Wie groß wäre die Beteiligung an einem Referendum über ein Familiengesetzbuch, wie es kürzlich in Kuba verabschiedet wurde, in einem anderen Land? Zweifelsohne, sehr niedrig. Im Jahr 2021 wurde in der Schweiz, einem Land mit einer langen Tradition der direkten Abstimmung, die gleichberechtigte Ehe mit einer Wahlbeteiligung von 52 % angenommen. In Italien erreichte das letzten Referendum, das fünf Konsultationen umfasste, nur 20 % der Bevölkerung.
Die erste Erfindung: eine hohe Stimmenthaltung
Es erscheint daher fast schon komisch, wenn man liest, dass die Wahlbeteiligung von 74 % beim kubanischen Referendum auf eine "hohe Enthaltungsquote" zurückzuführen sei. Das Argument: Beim letzten Referendum, bei dem die Verfassung angenommen wurde, lag die Wahlbeteiligung bei 84 %. Ein demagogischer Vergleich, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich die Themen sind: bei dem einen geht es um die langfristige politische Zukunft einer Nation, bei dem anderen um eine außergewöhnliche Ausweitung von Rechten, die aber für viele Menschen - in Kuba und in jedem anderen Land - kein zentrales Thema in ihrem Leben darstellt. Dies gilt umso mehr angesichts der gravierenden wirtschaftlichen Engpässe, die die Insel derzeit durchlebt.
Aber die Medien haben nicht nur die hohe Wahlbeteiligung in eine hohe Wahlenthaltung verwandelt, sondern auch einen überwältigenden Sieg für die Befürworter (66 %, doppelt so viel wie die Neinstimmen) in eine "hohen Stimmenzahl zur Abstrafung der Regierung". "Ein Referendum mit einer historischen Anzahl von Nein-Stimmen", so das spanische Fernsehen. "Wenn man Enthaltungen, Nein-Stimmen, ungültige Stimmen und leere Stimmen hinzurechnet (...) hat mehr als die Hälfte der Bevölkerung die von den Behörden geförderte Gesetzgebung nicht unterstützt", fügte El País hinzu. Dies ist die gleiche Botschaft, die die US-Regierung über ihr Netzwerk subventionierter Medien verbreitet. So titelte "Diario de Cuba": "Mehr als vier Millionen Kubaner haben Nein zum Sozialismus" gesagt.
Neues Familiengesetzbuch |
Aber sehen wir uns die Daten genauer an. Bereits bei der vorangegangenen Volksbefragung, bei der der Kodex in den Stadtvierteln und Fabriken diskutiert wurde, gab es einen hohen Prozentsatz von Menschen, die zwar die Revolution unterstützen, sich aber aus konservativen moralischen Positionen heraus gegen den Text ausgesprochen haben. Ein hoher Prozentsatz der Nein-Stimmen war also nicht als Ablehnung des Systems oder der Regierung zu verstehen. Natürlich gab es neben dem Nein auch konterrevolutionäre Stimmen und einen höheren Prozentsatz an "Entladungsstimmen", die sich aus der extrem schwierigen wirtschaftlichen Lage ergaben. In jedem Fall gewann das von der Regierung unterstützte Ja haushoch, mit doppelt so vielen Stimmen wie das Nein.
Die zweite Erfindung: erfundene Gebärmütter
Andererseits haben Medien wie die spanische Zeitung "Público" als Plattform für Angriffe auf das Familiengesetzbuch gedient, und zwar aus vermeintlich "progressiven" Positionen. "Es gibt bereits eine Leihmutterschaft in Kuba", so lautete die Überschrift eines Artikels von Cristina Fallarás, in dem sie ungestraft lügt: "Das Paket dieses Gesetzes beinhaltet auch die Genehmigung der Leihmutterschaft", lesen wir. Falsch: Die "solidarische Schwangerschaft", die im kubanischen Gesetzbuch zugelassen ist, verbietet jede Zahlung oder Leistung, wie sie für die so genannte "Leihmutterschaft" typisch ist. Sie ist nur zwischen Verwandten und innerhalb der Solidargemeinschaft erlaubt und muss ein Verfahren mit Garantien und gerichtlicher Genehmigung durchlaufen. Man kann diesem Modell zustimmen oder es ablehnen, darf aber auf keinen Fall lügen.
In einem Bericht im demselben Medium und mit demselben Ton der Überheblichkeit bezeichnete Marisa Kohan die kubanische "solidarische Schwangerschaft" als "Euphemismus" für die "reproduktive Ausbeutung von Frauen" und stützte sich dabei ausschließlich auf die Meinung europäischer Juristen und Soziologen. Warum sollte man auch kubanische Juristen, Soziologen und Feministen fragen? Am komischsten war jedoch ihr Interview mit der "Expertin" Ana Trejo, die behauptete, dass in Kuba "nur wenige Frauen bereit sind, eine solidarische Schwangerschaft durchzumachen", "ohne eine Entschädigung zu erhalten", die es ihnen ermöglichen würde, "Schulden zu begleichen" oder "ihre Kinder erziehen zu können". Ihre Kinder erziehen zu können! Was für ein außergewöhnlicher Einblick in die Realität Kubas, wo die Bildung - einschließlich der Hochschulbildung - völlig kostenlos ist.
Es spielt keine Rolle, dass das Familiengesetzbuch das kollektive Werk tausender militanter Feministinnen und LGTBIQ+-Aktivistinnen ist, dass es von Dutzenden von Kollektiven und Studienzentren beraten wurde, dass es von sechs Millionen Menschen in 79.000 öffentlichen Versammlungen diskutiert und geändert wurde, in denen übrigens die so genannte "Gebärmutter zur Miete" abgelehnt wurde. Nein, die kubanischen Feministinnen müssen Trauer tragen, denn die arrogante und neokoloniale Metropole hat ihnen noch nicht den nötigen Segen erteilt. Amen.
José Manzaneda, Koordinator von cubainformacion.tv
Übersetzung: Klaus Lehmann/Tobias Kriele
CUBA LIBRE 1-2023