Erinnerung an die Erfolge der Alphabetisierung auf Kuba.
Gleich zwei Feiertage in der zweiten Jahreshälfte ermuntern dazu, sich mit dem Thema Alphabetisierung zu befassen:
Der Weltalphabetisierungstag (engl. World Literacy Day, auch Weltbildungstag) wird am 8. September begangen. Der Tag soll jährlich an die Problematik des Analphabetismus erinnern.
In Kuba wird zusätzlich am 22. Dezember der "Tag des Lehrers" gefeiert, um an die rund 270.000 freiwilligen Helfer der Alphabetisierungskampagne zu erinnern. Dies waren freiwillige (ausgebildete) Pädagogen, auch eine größere Anzahl bereits im Ruhestand befindlicher, die noch einmal reaktiviert wurden sowie Brigaden aus Kindern und Jugendlichen, die gut 37 Prozent der gesamten Helfer ausmachten. Die große Beteiligung so junger Menschen an einem derart ehrgeizigen und kühnen Projekt war etwas Spektakuläres, ja Sensationelles. Ebenso bemerkenswert war die Konzeption: Tagsüber unterstützten die Helfer die Bauernfamilien, bei denen sie lebten, abends wurde beim Schein der Laternen gelehrt und gelernt. Die Laterne wurde so zum Symbol einer Kampagne, die auch in anderer Beziehung Licht ins Dunkel brachte. Durch das Projekt konnte sich Kuba als erstes Land Lateinamerikas und der Karibik vom Analphabetismus befreien. Am 22. Dezember 1961, dem Tag, an dem Kuba sich nach nur einem Jahr frei vom Analphabetismus erklären konnte, betonte Fidel in seiner Rede auf der Plaza de la Revolución die historische Dimension: "Es gibt keinen feierlicheren und ergreifenderen Moment, keinen Moment größeren Jubels, keine Minute legitimen Stolzes und Ruhmes als diesen, in dem viereinhalb Jahrhunderte der Ignoranz niedergerissen wurden."
Fidel hat in seiner Rede im Lehrerbildungszentrum Sierra Maestra in Minas del Frío, am 17. Juni 1962 die besondere Rolle der Lehrer gewürdigt: "Was ist das Wichtigste für eine Revolution, die beabsichtigt, das Leben eines Landes radikal zu verändern und eine neue Gesellschaft aufzubauen? Der Lehrer, Genossinnen und Genossen, der Lehrer ist das Wichtigste in einer Revolution".
Wie recht Fidel damit hatte, zeigte nicht zuletzt der erbitterte Kampf der Gegner der Revolution gegen die Alphabetisierung, die auch nicht davor zurückschreckten, deren Helfer zu ermorden. Miguel Mejides legt davon ein eindringliches literarisches Zeugnis ab in "Narben in der Erinnerung. Erzählungen über vier Jahrzehnte Terrorismus gegen Kuba." Als intellektuelle Stimme Kubas malt er keine Schreckensbilder, sondern gibt den Opfern der konterrevolutionären Gewalt ein Gesicht.
Die Erfolge der Alphabetisierung in Kuba sind aber nicht nur historisch. Solidarisch und im besten Sinne internationalistisch verallgemeinerte Kuba seine positiven Erfahrung und mit der Methode "Yo, sí puedo" (Ja, ich kann das) unterstützt es seitdem viele Länder bei der Alphabetisierung. Das Programm besteht aus 65 Video-Unterrichtseinheiten, einer einfachen Fibel und dem Handbuch für den Alphabetisierungshelfer. Seit 2003 ist es in 30 Ländern weltweit zum Einsatz gekommen und hat über zehn Millionen Menschen das Lesen und Schreiben beigebracht.
Die UNESCO hat, zusammen mit anderen internationalen Organisationen, den selbstlosen Einsatz Kubas mittels der Anwendung und Wirksamkeit des Alphabetisierungsprogramms "Yo, sí puedo" mehrfach anerkannt und dem Land im Jahr 2002 und 2003 zwei Ehrenauszeichnungen des Preises "König Sejong" verliehen sowie im Jahr 2006 an das IPLAC (Pädagogisches Institut für Lateinamerika und die Karibik).
Der UNESCO King Sejong Literacy Prize (UNESCO-König-Sejong-Alphabetisierungspreis) ist einer der beiden internationalen Preise für Alphabetisierungsprojekte, die die UNESCO jährlich verleiht. Der Preis, mit dem Regierungen, Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) für ihre Verdienste in Sachen Alphabetisierung ausgezeichnet werden können, ist mit einer Summe von 20.000 US-Dollar dotiert und wird jeweils mit einer Silbermedaille und einem Zertifikat überreicht.
Mit knapp 13 Prozent des BIP investiert der kubanische Staat laut Angaben der Weltbank so viel in Bildung wie kein anderes Land weltweit.
Wie ist die Situation im reichen Industriestaat Deutschland?
Laut dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) können 6,2 Millionen Menschen oder 12,1 Prozent der Bevölkerung nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben und mehr als 60 Prozent aller Betroffenen besitzen keinen oder einen niedrigen Schulabschluss. Der Soziologe Werner Seppmann stellte schon vor Jahren in seinen Buch "Dialektik der Entzivilisierung" fest, dass in der BRD 25 Prozent eines Schuljahrgangs diese als funktionale Analphabeten verlassen.
Marion Leonhardt
CUBA LIBRE 4-2022