Protest gegen die Blockade in Las Tunas, Kuba |
Die kubanische Bevölkerung, die Regierung und die wirtschaftlichen Verhältnisse sind derzeit in einer sehr schwierigen Lage. Sie sind durch die Folgen der Covid-Pandemie und den damit verbundenen Einschränkungen, dem weitgehenden Zusammenbruch des Tourismus, den weltweiten Preissteigerungen und den andauernden Schädigungen durch die US-Blockade sehr beeinträchtigt. Die Versorgungslage ist teilweise schlecht, sogar Grundnahrungsmittel sind manchmal nicht ausreichend vorhanden. Die KP Kubas, die Regierung, staatliche Institutionen und Aktivisten versuchen sehr viel, um die Probleme zu lösen, und es wird experimentiert. Stärker als zuvor wird eigenes Engagement im Wirtschaftsbereich gefordert und gefördert. Zugleich fühlen sich viele Menschen mit den Mühen der täglichen Beschaffungen überlastet, und die Stimmung im Land ist angespannt. Leider machen etliche Leute die Regierung für die Problemlage verantwortlich, obwohl sie meistens indirekte Folgen der US-Blockade sind – über lange Wirkungsketten hinweg, die nicht einfach zu überschauen und zu verstehen sind. Genau dies ist ja Zweck der seit über sechs Jahrzehnten auferlegten Blockade. Im US-Invasionsplan der USA von 1959 heißt es: "Der Zweck des hier dargestellten Programms ist es, das Castro- Regime durch eines, das (…) annehmbarer ist für die USA, zu ersetzen, und zwar auf eine solche Weise, die den Anschein einer US-Intervention vermeidet." Bis zum heutigen Tag agieren die USA auf diese Weise! Hier ein Auszug aus einer 2019 von der US-Denkfabrik RAND Corporation der US-Armee vorgelegten Studie mit dem Titel "Russland überdehnen", allerdings wurde das Wort Russland ausgewechselt mit Kuba: "Wir untersuchen eine Reihe gewaltfreier Maßnahmen, die Kubas Schwachstellen und Ängste ausnutzen könnten, um Kubas Militär und Wirtschaft sowie das Ansehen des Regimes im eigenen Land und im Ausland zu beinträchtigen. Die Schritte, die wir dafür in Betracht ziehen, zielen nicht in erster Linie auf Verteidigung und Abschreckung, wenngleich sie auch zu beidem beitragen könnten. Vielmehr sind diese Schritte als Elemente einer Kampagne gedacht, mit dem Ziel, den Gegner aus dem Gleichgewicht zu bringen, Kuba zu einem Konkurrenzkampf in Bereichen oder Regionen zu drängen, in denen die USA einen Wettbewerbsvorteil haben, und Kuba dazu zu bringen, sich militärisch oder wirtschaftlich zu überdehnen, oder dafür zu sorgen, dass das Regime im eigenen Land und/oder international an Ansehen und Einfluss verliert."
In den USA hat eine kleine, einflussreiche Gruppe von Politikern, Militärs und Geheimdienstlern einen enormen und blindwütigen Hass auf das sozialistische Kuba, und auf andere Staaten, die sich der Ideologie des Imperiums nicht beugen, und ihren selbstbestimmten Weg gehen wollen. Sie werden von rechten Kreisen in der EU und anderen Ländern unterstützt. Sie lassen keine Gelegenheit aus und provozieren manchmal sogar Zwischenfälle, um Kuba zu schaden und zu dämonisieren.
Vor diesem Hintergrund und dem vorherrschenden Antikommunismus, der in Politik und den Medien dominierenden Blockade wurde jüngst der Auftakt für eine neue UNBLOCK-CUBA-Kampagne gestartet. Es gibt viele Ideen. Der Vorstand des Netzwerks Cuba und seine vierzig Mitgliedsgruppen wirken dabei wieder mit, und unterstützen gemeinsam mit vielen anderen Organisationen die Tageszeitung "junge Welt" mit den Vorbereitungen und der Durchführung zahlreicher lokaler Aktionen in mehreren europäischen Ländern. Ein zentrales Problem besteht darin, dass für westliche Politiker und Medien ein kubanischer "Dissident" mehr zu zählen scheint als die Menschenrechte von 11,2 Millionen Kubanern, die durch die Blockade in ihren Grundrechten jeden Tag aufs Neue verletzt werden. Diese Politik- und Medienblockade hier bei uns im Lande zu durchbrechen, ist die zentrale Aufgabe. Die Solidaritätsarbeit muss demnach neben den vielen bisherigen Aktivitäten noch deutlich stärker auf die Medien und die Politik ausgerichtet werden. Und das geht am besten vor Ort und durch die Entwicklung persönlicher Kontakte mit den wichtigen Leuten. Gelegentlich, nur punktuelle Kommunikation reicht da nicht aus. Und wichtig sind konkrete Anknüpfungspunkte: Ereignisse, Projekte, Besuche, Veranstaltungen. Unser "Pfund" besteht darin, dass die Fakten, das Wissen, die Erfahrungen bezüglich Kuba auf unserer Seite sind. Das müssen wir gezielter, angemessener und "schlauer" anwenden, und das infantile, dumme, einheitliche Denken in der Öffentlichkeit und vor allem der Entscheidungsträger in Politik und Medien mit Know-how "anreichern" und herausfordern.
Ein Ansatzpunkt sind Fälle von Blockadefolgen. Wenn Reisen, Überweisungen oder Transporte von den US-Sanktionen verunmöglicht wurden: Das muss an die Medien gehen, mit Fakten, Gesprächs- und Interviewvorschlägen. Oder Besuche von kubanischen Gästen: persönliche Einladungen an Presse und politische Gruppen und Persönlichkeiten verteilen, z. B. auch an Jugendorganisationen. Und was immer häufiger gemacht wird: aktuelle Themen aufgreifen, die hier bei uns im Lande auf Interesse bei bestimmten Zielgruppen stoßen können: Gesundheits- und Pandemiepolitik in Kuba, Umwelt- und Klimamaßnahmen in Kuba, Bildungspolitik oder ganz aktuell das neue Familiengesetz. Dazu lassen sich dann sehr gut Partner für gemeinsame Veranstaltungen finden. Und bei all dem sollte über die schändliche Blockade informiert und Gegenwehr mobilisiert werden. Vielleicht müssen von uns aufsehenerregende Aktionen durchgeführt werden, um Politik, Medien und Menschen wachzurütteln. Immerhin: Große Teile der Bevölkerung sind entsetzt und schockiert über die Folgen der Blockade und über das, was von westlichen Regierungen gegen das sozialistische Land sonst noch alles unternommen wird – wenn sie denn darüber informiert werden. Und es gibt Stiftungen und Vereine, die Aktivitäten finanziell unterstützen – und dazu gehören auch neue Medien. Also: Nicht "auf die Leute warten", sondern zu ihnen gehen bzw. sie in passender Weise "abholen", ist das Motto!
Dr. Edgar Göll
CUBA LIBRE 3-2022