Finstere Pläne der USA
Fabián Escalante Font hat 2022 eine erweiterte Neuauflage seines bereits 2006 erschienenen Buches "634 ways to kill Fidel" (Spanisch: "634 maneras de matar a Fidel") herausgegeben.
Der kubanische Autor war seit 1961 Mitglied einer Abteilung zur Abwehr von Angriffen auf revolutionäre Führungspersönlichkeiten. Er ist einer der Mitbegründer der sehr effektiven kubanischen Sicherheitsdienste und arbeitete dort über 36 Jahre in verschiedenen leitenden Positionen. Er gilt international als bestens informierter Experte für die meist verborgenen Machenschaften der Geheimdienste der USA – nicht nur in Bezug auf sein eigenes Land.
Es existierte ein US-Regierungsprogramm über verdeckte Anschläge und zur Zerstörung der kubanischen Revolution, welches am 17. März 1960 offiziell von der Eisenhower-Administration gebilligt worden war. Kuba registrierte 467 Verschwörungen zu Anschlägen gegen das Leben von Fidel Castro, die bereits in der Planungsphase aufgedeckt und verhindert werden konnten. 167 weitere Mordpläne wurden in fortgeschrittenen Stadien verhindert, viele ihrer Anstifter oder Ausführenden verhaftet und bestraft. Diese Fälle sind chronologisch in dem Buch aufgeführt, eine Reihe besonders exemplarischer Beispiele wird detailliert dargestellt. Dabei fügt der Autor auch fiktive Beschreibungen hinzu, um das Umfeld und die Mentalität der Attentäter zu veranschaulichen, ohne dies mit den harten Fakten zu vermischen.
Ein Prinzip dieser Mordpläne war, dass ihre Urheberschaft verborgen bleiben sollte. Die USA behielten sich vor, ihre Beteiligung jederzeit vor der internationalen Öffentlichkeit plausibel abstreiten zu können. Die Attentäter stammten zumeist aus dem exilkubanischen Milieu in den USA oder waren Gegnern der sozialistischen Entwicklung in Kuba selbst. Doch auch Gangster-Syndikate in den USA, die nach dem Sieg der Revolution ihre Pfründe auf Kuba verloren hatten, waren dabei. Viele der Beteiligten erhofften sich in dem hitzigen antikommunistischen und kubafeindlichen Klima des mächtigen Imperiums Ruhm und finanzielle Entlohnung, doch ihr Leben verlieren wollten sie dafür nicht. So scheiterten viele Anschläge in letzter Konsequenz, als die Attentäter erkannten, dass sie selbst unter den gegebenen Umständen aus dieser Sache nicht heil herauskommen würden. Sie gaben auf und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen, doch viele wurden ermittelt und verhaftet. Bezeichnend ist, dass sie dann kaum Widerstand leisteten. Anstatt als Märtyrer der "freien Welt" zu sterben, zogen sie es vor, Jahre oder Jahrzehnte in kubanischen Gefängnissen abzusitzen. Escalante beschreibt nur einen Fall, in dem sich ein in Kuba mit Booten eingesickerter CIA-Trupp mit einer Abteilung der Miliz konfrontiert sah. Eine wilde Schießerei brach aus, wobei zwei der Terroristen starben und die beiden übrigen verhaftet wurden.
Einige Geschehnisse haben auch komische Komponenten: Zwei Kubaner saßen während der Bootskrise von Mariel im Jahre 1980 (Zwischen dem 15. April und dem 31. Oktober reisten ca. 125.000 kubanische Staatsbürger in den Süden des US-Bundesstaates Florida. Fidel Castro hatte zuvor nach Protesten den Hafen Mariel öffnen lassen damit alle Kubaner, die gehen wollten, dies tun konnten. Dort wurden die Flüchtlinge eigens von aus Südflorida angereisten Helfern auf verschiedensten Wasserfahrzeugen zur Überfahrt in die Vereinigten Staaten abgeholt, die Redaktion) im Gefängnis und wurden unter der Bedingung freigelassen, dass sie das Land auf einem der aus den USA kommenden Boote verlassen würden. So gelangten sie nach Miami, wo sie jedoch wegen ihrer kriminellen Vergangenheit nicht Fuß fassen konnten. Sie ließen sich für einen Mordanschlag gegen Fidel anheuern. Die eigentlichen Drahtzieher der Aktion, mit denen sie dann nach Kuba zurückkehrten, bekamen dort jedoch kalte Füße und setzten sich ab. Die beiden Zurückgelassenen machten sich in ihrer misslichen Lage an einen campesino heran in der Hoffnung, bei ihm vielleicht eine Zeitlang untertauchen zu können. Als der Bauer, der Mitglied der Miliz war, erkannte, dass er es mit Konterrevolutionären zu tun hatte, überwältigte er die Strolche kurzerhand und lieferte sie gefesselt beim nächsten Polizeiposten ab.
Unter der Rubrik "Pleiten, Pech und Pannen" lässt sich der Plan einordnen, Fidel zu vergiften. Bereits 1962 wurden von der CIA Giftkapseln speziell für seine Ermordung entwickelt und – als Aspirin getarnt – mit Hilfe eines spanischen Diplomaten nach Kuba ins das Hotel "Havana Libre" gebracht. Dort verfügten Verschwörer über Komplizen unter der Belegschaft. Diese warteten ein Jahr vergeblich, denn Fidel Castro erschien nicht zum Essen. Doch eines Nachts kam er in die Cafeteria des Hotels, wo einer der Giftmischer gerade Dienst hatte, und bestellte einen Milchshake. Der Verbrecher hatte ständig eine der Pillen im Gefrierfach des Kühlschrankes parat. Der Schweiß brach ihm aus, als er unter den erwartungsvollen Blicken von Fidel und dessen Begleitern das Getränk zusammenrührte und gleichzeitig versuchte, die vermutlich festgefrorene Kapsel aus dem Eis zu pulen. Dabei zerbrach sie und der Inhalt lief aus. Fidel genoss seinen Drink und verließ das Hotel unbeschadet. Zwei Jahre später wurde der ganze Verschwörer-Ring ausgehoben und die Details kamen ans Licht. Ein Mafioso sagte später dazu in einer Anhörung vor einer US-Regierungskommission: "Castro schien über einen ganz besonderen Talisman zu verfügen."
Die hohe Frequenz der Anschlagspläne ist erstaunlich. Unter den zahllosen Namen tauchen einige häufiger auf, so der des notorischen CIA-Agenten Félix Rodríguez, der auch bei der Ermordung Che Guevaras in Bolivien dabei war. Oder der von den USA immer wieder in Schutz genommene Luis Posada Carilles, den Fidel Castro selbst als "feigen" und "in höchstem Maße skrupellosen Kriminellen" charakterisierte. Er steckte hinter dem Anschlag vom 6. Oktober 1976 auf ein kubanisches Verkehrsflugzeug, welches nach dem Start in Barbados durch eine Explosion zerstört wurde, wobei alle 73 Menschen an Bord ums Leben kamen. (Unter den kubanischen Opfern befanden sich die 24-köpfige Nationalmannschaft im Fechten, darunter meist Jugendliche, sowie einige hohe Funktionäre. Die Fechtmannschaft hatte in Guyana an einem karibisch-zentralamerikanischen Turnier teilgenommen, die Redaktion). Diesen Anschlag konnte Kuba nicht verhindern, da im Vorfeld keinerlei Hinweise vorlagen.
Wie erklärt sich die erfolgreiche Gegenwehr Kubas? Escalante: "Es ist nicht leicht zu verstehen, wie hunderte von Verschwörungen gegen Fidel Castros Leben gestoppt und neutralisiert wurden, ohne die außergewöhnliche Arbeit der daran beteiligten Personen zu berücksichtigen – der Männer und Frauen, die es schafften, feindliche Pläne aufzudecken, nicht nur in Kuba, sondern auch in den USA selbst. Die hunderte Männer und Frauen, welche sich in die Strukturen der CIA und konterrevolutionärer Gruppen einschleusten, oft ohne jede Ausbildung für die zu leistenden Aufgaben. Sie wurden zu den wahren Helden dieser Bemühungen."
Der Autor unterstreicht, dass die Subversion gegen sein Land weitergeht, "doch Kuba wird allen Intrigen gegen unsere Revolution widerstehen und sie aufdecken. Seine Feinde werden die noch nicht perfekte Gesellschaft, die wir gerade aufbauen, ebensowenig zerstören, wie sie Fidel niemals ermorden konnten. Sie machen immer wieder die gleichen Fehler. Die Geschichte Kubas und Lateinamerikas wird stets darüber Zeugnis ablegen." Eine höchst faktenreiche und spannende Lektüre, besonders auch für Menschen, die von dem beständigen Medien-Getöse über "Demokratie", "Rechtsstaatlichkeit", die angeblich "beste aller Welten", "westliche Wertegemeinschaft" usw. schon angenervt sind, den Glauben daran jedoch noch nicht völlig aufgeben wollen.
Wolfgang Mix
CUBA LIBRE 2-2023