Fallstricke der "Monetarisierung"
Diesmal rutschte uns die Frage heraus, ohne dass uns schnell genug eine Leserinnenbriefschreiberin einfiel … "WTF! Doc, wie kann es sein, dass jemand, der sich zur Kuba-Soli zählen lässt, auf seinem Blog Werbung für Webseiten der Kontras macht? Guckst Du Dir das mal an, Doc?" Wir hörten (fernmündlich), dass der Doc sein Kaltgetränk zur Seite stellte und losklickte. "Der Hammer, ja. Aber so geht es Leuten, die schnell mal ’nen Cent mit Gedöns verdienen wollen." Was das damit zu tun habe? "Na, ich schreib’s mal auf", murmelte er.
Liebe Redaktion, dass einer, der auf dem UZ-Pressefest im Sommer 2022 eine Veranstaltung mit dem Titel "Kubanische Ökonomie" abhielt, auf seinem Blog Werbung für Kontra-Webseiten macht, irritiert auch mich.
Es war auf dem Blog "Cuba heute" vom Master für Interdisziplinäre Lateinamerikastudien Marcel Kunzmann.[1] Es ist ein Blog-Eintrag über VPNs ("Virtuelle Private Netzwerke") und wofür man sie nutzen kann. Er richtet sich an deutsche Nutzer, die damit "auch in Kuba ZDF gucken können". (Kurzes Gekicher) Löblich ist der Beitrag, weil auch grob skizziert wird, wieso man ein VPN braucht. Gegen Ende heißt es dann: "Während die meisten Websites und Social Media Portale [in Kuba] von Regierungsseite her keiner Einschränkung unterliegen (…) sind Nachrichtenportale der Dissidentenbewegung wie z. B. Cibercuba oder 14ymedio gesperrt. Auch diese lassen sich mit einem VPN lesen." (O… kay) Das ist für deutsche Leser? Aber die können von hier ohne Probleme auf diese reaktionären Seiten gucken! Warum soll eine deutsche Nutzerin ein VPN einrichten, um in Kuba Webseiten der Kontras aufzurufen? Also eigentlich ist das für den Inhalt des Blogbeitrags ziemlich irrelevant. – Der einzige rational denkbare Grund, auf diese Seiten aufmerksam machen zu wollen, ist – Werbung.
Werbung für Kontra-Propaganda? Marcel Kunzmann ein Agent der Konterrevolution? Möglich ist Vieles. Aber die Erklärung ist wohl einfacher und kommt ohne Agentenvermutung aus.
Mein Lieblingswerkzeug gegen Verschwörungsgeraune ist "Occams Razor"[2] (klar – als ausgebildeter Physiker). Vereinfacht: Von mehreren möglichen hinreichenden Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen (weil: sie ist in der Regel die richtige).
Ich tippe deswegen auf die "Monetarisierungsfalle": "Schnell mal noch ein paar Cent im Netz abgreifen." Und vor der möchte ich die interessierte Leserschaft, die Kuba-Freunde, warnen. Auch wenn es schnell ein paar Cent oder gar Euro einbringen kann – ihr könnt euch genauso schnell den Ruf ruinieren. Und ist der Ruf erst ruiniert, ist es Nichts mehr mit Klickzahlen (und öffentlichen Auftritten, die zu Klickzahlen führen).
Die einfachste und daher auch wahrscheinlich richtige Theorie ist wohl: Die Werbung für die Kontras ist aufgrund von Dummheit und Schludrigkeit durchgerutscht. Wann immer ich mir in den letzten Jahren Kunzmanns Beiträge zur "Kubanischen Ökonomie" durchgelesen habe, hatte ich das Gefühl, dass da jemand oberflächliches ökonomisches Halbwissen mit einer Chuzpe und gehöriger Selbstüberschätzung präsentiert, die von fehlendem Verständnis ablenken soll. Das mag daran liegen, dass ich als Volkswirt sowohl die bürgerlichen Theorien als auch die Theorien Marxens zur Ökonomie erarbeitet habe, und ich, vermutlich überheblich, Dilettanten der Ökonomik einteile in "sich bemühende" und "effekthaschende". Dilettieren ist ja per se nichts Schlechtes. Ich selbst dilettiere auch hin und wieder in "Geschichte und Politik", ohne Gesellenbrief. Selbstüberschätzung allerdings ist ein "slippery slope". Auch für die Beschäftigung im und mit dem Internet.
Die einfachste Hypothese ("Dummheit und Schludrigkeit") findet Bestätigung am Ende des Blogeintrags: "Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Privacy Tutor, die sich der Vermittlung von Kenntnissen im Bereich Netzsicherheit und Datenschutz widmen." (Oje) Einen Klick weiter landet man dann bei "einem jungen Pärchen aus dem Schwarzwald", das Werbung für drei VPN-Anbieter macht und bittet, die Provisionslinks zu klicken. (Yeah!) Stammt M. K. Eigentlich aus dem Schwarzwald? War es ein "Freundschaftsdienst"? Für die Hypothese, die sich langsam zur Theorie entwickelt, ist das nicht weiter relevant. Interessant ist, dass dieser Beitrag wohl nicht von Marcel Kunzmann verfasst wurde, sondern anscheinend von dem besagten Pärchen. Die werden sich, so stelle ich mir das vor, gedacht haben, "die Adressaten sind Kuba-Interessierte, also bauen wir mal was zu Kuba ein". Das ist so etwa das, was man auf diesen "Make Money Fast with Internet"-Seiten empfohlen bekommt und passt zu "Wenn Ihr diesen Link klickt, bekommen wir ein paar Cent Provision." Marcel hat zu verantworten, das ungeprüft und unredigiert in sein Blog übernommen zu haben. Aber – war das so, oder wusste er um die Kontra-Werbung? Darüber kann ich nur spekulieren.
Ein Blick auf LinkedIn ist da interessant. Marcel Kunzmann hat das Internet für sich entdeckt! (Ojeoje) Seit April 2022 ist er Leiter der "Lehrer News"-Redaktion, und will "Lehrkräften helfen, den digitalen Wandel zu bewältigen." … eine Website der "ZDG gGmbH". (Okay – diese Seite würde ich jetzt nicht für Lehrer empfehlen, aber was-weiß-ich-schon. Mag sein, die Lehrer fallen in ihrer digitalen Verzweiflung auch auf Clickbait rein.) Kunzmann feierte dort im August 2022: "Die neue Website wurde insbesondere mit Blick auf eine zeitgemäße Optimierung mobiler Endgeräte optimiert."[3] (Ja, neee, ist klar!)
Wieso nur muss ich bei solchen Sprüchen, wie sie mir alle neuerfundenen "Ratgeberseiten" um die Ohren hauen, immer an "Make Money Fast" denken?
Drei Monate nach seinem Einstand bei diesem hochprofessionellen Webangebot, im Juli 2022, erschien die Werbung für die Kontras auf seinem Blog.
Unter dem persönlichen Eindruck, dass Kunzmann seine Arbeit als Internet-Evangelist mit ähnlichem Verve und ähnlichem Verständnis erledigt, wie seine ökonomischen Ausflüge, scheint die Theorie, dass es sich bei dem Werbeeintrag für die Kontra-Seiten um einen dummen Lapsus handelte, absolut hinreichend für eine Erklärung. Dieses Zeug durch einen "Agenten der Konterrevolution" zu erklären, ist viel zu kompliziert. Was aber bleibt ist: De facto war es Werbung für reaktionäre Webseiten.
Liebe "Digital Natives": Wenn ihr überlegt, wie ihr Geld für eure verdammt zeitaufwendige Arbeit bekommen könnt ("Monetarisierung"), und wenn ihr dann annehmt, dass Cents verdienen über Affiliate-Links eine gute Idee sei (was es nicht so echt ist): Schaut darauf, was in dem Zeug, das Euch "Partner" liefern, steht. Und, Webhamster: Seid auch so mutig, zu sagen "den Scheiß nicht".
Wenn ihr, wovon ich ausgehe, Inhalte, Analysen, Erklärungsseiten erstellt, die den Leser:innen gefallen, ihnen helfen oder sie einfach unterhalten: Seid so mutig, um Spenden zu bitten. Das ist seriös, das machen seriöse Seiten. "Affiliate-Links" ("Provisionslinks") haben zu Recht den Gestank von Unseriösität (Klickfallen).
Und auch wenn ihr euch wie "Digital Natives" fühlt, wie das Pärchen aus dem Schwarzwald, dem Marcel aufgesessen ist oder mit ihnen gemeinsame Sache macht: Vermeidet, zu "Digital Naives" zu werden, und zum Allewelt-Erklärer. Beliebigkeiten sind kein "Content", dafür wird niemand spenden, deswegen die Klickfallen. Und die 15 Minuten Ruhm sind schnell vorbei, sobald jemand sieht, dass der Kaiser nackt ist.
Euer Dr. Herbst
dr.herbst@kneipe.de
P. S.: Klar benutze ich auch VPNs. Aber ich sag keinem, wofür. :)
[1] weil es zunächst unglaublich scheint, habe ich die Seite auf archive.org archivieren lassen, falls sie auf dem besagten Blog verschwunden ist (zul. abgerufen am 26.9.22) findet ihr sie unter dem kurzlink https://t1p.de/kontrawerbung Der URL-Verkürzer "t1p.de" ist datenschutzkonform.
[2] https://de.wikipedia.org/wiki/Ockhams_Rasiermesser
[3] https://t1p.de/kunzmann-ln
-hei
CUBA LIBRE 4-2022