uns, ob das in der jetzigen Situation zu stemmen ist.
Fotos: Enrique González Díaz / Cubadebate
Renate Fausten
CUBA LIBRE 4-2023