Explosionen, Brände, Hurrikan

Die Katastrophen reißen nicht ab.

Das Jahr 2022 macht dem Land schwer zu schaffen. Die sowieso schon komplizierte Lage wird durch die immer wieder auftretenden Katastrophen in jeder Hinsicht noch dramatischer, denn neben dem schmerzlichen Verlust an Menschenleben reißen all diese Vorkommnisse Löcher ins Budget des Staates und führen zu Belastungen insbesondere natürlich bei den direkt Betroffenen, aber letzendlich bei der Bevölkerung im Allgemeinen.

So kamen bei der Gasexplosion im Saratoga Hotel in Alt-Havanna am 6. Mai 47 Menschen ums Leben und über 50 wurden verletzt. Das Hotel und die umliegenden Gebäude wurden schwer beschädigt, müssen teilweise abgerissen oder kostspielig restauriert werden. Das Kapitol von Havanna wurde glücklicherweise nur leicht beschädigt und die in Mitleidenschaft gezogenen nahe gelegene Grundschule ist zur Freude aller Kinder schöner als zuvor wieder restauriert worden. Obwohl es auf den ersten Blick gar nicht so aussah, wurde das Theater Martí, ein mit viel Liebe vor nicht allzu langer Zeit restauriertes Kleinod, sehr schwer beschädigt. Insbesondere die Deckenkonstruktion muss völlig erneuert werden, ein äußerst kostspieliges Unterfangen. Die Menschen in den neben dem Hotel gelegenen Mehrfamilienhäusern mussten untergebracht und versorgt werden. Nur eines davon kann repariert werden. Diejenigen, die dort gewohnt haben, standen von einer Minute auf die andere vor dem Nichts. Sie waren sicher erst einmal froh, mit dem Leben davon gekommen zu sein, aber alles im Laufe des Lebens mühsam Erworbene gab es nicht mehr. Es kommt dann immer zu einer Welle der Hilfsbereitschaft für die "damnificados", aber trotzdem ist deren Leben erstmal aus dem Lot.

Treibstofflager in Matanzas Kaum hatte das Land begonnen, sich etwas von dieser Katastrophe zu erholen, als am 5. August ein Blitz in das Treibstofflager in Matanzas einschlug und einen Tank in Brand setzte. Als am Morgen des nächsten Tages ein zweiter Tank explodierte, wurden 14 Feuerwehrleute davon überrascht und ihre sterblichen Überreste konnten erst nach Löschen des gesamten Brandes geborgen werden. Auf eine solche Katastrophe war das Land nicht vorbereitet, dabei konnte man auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen. Ohne die Hilfe Mexikos und Venezuelas, die sofort Schiffe und Flugzeuge mit Materialien, Schaum, Hochdruckpumpen und ihre Experten schickten, wäre man der Katastrophe nicht Herr geworden. Die Lage war wirklich verzweifelt, weil man nicht wusste, wie man sie beherrschen konnte. Hubschrauber flogen in halsbrecherischen Missionen über den Tanks, um sie mit Wasser zu kühlen. Selbst auf der gegenüberliegenden Seite, mit dem Meeresarm dazwischen, war die Hitze noch zu spüren. Viele Leute merkten erst viel später, dass sie Verbrennungen erlitten hatten. Das Öl eines Tanks wurde in ein mexikanisches Tankschiff gepumpt, was ein Glück war, denn zum Schluss geriet auch dieser Tank durch ausgelaufenes Öl in Brand. Durch den wirklich heldenhaften Mut der kubanischen Feuerwehrleute und der Hilfe von Experten und Material und Ausrüstung aus Mexiko und Venezuela konnte eine Strategie erarbeitet werden, die es ermöglichte, dem Inferno ein Ende zu setzen. 17 Hilfsflüge aus Mexiko und Venezuela erreichten Matanzas in diesen drei oder vier Tagen. Die USA, die große Erfahrung mit Ölbränden haben, boten telefonische Beratung an!!! Leider ließ sich damit ein solcher Brand nicht löschen.

Treibstofflager in Matanzas
Einen Brand, wie den des Treibstofflagers in Matanzas gab es bisher noch nicht in Kuba.
Fotos: TV Yumuri (linke Seite), Ricardo López Hevia / Granma


Inzwischen gehören die dunklen Rauchwolken, die bis Havanna reichten, der Vergangenheit an, die Evakuierten sind wieder in ihre Häuser zurückgekehrt, aber bei vielen hat der verheerende Brand körperliche und seelische Narben zurückgelassen. Man ist jetzt dabei, die 3000 Tonnen Stahl zu bergen, die die Katastrophe hinterlassen hat und wird mit der Hilfe von Venezuela ein neues Treibstofflager mit anderen Sicherheitsvorkehrungen errichten. Aber den Verlust einer solchen Menge an Treibstoff und das Geld, das für die Errichtung eines neuen Terminals erforderlich ist, muss das Land erst einmal verkraften.

Die Spur des Hurrikans Ian über Kuba

Die Spur des Hurrikans Ian über Kuba
Grafik: INSMET


Ende September suchte uns dann Hurrikan Ian heim. Glück im Unglück war es zwar, dass er "nur" auf den Westen Kubas traf und nicht wie Irma auf der ganzen Insel wütete. Aber das half den Bewohnern in Pinar del Rio nur insoweit, als alle Provinzen Facharbeiter, Maschinen etc. dorthin schicken konnten, weil sie selbst verschont geblieben waren. Es ist immer ergreifend, wenn man abends im Fernsehen die Menschen vor ihren völlig zerstörten Häusern sieht – in Tränen aufgelöst oder wie versteinert. Wenn man weiß, wie viele Mühen und Arbeit es die einfachen Menschen gekostet hat, zu diesem bescheidenen Wohlstand zu gelangen und in einer Nacht ist alles verloren.



Nach dem Hurrikan

Nach dem Hurrikan
Foto: Artemiseño / Cubadebate

Wie Sisyphos muss man immer wieder von vorn anfangen und hoffen, dass einen der nächste Hurrikan nicht überrollt, denn gerade die Provinz Pinar del Rio ist besonders am Ende der Saison bevorzugtes Ziel der Wirbelstürme. Jetzt mussten von überallher Dachbedeckungen, Zement, Steine und andere Baumaterialien herbeigeschafft und die Verteilung organisiert werden. Einem Bewohner der Provinz war es so ein dringendes Bedürfnis zu helfen, dass er bei sich zu Hause damit begann, Steine herzustellen, in seinem Hof zu lagern und zum Selbstkostenpreis den Geschädigten zu verkaufen. Als Präsident Díaz-Canel bei seinem siebten Besuch in der Provinz seit dem Hurrikan von dem Mann erfuhr, wollte er ihn unbedingt kennenlernen. Der Mann war dann so bewegt, dass der Präsident ihn besuchte, dass er in Tränen ausbrach und es einige Zeit dauerte, bis er sich wieder beruhigte.

Diejenigen, die als vulnerabel gelten, erhalten die Materialien zur Instandsetzung ihrer Häuser gratis aus den Spenden und Hilfslieferungen, die Kuba aus Ländern wie Venezuela, Mexiko, China und von Soli-Organisationen erreichten. Die übrigen bekommen sie zu 5o % Ermäßigung und sie können unbürokratisch günstige Darlehen in Anspruch nehmen. Den größten Widerhall in den Medien fand aber die Spende von zwei Millionen Dollar aus den Vereinigten Staaten. Es hat sie sicher viele Klimmzüge gekostet, um ihre eigenen Maßnahmen zu umgehen und das Geld über das Rote Kreuz nach Kuba zu transferieren. Eine riesige Sache – zwei Millionen Dollar von der US-Regierung. Da war doch Dankbarkeit angesagt und da konnte man doch glatt vergessen, dass die Blockade, die sie über uns verhängen, uns jeden Tag 15 Millionen Dollar kostet.

Aber Kuba muss nicht nur das Geld für die Restaurierung von Wohnungen, Straßen, Krankenhäusern, Schulen, Anlagen etc. aufbringen. Pinar del Rio ist die Provinz des besten Tabaks der Welt und auch hier muss mit Verlusten gerechnet werden, genauso wie beim Export von Honig.

Aber dieser spezielle Hurrikan hatte es in sich. Aufgrund der durch den Hurrikan bedingten Stromabschaltung in vier Provinzen im Westen der Insel kam es irgendwie zu einem Stabilitätsproblem. Es wurde dort im Westen wohl zu viel Strom erzeugt und zu wenig verbraucht und im Osten des Landes passierte genau das Gegenteil. Dadurch wurde das gesamte System gespalten, alles brach zusammen und plötzlich versank ganz Kuba in Dunkelheit. Nun ist jeder hier daran gewöhnt, dass bei einem Hurrikan der Strom abgeschaltet wird und dann aber relativ schnell, wenn kein umgefallener Baum die Leitung unterbrochen hat, wieder eingeschaltet wird. Dieses Mal aber war es anders. Da das Stromnetz völlig zusammengebrochen war, konnte es nur allmählich und schrittweise wiederhergestellt werden und das brauchte seine Zeit. In der Provinz Pinar del Rio war auch nach einem Monat die Stromversorgung noch nicht wieder hergestellt. Das Problem war aber dieses Mal, dass es auch in Provinzen, die nicht oder wenig von Ian betroffen waren, wie z. B. die Hauptstadt Havanna, lange dauerte. Das ist nicht nur unangenehm, sondern in vielen Fällen auch fatal. So gab es kürzlich bei uns im Betrieb einen Verkauf von unter anderem einer großen Menge an tiefgefrorenen Hähnchenschenkeln, die logischerweise in Tiefkühltruhen auf ihre Zubereitung warten. Bis zu drei, vier Tagen ohne Strom geht das gut, wenn man die Tür des Gefrierfachs nicht aufmacht. Aber dann ging der Hähnchentourismus los. Man rief Freunde und Bekannte an, die zu den Glücklichen gehörten, die bereits wieder ans Stromnetz angeschlossen waren und erkundigte sich nach deren Tiefkühlkapazitäten und wenn diese vorhanden waren, konnte man erst einmal aufatmen. Andere Unannehmlichkeiten wie fehlendes Wasser wurden durch Tankwagen behoben, aber auch das ist natürlich beschwerlich, da man die gefüllten Kanister dann nach oben schleppen muss. In einigen Vierteln Havannas regte sich dann auch bald Unzufriedenheit. Die Leute schlugen mit Löffeln auf Töpfe und der Lärm war weithin zu hören. Andere errichteten Straßensperren, indem sie selbst die Straßen, z. T. Wichtige Zufahrtsstraßen, blockierten oder aber Äste von umgefallenen Bäumen dafür benutzten. Die Lage war nicht entspannt.

Am letzten Septembertag begannen wir unseren Familienurlaub in Varadero mit Kindern und Enkeln. Dort gab es dann kein Problem mehr mit der Elektrizität und von Mangel war dort auch nichts zu spüren. An zwei Tagen schien zwar das Mehl ausgegangen zu sein, was dazu führte, das es keinerlei Form von Brot gab, aber ansonsten konnten wir schwelgen, was uns schon manchmal ein schlechtes Gewissen machte. Irgendwie fühlte sich alles nicht wie Kuba an. Erfreulich war, dass das Hotel sich nach und nach füllte und Besucher aus aller Herren Länder vertreten waren. Vor allem viele Kanadier (englisch und französisch sprechende), Portugiesen, Spanier, Deutsche und sogar Polen. Touristen aus Lateinamerika – Uruguay, Paraguay, Argentinien, Mexiko- und Anfang Oktober war man dann hier ganz begeistert über die ersten zwei Flugzeuge aus Russland, die nach 12 Stunden Flug in Varadero gelandet waren.

Vielleicht klappt das ja doch noch mit den 2,5 Millionen Touristen in diesem Jahr, obwohl man inzwischen auch seine Erwartungen offiziell auf 1,7 Millionen zurückgeschraubt hat.

Zurück in Havanna war wieder Normalität eingekehrt. Wasser- und Stromversorgung waren wie immer, alle hatten sich beruhigt. Das bedeutet zwar nicht, dass es keine Probleme mit der Elektrizität mehr gab, aber man konnte sich jetzt wenigstens wieder darauf einstellen.

Damit das funktioniert ist die Stadt Havanna in vier Blöcke eingeteilt.

So sieht der Plan für unseren Block aus. Für die andern drei Blöcke entsprechend. Das Fernsehen hat sich darauf eingerichtet und wiederholt die für das Wohlbefinden der Kubaner so wichtige Telenovela zu verschiedenen Zeiten, damit auch niemand eine Folge verpasst. In der Regel wird der Plan eingehalten. Manchmal hat man Glück und der Strom kommt früher, manchmal hat man Pech, wie wir an einem Dienstag, als wir eigentlich nur im Notfall abgeschaltet werden sollten, dann aber von 18 Uhr bis um 2 Uhr morgens schwitzten und nicht schlafen konnten, weil die anderen auch nicht schliefen und die Nacht zum Tage machten. Aber damit lässt sich leben. Vielleicht solltet ihr in Deutschland einen ähnlichen Plan für den Winter machen. Ihr könntet ja bei uns nachfragen. Wir helfen sicher gerne.

Aber dies ist der Plan, wenn es zu Problemen in Kraftwerken kommt, was leider nicht selten der Fall ist. Wenn nicht, kann man durchaus eine Woche ohne irgendwelche Einschränkungen erleben.

Ansonsten hoffen wir, dass es zu keinen weiteren Katastrophen kommt und wir die bisherigen stemmen können. Die Inflation ist weiterhin nicht im Griff: Es ist viel mehr Geld im Umlauf, als es Waren gibt. Aber es wird weiter an allen Fronten gekämpft und es gibt viele erfolgversprechende Projekte. Ohne Blockade gehen Schätzungen davon aus, dass Kubas BPI ein Wachstum von 4,5 % aufweisen würde.Aber die Blockade gibt es nun einmal und es sieht nicht so aus, als ob sich daran bald etwas ändern würde. Darauf dürfen wir jedenfalls nicht hoffen.Deswegen müssen wir darauf setzen, dass die vielen Maßnahmen, die getroffen wurden, Wirkung zeigen und – wie Präsident Díaz-Canel sagt – kreativ Widerstand leisten und dabei auf die weltweite Solidarität zählen.

Nun könnte man glauben, dass die USA inzwischen nun wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft hätten, uns Schwierigkeiten zu machen. Aber nein, es geht immer noch etwas. Nun verfügen der Westen und insbesondere die USA über unglaublich viele finanzielle und technische Mittel, um die Welt mit ihrer Sicht der Dinge zu überschwemmen. Das kleine Kuba hat weder das eine noch das andere und seine Möglichkeiten, sich in den Netzen Gehör zu verschaffen sind nun wirklich sehr begrenzt. Aber für die Mächtigen, die der ganzen Welt ihre Sicht der Dinge mit aller Wucht aufoktroyieren, offensichtlich immer noch nicht begrenzt genug. Um seine Maßnahmen zu rechtfertigen, hat Twitter die Rubrik "Mit Regierungen verbundene Medien" geschaffen: Juventud Rebelde, Radio Rebelde, Cubadebate, die Tageszeitung Granma, Trabajadores, Canal Caribe, Radio Havana Cuba wurden entsprechend markiert. Dies bedeutet aber nicht nur, dass der Leser diese Information erhält, sondern auch, dass ein Algorithmus dafür sorgt, dass Inhalte aus diesen Medien nirgendwo auftauchen. Kubas Stimme soll unsichtbar gemacht werden. Der Chefredakteur von Granma Internacional, dessen Profil ebenfalls gesperrt wurde, sah darin im Vorfeld mit der Abstimmung in der UNO über die Blockade im November 2022 einen Zusammenhang mit dieser.

Zwei Tage später wurden dann die Accounts der Fernsehprogramme Cuadrando La Caja, vom Projekt Cuba Joven und Con Filo gesperrt.

"Ihr Account ist permanent gesperrt.

Nach einer detaillierten Überprüfung, stellten wir fest, dass dein Account die Regeln von Twitter nicht erfüllt. Jetzt ist dein Account in dem Modus "Nur noch Lektüre" was bedeutet, dass du keine Tweets mehr absetzen oder Inhalte retweeten oder die Funktion – gefällt mir – nutzen kannst. Du darfst auch keine neuen Accounts schaffen. Wenn du der Auffassung bist, wir hätten einen Irrtum begangen, kannst du einen Antrag auf Überprüfung senden".

Con Filo hat darauf wie folgt reagiert: "Facebook, Twitter, zu Ihrer Information, dies ist Con Filo, ein Informationsmedium der Regierung, um, mit kommunistoiden Schattierungen, die Nachrichten, die Fakten, die Meinungsmatrix zu zeigen, die in den Medien und in den Netzen des Imperialismus über die kubanische Realität zirkulieren." All das zeigt aber auch, dass man anscheinend Angst vor Kuba hat. Warum in aller Welt, würde man sonst einen solchen Aufstand für einen so geringen Anteil an Medien im großen Internet machen? Sehen sie wirklich Kuba für so gefährlich an?

Wie auch immer. Wenn sie uns hier unsichtbar machen wollen, seid ihr umso mehr gefordert.

CUBA LIBRE Renate Fausten

CUBA LIBRE 1-2023