Weiterhin Anzeichen für allmähliche Erholung der kubanischen Wirtschaft.
Neuanfang: Der Tabakanbau wurde durch den Wirbelsturm Ian besonders getroffen. |
Während der turnusgemäßen Tagung der Nationalversammlung der Volksmacht war – neben einer Vielzahl von weiteren Themen – die Lage und Entwicklung der kubanischen Wirtschaft Gegenstand der Erörterungen. Alejandro Gil Fernández, stellvertretender Premierminister und Minister für Wirtschaft und Planung, berichtete den Abgeordneten.
Allgemeine wirtschaftliche Entwicklung
Ende des Jahres 2021 wurde ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,3 Prozentpunkten verzeichnet. Das für das vergangene Jahr geplanten Wachstum von 2 Prozentpunkten wurde somit nicht erreicht, aber nach zwei Jahren des wirtschaftlichen Rückgangs begann ein Erholungsprozess.
Der Minister erinnerte daran, dass die Wirtschaft im Jahr 2017 um 1,8 Prozentpunkte und im Jahr 2018 um 2,2 Prozentpunkte gewachsen sei. Um die Ergebnisse von 2018 zu erreichen, muss ein Rückstand von mehr als 10 Prozent aufgeholt werden. Er wies darauf hin, dass die Entwicklung im Jahr 2021 allerdings ermutigend gewesen sei.
Im ersten Quartal dieses Jahres wurde – im Vergleichszeitraum zum Jahr 2021 – ein Wachstum von 10,9 Prozentpunkten erreicht, was ein weiteres Zeichen einer allmählichen Erholung darstellt, dies insbesondere vor dem Hintergrund der verschärften US-amerikanischen Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade, der Corona-Pandemie, der Inflation und der internationalen Krise.
"Aufgrund dieser Fortschritte können wir jedoch bestätigen, dass die Voraussetzungen gegeben sind, um das im Plan für dieses Jahr vorgesehene Ziel von etwa 4% zu erreichen", so Gil Fernandez.
In den Bereichen Erziehung und Unterricht, dem Hotel- und Gaststättengewerbe, im Baugewerbe, im Bereich Verkehr und im Bereich Kommunikation wurden die besten Ergebnisse erzielt.
Die Exporte, bei denen es sich im Wesentlichen um Nickel, Zuckerrohr, allerdings weit unter der geplanten Produktion, Honig, Tabak, Rum, Biopharmaka und Telekommunikation handelt, betrugen im ersten Halbjahr rund 1,3 Mrd. Dollar.
Im internationalen Tourismus, einem der Schlüsselsektoren für die Erholung der nationalen Wirtschaft, verzeichnete Kuba rund 690.000 Besucherinnen und Besucher. Der Minister betonte, dass an der geplanten Zahl von 2,5 Mio. Besuchern für das Jahr 2022 festgehalten werde, was ein sehr anspruchsvolles Ziel sei. Die kürzlich zwischen China und Kuba getroffene Vereinbarung, die Zahl chinesischer Touristen kurzfristig zu verdoppeln, wird hier einen Beitrag leisten.
Andererseits betonte er die Notwendigkeit, die Deviseneinnahmen zu erhöhen. Denn obwohl die derzeitigen Kurse höher sind als die, die 2021 erreicht wurden, sind sie immer noch unzureichend. Dies spiegelt sich unter anderem in den Engpässen im Versorgungsnetz des Einzelhandels und in der Finanzierung der Produktionsstruktur wider.
In einigen Bereichen wie Gemüse und Milch gibt es eine leichte Erholung. Allerdings noch nicht mit den Auswirkungen auf das Leben der kubanischen Bevölkerung, wie es zu wünschen wäre.
Offen wurde auch angesprochen, dass bei einigen landwirtschaftlichen Erzeugnissen die Nachfrage nach wie vor höher ist als die Produktion – verbunden mit hohen Preisen, Spekulation und Wiederverkäufen. Es besteht die Notwendigkeit, die Preise auf Provinzebene zu koordinieren und zu analysieren, aus welchen Gründen Produkte bis zum Sechsfachen des eigentlichen Preises verkauft werden. Hier ist eine stärkere Kontrolle auf der Ebene der Provinzen unter Beteiligung der Bevölkerung erforderlich.
Trotz aller Probleme hat der Einzelhandel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um fast 14 Prozentpunkte zugelegt, wobei knapp 76 Prozent in CUP (Peso Cubano – nationale Währung) und rund 24 Prozent in MLC (frei wechselbare Währungen) abgewickelt wurden.
Selbständige in Kuba |
Die Inflation ist, in der Gegenüberstellung zum gleichen Zeitraum im Jahr 2020, um 28,8 Prozentpunkte gestiegen. Der Minister führte aus, dass die bisherigen Maßnahmen nur eine begrenzte Reichweite hatten und wirksamere Maßnahmen erforderlich seien. Er stellte klar, dass die Preise für Strom, Gas, Wasser und die des staatlich subventionierten Warenkorbs an regulierten Grundnahrungsmitteln (Libreta) trotz des Preisanstiegs auf dem internationalen Markt beibehalten worden seien.
Da viele Waren, wie Nahrungsmittel, Ersatzteile und Treibstoffe, bei steigenden Weltmarktpreisen importiert werden, verharren die Lebenshaltungskosten und die Inflation in Kuba auf dem aktuellen hohen Niveau.
Die Durchschnittsrente ist von 1.607 Pesos auf 1.680 Pesos gestiegen, Der Minister räumte ein, dass dies immer noch unzureichend sei.
Schwierige Energiesituation
Die elektroenergetische Situation im Land ist sehr schwierig. Es kommt immer wieder zu Ausfällen durch fehlende Ersatzteile für die inzwischen veralteten thermoelektrischen Kraftwerke, deren Beschaffung durch die US-amerikanische Wirtschafts-, Handels-, und Finanzblockade weitgehend verhindert wird.
Diese Ausfälle, die von niemandem gewollt sind, führen zu regelmäßigen, aber in der Regel geplanten Stromabschaltungen. Als Folge wurde die Stromerzeugung durch Diesel erhöht, was nicht nur wesentlich kostenintensiver ist, sondern auch den allmählichen Aufschwung der wirtschaftlichen Entwicklung verlangsamt.
Die vermutlich durch einen Blitzschlag ausgelöste Explosion eines großen Treibstofflagers in Matanzas, in deren Folge das Feuer auf angrenzende Rohöltanks übergriff, verschärft diese angespannte Lage. Bei der Bekämpfung des Brandes wird Kuba von Seiten mehrerer befreundeter Länder unterstützt. Während der Sitzung das Parlaments bat der kubanische Präsident Díaz-Canel, mit Blick auf die aktuelle, komplizierte und schwierige Lage, unzufriedene Bürgerinnen und Bürger nicht "(…) denjenigen in die Hände zu spielen, die uns blockieren und verhindern, dass wir die nötigen Mittel erwerben, um aus dieser Lage herauszukommen".
Die Lösung der wirtschaftlichen Probleme liegt in der Kreativität der kubanischen Bevölkerung und in ihren eigenen Anstrengungen. Dies ist die Herausforderung, der sich Kuba zu stellen hat, um sein Sozialmodell zu erhalten.
Neue Wechselkurse
Anfang August hat Kuba neue Wechselkurse eingeführt. Die Maßnahme ermöglicht es kubanischen Bürgerinnen und Bürger und Besuchern, ausländische Währungen gegen einen attraktiven Wechselkurs gegen kubanische Pesos (CUP) zu tauschen. Danach wird beispielsweise ein Euro jetzt zu einem Kurs von 122 CUP, der Schweizer Franken gegen 125 CUP, bei einer Gebühr von zwei Prozent, getauscht. Der Wechselkurs des US-Dollar wurde von 24 auf 120 zu eins erhöht, bei einer Gebühr von acht Prozent.
Der 2020 eingestellte Verkauf von Devisen an die kubanische Bevölkerung ist für einen späteren Zeitpunkt wieder vorgesehen.
Hinter dieser Maßnahme steht die Zuversicht auf höhere Deviseneinnahmen und sie ist eine klare Ansage gegen Betrüger und Spekulanten, die sich in der Vergangenheit nicht nur an ahnungslosen Touristinnen und Touristen bereichert haben.
Die lukrative Einnahmequelle des illegalen Straßenhandels dürfte nun versiegen, da ausländische Gäste und auch Kubanerinnen und Kubaner ihre Devisen lieber bei den Banken und staatliche Wechselstuben (CADECAS) eintauschen werden.
Peter Knappe
CUBA LIBRE 4-2022